Ölpreise:Ohne mich

A worker prepares to fill a car at a gas station close to Copacabana beach in Rio de Janeiro

Nicht an jeder Tankstelle ist der Blick so schön wie hier in Rio de Janeiro. Weltweit sind mit den Öl- auch die Benzinpreise gefallen.

(Foto: Ricardo Moraes/Reuters)

Alle wollen höhere Preise, nur Opfer will keiner bringen. Die Opec steckt in einem Dilemma. Einigen sich die Ölstaaten trotzdem endlich darauf, ihre Produktion zu drosseln? Gute Gründe hätten sie jedenfalls.

Von Jan Willmroth

Es vergeht derzeit kein Tag, ohne dass Mohammed Barkindo in den Nachrichten auftaucht, sich äußert, beteuert, beschwichtigt. Das ist sein neuer Job, und der ist in diesen Tagen äußerst anstrengend. Als Generalsekretär der Opec, das ist er seit etwas mehr als drei Monaten, muss er die Einigkeit des Ölstaaten-Klubs demonstrieren. Je näher die nächste Konferenz in Wien am 30. November rückt, desto höher wird der Druck.

Barkindo muss also als neues Gesicht der Organisation Tag für Tag versuchen zu verschleiern, was ohnehin offensichtlich ist: Da sitzen Länder zusammen, die so völlig unterschiedliche Interessen und Probleme haben, dass sie kaum zusammenkommen. Barkindo betont trotzdem: "Wir als Opec bleiben der Vereinbarung von Algier verpflichtet."

Algier, Ende September 2016. Das International Energy Forum findet zum 25. Mal statt, eine der größten Energiekonferenzen der Welt und die am prominentesten besetzte. Vertreter aller wichtigen Ölstaaten sind gekommen, Minister und Konzernlenker, Wissenschaftler und Analysten, bei solchen Anlässen wird die Zukunft der Energiemärkte gemacht. Und weil die Opec-Minister sowieso schon da sind, halten sie gleich noch ein informelles Treffen ab. Es soll endlich ein Signal an die Welt rausgehen: Wir drosseln unsere Produktion, fördern weniger Öl, damit endlich dieses Überangebot verschwindet, das seit mehr als zwei Jahren die Ölmärkte beherrscht und die Preise für den Rohstoff mehr als halbiert hat. Die Minister einigten sich tatsächlich.

Kaum war die Meldung in der Welt, schossen die Preise nach oben, zum ersten Mal seit Monaten über 50 Dollar pro Barrel (etwa 159 Liter), 15-Monats-Hoch. Welch eine Überraschung ist der Opec da gelungen. Acht Jahre war es her, dass sich der Staatenverbund zuletzt strengere Förderquoten verordnet hatte. Die Organisation ist auf 14 Länder angewachsen, die zusammen fast 40 Prozent des Welt-Öls fördern, so viel wie noch nie zuvor (siehe Grafik); wenn die Preise zu niedrig sind, versucht jeder so viel zu verkaufen, wie es nur geht. Ohne Obergrenze kämpft jedes Land allein um seine Marktanteile.

Die Vereinbarung von Algier sieht die Rückkehr zu einer festen Förderquote vor. Gemeinsam sollen die Opec-Länder nur noch 32,5 bis 33 Millionen Barrel pro Tag fördern. Zur Konferenz Ende November soll feststehen, wie sich die Staaten diese Quote untereinander aufteilen.

Allein daran könnte der Deal aber bereits scheitern, ein Interessenausgleich wird schwierig. Ein zweites Risiko ist, dass die Produzenten außerhalb der Opec nicht mitmachen, dass nicht auch der weltweit größte Ölförderer Russland seine Mengen begrenzen will. Auch auf Brasilien, Aserbaidschan und Mexiko kommt es an. Alles Länder, die in den vergangenen 25 Jahren enorm an Bedeutung gewonnen haben. Mit sämtlichen Regierungen haben Opec-Vertreter in den vergangenen Wochen Gespräche geführt. Denn allein hat die Opec mittlerweile viel zu wenig Einfluss auf den Preis. Damit ist ein kaum lösbares Dilemma entstanden.

Die Produzenten müssen sich an keine Absprachen halten, Sanktionen gibt es nicht

Er wolle ja nicht wie ein Untergangsprophet klingen, sagte Barkindo in der laufenden Woche, aber: Gelinge es nicht, das Abkommen von Algier umzusetzen, werde das negative Konsequenzen haben, "auf den bereits fragilen Zustand der Industrie". Fragil ist der Zustand, weil erstens in zahlreichen Opec-Ländern die Staatsfinanzen arg in Schieflage geraten sind. Die Regierungen sind auf höhere Preise angewiesen, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Immerhin das haben die Mitglieder gemeinsam.

Zweitens haben internationale Ölkonzerne inzwischen so viele Milliarden an Investitionen zusammengekürzt, dass in einigen Jahren genau der umgekehrte Fall im Vergleich zu heute eintreten könnte: ein viel zu niedriges Angebot, nachdem zu lange zu wenig Geld in neue Projekte und bestehende Ölfelder geflossen ist.

Eine Phase sehr hoher Ölpreise in einigen Jahren ist damit wieder zu einer realen Gefahr für die Weltwirtschaft geworden. Aber reicht das, reichen diese politischen und wirtschaftlichen Risiken, um die Opec-Staaten und die großen Ölförderer außerhalb des Klubs zu einer Kooperation zu bewegen? Eine derartige Kooperation hat es noch nie gegeben, und auch die Opec hat es seit den Siebzigerjahren nie wieder geschafft, den Ölpreis über längere Zeiträume effektiv zu kontrollieren. Die Marktmacht des Klubs hält sich als Mythos, aber sie längst verloren.

Krieg, alte Feindschaften und niedrige Preise

Allein innerhalb der Opec sind die Unwägbarkeiten groß. Libyen ist von einem jahrelangen Krieg zerrissen, die Ölförderung wieder gefallen und kaum zu prognostizieren, die Daten sind schlecht, das Land fällt für Förderkürzungen aus. Gleiches gilt für Nigeria. In diesem Jahr schwankte die Förderung in Afrikas größter Ölnation um mehr als eine Millionen Barrel, weil der Konflikt mit militanten Gruppen im Niger-Delta wieder aufflammte, die Öl-Terminals und Pipelines attackierten. Diesen beiden Staaten dürfte die Opec deshalb Ausnahmen gewähren.

Iran, Erzfeind des mächtigsten Opec-Mitglieds Saudi-Arabien, akzeptiert bislang keine Förderquote. Die Regierung der Islamischen Republik beeilt sich seit Jahresbeginn, nach dem Ende der Sanktionen, ihre Energieproduktion zu maximieren und die Machtbalance auf dem Ölmarkt wieder zu ihren Gunsten zu verschieben. Der Irak, zweitgrößter Ölproduzent der Opec, steckt mitten im Krieg gegen die Terrormiliz IS und braucht dafür nach eigenen Angaben seine Petrodollars. Die anderen Golfstaaten dürften sich auf diese Begründung nicht einlassen, aber können sie die irakische Regierung überzeugen?

Allein diese vier Nationen machen schon etwa ein Drittel der gesamten Opec-Förderung aus. Jede Ausnahme erhöht den Druck auf Saudi-Arabien und die übrigen Golfstaaten, selbst mehr Öl vom Markt zu nehmen. Irgendwie will jeder höhere Preise, allerdings ohne Opfer zu bringen. Förderkürzungen? Bitte, aber ohne mich.

Auch Russland gehört zu den Ländern, die unter den niedrigen Ölpreisen leiden und Staatsausgaben kürzen müssen. Sogar das Rüstungsbudget musste Präsident Wladimir Putin antasten. Das Land fördert Erdöl auf Rekordniveau, laut Bloomberg zuletzt 11,2 Millionen Barrel am Tag, aus arktischen Gewässern, aus dem Permafrostboden Sibiriens. Aus Quellen also, die sich nicht einfach abdrehen lassen, ohne dass es später Monate dauert, bis der Rohstoff wieder fließt. Auf dem Welt-Energiekongress in Istanbul im Oktober sagte Putin zwar, derzeit sei ein Einfrieren oder Absinken des Fördervolumens womöglich der einzig richtige Weg, um die Stabilität im globalen Energiemarkt zu wahren. Damit klang er ein wenig wie Barkindo.

Aber mehr als ein öffentlich geäußerter Gedanke war das nicht. Später hieß es gar, zu Kürzungen sei Russland nie bereit gewesen, allenfalls könne man über ein Einfrieren der Förderung sprechen - auf dem aktuellen Rekordniveau. Anders als am Persischen Golf wird Russlands Ölgeschäft außerdem von einer Vielzahl öffentlicher und privater Interessen bestimmt, die es schwierig machen würden, eine exakte Förderquote durchzusetzen.

Bleiben die äußeren Umstände: In früheren Zeiten gelangen den Opec-Mitgliedern Abkommen zumeist in Zeiten der Rezession, wenn die Nachfrage und mit ihr die Preise gesunken waren. Die aktuelle Ölpreiskrise ist aber überwiegend von einem deutlichen Überangebot induziert, gepaart mit einer Nachfrage, die zwar steigt, aber schwächer als erwartet. Schnell steigende Preise dürften außerdem zu einer schnellen Rückkehr amerikanischer Schieferöl- und kanadischer Teersand-Produzenten führen. All das macht einen möglichen Opec-Deal riskant.

Und stabil waren solche Abkommen ohnehin nie. Um seine Macht als Kartell auszuspielen, diesen Titel trägt der Länderklub noch immer, fehlt der Opec die Möglichkeit, Mitglieder zu sanktionieren, die sich nicht an Absprachen halten. Zusagen wurden selten eingehalten, etwa von Venezuela. Nur die Kernstaaten Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabische Emirate hielten sich strikt an ihre Quoten. Es sind Zweifel angebracht, ob diese drei auch diesmal bereit wären, den Großteil der Förderkürzungen zu stemmen.

Aber vielleicht stimmt es ja, was Barkindo beschwört: dass sich die Opec-Staaten erstmals seit acht Jahren geschlossen Förderquoten verordnen. Es wäre nicht die erste Überraschung im komplexen Geflecht der Öl-Diplomatie.

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