Es ist ein Widerspruch: Auf dem Papier ist die Elektromobilität schon da. An diesem Dienstag etwa hat Daimler bekanntgegeben, für 20 Milliarden Euro Batteriezellen einzukaufen. Und BMW erklärte, das Stammwerk in München für die E-Auto-Fertigung umzurüsten. Doch auf den Straßen ist noch nichts zu sehen. Ein paar Taxen von Toyota mit Hybridantrieb erspäht man vielleicht, und wenn man sehr lange wartet, mal einen BMW i3, einen Renault Zoe und womöglich einen großen Tesla. Sonst ist da: nichts. Nur Abgasluft. Oder in Zahlen: Nicht einmal zwei von einhundert neu verkauften Autos fahren derzeit mit Strom. Das Jahr 2019 könnte nun den Wendepunkt markieren, an dem die Menschen erstmals wirklich mit Elektroautos in Berührung kommen. Neue Modelle werden präsentiert - und Regularien unterstützen den Verkauf. Es wird keine Revolution stattfinden, aber statt 40 000 neuen E-Wagen im Jahr 2018 könnten immerhin doppelt so viele verkauft werden, schätzt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen.
Das oft zitierte Ziel der Bundesregierung von einer Million Elektroautos im Jahr 2020 wird so zwar nicht erreicht. Aber die Nationale Plattform Mobilität geht mittlerweile davon aus, dass bald danach, im Jahr 2022, eine Million E-Wagen auf der Straße sein werden. Die wichtigsten Gründe, dass es wirklich so kommt.
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Pionier Tesla
Ein wichtiges Argument hat mit Emotion zu tun: Das für Käufer aus der Mittelschicht einigermaßen erschwingliche Model 3 von Tesla kommt im ersten Halbjahr auf den deutschen Markt. Nach massiven Anlaufschwierigkeiten hat sich die Produktion nun stabilisiert - und die Nachfrage ist weiterhin beachtlich. Auch hierzulande gefällt die Story dieser Firma vielen. Dudenhöffer geht insofern davon aus, dass Tesla 2019 in Deutschland 20 000 Autos verkauft: "Dann tanzt Tesla-Chef Elon Musk den deutschen Autobauern in ihrem Heimatmarkt auf der Nase herum."
Mehr Wettbewerb
Zugleich bringen etablierte Hersteller mehr E-Auto-Modelle auf den Markt; die deutschen Firmen vor allem teure, große Wagen, ausländische Hersteller haben auch Kleineres im Angebot. Von der Sichtbarkeit sei die Elektromobilität heute schon "weit überproportional" vertreten, sagt Arthur Kipferler von der Strategieberatung Berylls, was heißt: Da wird vor allem viel Wind gemacht. "Aber praktisch wird sich im kommenden Jahr etwas tun: Dann wird in fast jedem Showroom ein Elektro-Modell stehen." Vor einem halben Jahrzehnt hatte der wichtigste Automarkt der Welt, China, mit seinen ersten Ideen von E-Auto-Zwangsquoten die Branche erschreckt und dann kam auch noch die EU-Kommission mit ihren Beschränkungen beim Kohlendioxid-Ausstoß. Jetzt werden die Antworten der Hersteller fertig und gehen in Serie: Der E-Tron von Audi etwa, der E-Niro von Kia, der EQC von Mercedes, der Citigo E von Škoda, der elektrische Peugeot 208, der E-Mini von BMW und sogar ein Rennauto: Der Taycan von Porsche. Ab Ende 2019 läuft bei Volkswagen ein futuristisches E-Auto vom Band, das so viel kostet wie ein Diesel-Golf.
Kundeninteresse steigt
Rechnet man solche Batteriewagen zusammen mit sogenannten Hybriden, also Wagen, bei denen ein kleiner Elektroantrieb und ein herkömmlicher Verbrenner gemeinsam verbaut sind, gibt es 2019 weltweit sogar 133 neue E-Automodelle, hat die Unternehmensberatung McKinsey errechnet. Ihre Erkenntnis aus Umfragen: Die Bereitschaft zum Kauf eines E-Autos wächst. So ziehen 17 Prozent der deutschen Autofahrer den Kauf eines E-Autos in Erwägung; weitere 20 Prozent überlegen sich zumindest die Anschaffung eines Hybrids. Dabei verlangen vor allem deutsche Autofahrer hohe Reichweite: 400 Kilometer sollen es schon sein. Die entsprechende Ladeinfrastruktur ist zwar immer noch miserabel wie ein Vergleich mit der führenden E-Auto-Nation Norwegen zeigt: 0,22 Ladepunkte pro 1000 Einwohner gibt es in Berlin, in Oslo sind es 2,1. Doch wird ausgebaut, etwa durch ein Stromtankstellenkonsortium von Ford, VW, BMW und Daimler.
Steuerliche Förderung
Der Autoexperte Dudenhöffer weist noch auf einen weiteren Umstand hin: Die Bundesregierung verbessert die Bedingungen für elektrisch betriebene Dienstwagen wesentlich. Normalerweise muss ein Dienstwagennutzer monatlich ein Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern. Für elektrifizierte Autos muss künftig nur noch ein halbes Prozent versteuert werden. Ein 50 000 Euro teurer Wagen, etwa ein Model 3, ist dadurch nur noch mit 250 Euro belegt, während etwa gleich wertvolle Verbrenner-Wagen doppelt so hoch belegt sind. Damit könnten sich die Firmenwagen zum anfangs stärksten Treiber dieser Antriebsform entwickeln: 800 000 Wagen gehen in Deutschland jedes Jahr an Firmenkunden. Hinderlich könnte dagegen sein, dass die E-Auto-Prämie im Juni 2019 auslaufen soll - genau dann, wenn es passende Wagen gibt.
Strenge Fahrverbote
2019 werden weitere Städte in Deutschland für alte Diesel-Autos gesperrt. Zugleich zeichnet sich ab, dass auch recht moderne Dieselautos bis einschließlich der Klasse 6c von Fahrverboten betroffen sein könnten. Noch kann niemand die Dynamik dieser Entwicklung genau abschätzen, aber fest steht: Dem Absatz von Elektroautos schadet das sicher nicht. Denn Wagen mit dieser Antriebsform sind die einzigen, die auf jeden Fall einfahren dürfen.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir den E-Niro von Kia fälschlicherweise Nissan zugeordnet.