Einzelhandel:Hier kommt der Supermarkt auf Rädern

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Bis zum Abend steht Petra Schmidt mit ihrem rollenden Supermarkt auf Dorfplätzen oder in Wohnsiedlungen, wo es keine Nahversorgung gibt. (Foto: Valentin Dornis; Valentin Dornis)

Der Dorfladen hat längst dicht gemacht. Dafür fährt jetzt Petra Schmidt mit ihrem Lkw übers Land. Sie bringt Gemüse, Süßigkeiten und Klopapier.

Von Valentin Dornis, Kirchberg an der Jagst

Als Petra Schmidt mit ihrem Supermarkt an die Tankstelle fährt, ist die Sonne schon untergegangen. Sie füllt noch ein paar Liter Diesel in den Tank, und dann ist Feierabend. Den ganzen Tag ist sie unterwegs gewesen mit ihrem rollenden Supermarkt, einem kleinen Lkw. Schon die Namen der Ortschaften, in denen sie haltmachte, klingen nach ländlicher Idylle: Bartenstein, Michelbach, Sommerhof. Auf der Hohenloher Ebene, im Nordosten von Baden-Württemberg, sind diese Dörfer weit über die Hügel verstreut, auch wenn sie in den Verwaltungen längst zu kleinen Städten zusammengefasst wurden. Sie säumen die schmalen Landstraßen, dazwischen Wiesen und Wälder. Doch in den Ortskernen ist von ländlicher Idylle nur wenig zu spüren: Sie sind wie ausgestorben. Wenn es überhaupt noch eine Kneipe gibt, öffnet sie nur noch an einem Abend in der Woche. Geschäfte gibt es meist gar nicht mehr, oft muss ein einziger Supermarkt eine ganze Region versorgen.

Und hier kommen Menschen wie Petra Schmidt mit ihrem Lkw ins Spiel. Sie fährt dahin, wo es praktisch keine Nahversorgung mehr gibt. Zwischen 1200 und 1800 solcher Supermärkte rollen durch Deutschland. Darunter sind einige größere Unternehmen, die zehn Wagen und mehrere Angestellte haben. Doch beim Fachverband Mobile Verkaufsstellen heißt es: Die meisten sind Einzelkämpfer - so wie auch Schmidt. Sie wuchs in der Hohenlohe auf, doch bald ging es ihr wie den meisten jungen Erwachsenen in dieser Gegend: Woanders gefiel es ihr besser.

Sie zog nach München, wurde Architektin, nahm ihren ersten Job an. Erst später kehrte sie zurück und machte sich selbständig. "Es ist ja meine Heimat hier", sagt sie. Doch das Leben als selbständige Architektin brannte sie aus, irgendwann musste sie die Reißleine ziehen. Und hatte plötzlich viel Zeit, darüber nachzudenken, was sie wirklich will. Ein Radiobeitrag über die lückenhafte Nahversorgung in ländlichen Regionen brachte sie schließlich auf die Idee, mit einem eigenen Lkw-Supermarkt diese Lücke zu schließen.

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Petra Schmidt fährt mit ihrem Lkw dahin, wo es praktisch keine Nahversorgung mehr gibt.

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Das war vor vier Jahren. Mittlerweile sitzen die Handgriffe ziemlich routiniert. Es ist früher Nachmittag, Schmidt klettert an der ersten Haltestelle aus dem Führerhaus. Sie marschiert einmal um den Lkw herum und klappt die kleine Treppe an der Seitentür herunter. Dann steigt sie in den Laderaum und nimmt eine dunkelrote Schürze vom Haken. Ihre Uniform, wie sie sagt. Mit der Schürze um den Bauch und ihrer Ballonkappe auf dem Kopf steht sie hinter der Kasse, während sich die ersten Kunden in dem schmalen Gang aneinander vorbeischieben. Die meisten von ihnen kennt sie mit Namen. Wie geht's, Frau Müller? Wann ist die Baustelle endlich fertig? Was plant der Sohn nach dem Abitur? Wenn der Regen, wie heute, mit dicken Tropfen auf das Metalldach prasselt, muss sie etwas lauter sprechen. Mischt sich dann noch jemand in das Gespräch ein, der ganz am Ende des Laderaums steht, geht es zwischen Gemüsekisten, Kühlregalen und Brotkörben geradezu gesellig zu.

Etwa 900 Artikel hat Schmidt im Angebot, gerne hätte sie mehr - aber schon jetzt müssen die Waren auf dem engen Raum wohlsortiert sein. Bis unters Dach reichen die Regale, alles für den Transport gesichert. Wenn sie über die Hügel fährt, hüpfen hinten nur die Kartoffeln in der Kiste. Mit großen Bewegungen kurbelt Schmidt dann am Lenkrad, ihre dunklen Haare fliegen beim zackigen Schulterblick hin und her. Kommen auf den schmalen Straßen andere Lkw entgegen, weicht sie selten aus. "Man gewöhnt sich an die Dimensionen", sagt sie. Das gelte übrigens auch für die Arbeitszeiten. Feierabend ist erst, wenn alle Kunden bedient, die Abrechnung gemacht, der Lkw aufgetankt und die Bestellungen für die nächsten Tage aufgegeben sind. Ein enormer Aufwand für jemanden wie Schmidt, die zudem keine kaufmännische Ausbildung hat. Und reich wird man trotz des Aufwands nicht unbedingt. "Aber es ist eine Aufgabe, die mich erfüllt", sagt Schmidt.

Auf dem Land gibt es einen Vorteil: Die Produzenten sitzen oft vor Ort

Es braucht schon eine gewisse Mischung aus Wagemut, Engagement und Heimatverbundenheit, um sich mit einem rollenden Supermarkt selbständig zu machen. Denn der Lebensmittelhandel ist ein hartes Geschäft: Die Gewinnspanne ist gering, die großen Ketten bestimmen mit ihrer Marktmacht die Preise. Wer wie Edeka oder Rewe "auf größeren Flächen verkauft", wie es im Handelsjargon heißt, kann sich das leisten. Doch kleinere Läden können oft gar nicht genug verkaufen, um da mithalten zu können und dabei auch noch Geld zu verdienen. Die Zahl der kleinen Lebensmittelhändler ist seit der Wiedervereinigung um etwa 75 Prozent gesunken. Heute gibt es nur noch etwa 8900 davon.

Und da soll ein Lkw mit knapp 20 Quadratmetern Fläche die Lösung sein? "Er kann die Situation zumindest verbessern", sagt Patrick Küpper. Er forscht beim staatlichen Thünen-Institut zur Nahversorgung im ländlichen Raum. Eine wichtige Erkenntnis dabei: Meist sind weder der große Discounter auf der grünen Wiese noch der kleine Dorfladen allein die richtige Lösung. Die Mischung aus unterschiedlichen Angeboten müsse stimmen, sagt Küpper. Und in dünn besiedelten Gegenden kann dazu eben auch ein rollender Supermarkt gehören. Denn viele dieser Regionen haben eigentlich einen Vorteil. Ob Fleisch, Biogemüse, Milch und Eier, Brot: Die Produzenten sitzen oft direkt vor Ort. Es braucht bloß jemanden, der ihre Erzeugnisse bündelt und sie für die Bewohner der Region unkompliziert verfügbar macht.

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Darauf hat sich Schmidt spezialisiert. Bevor sie morgens ihre Verkaufstour beginnt, fährt sie bei einer Bäckerei vorbei. Zwei Körbe mit frischem Gebäck trägt sie nacheinander aus der Tür: Brot, Brötchen und süße Hefeteilchen. Ihr Biogemüse bekommt sie ein Dorf weiter in der Gärtnerei, das Fleisch direkt vom Hof. Alles Weitere kauft sie beim Großhändler. So liegt sie nur knapp zehn Prozent über den üblichen Ladenpreisen und fährt ein komplettes Supermarkt-Sortiment durch die Gegend.

Für die Kunden löst das ein häufiges Problem. Denn wer kein Auto hat oder nicht mehr Auto fahren kann, der ist hier schnell aufgeschmissen. Zum nächsten Supermarkt sind es oft zehn Kilometer oder mehr, der öffentliche Nahverkehr verdient seinen Namen kaum. "Aber ich bin kein Essen auf Rädern für die alten Leute", sagt Schmidt. Eine funktionierende Nahversorgung ist für alle Altersgruppen wichtig, auch für Berufstätige, die sonst nach Feierabend noch einen großen Umweg zum nächsten Supermarkt nehmen müssen.

Ein bisschen Nachbarschaftshilfe gehört auch zu ihrer Arbeit

Bei Petra Schmidt kriegen sie alles, was sie brauchen. Notfalls halt beim nächsten Termin: Sonderwünsche schreibt Schmidt auf eine Liste, die über der Kasse hängt. Alles, was sich irgendwie besorgen lässt, kann man bei ihr bestellen. Zwischendurch hält sie sogar extra noch an der Tankstelle, um einigen Kunden Zeitschriften mitzubringen. Damit verdient sie zwar keinen Cent, aber es geht um die Geste. "Ein Dorfladen ist auch ein sozialer Ort", sagt Schmidt, und so verstehe sie auch ihren rollenden Supermarkt. Während sie in ihrem Geldbeutel kramt, erzählt eine Kundin, sie bräuchte einen neuen Augenarzt. "Hier kauft regelmäßig einer ein ...", sagt Schmidt und kramt Stift und Zettel heraus. Schnell ist die Adresse des Kunden notiert. Ein bisschen Nachbarschaftshilfe gehört auch zu ihrer Arbeit.

Eine ihrer Stationen ist Bartenstein. Dort machte der letzte Laden 2006 zu. Während in den Metropolen wie Berlin, München oder Dortmund die Wimpel rausgehängt wurden für die nahende Fußball-WM, hängten engagierte Bürger in Bartenstein Zettel aus: "Lebensmittelgeschäft vor dem Aus!" stand darauf, verbunden mit einem deutlichen Aufruf. Es müssten genug Leute regelmäßig einkaufen, sonst werde der letzte Laden im Dorf bald schließen müssen. Aber die Leute kamen nicht, und so schloss der Laden.

Die Nahversorgung auf dem Land kann komplex sein: Es wäre zu einfach, die Schuld für Probleme nur auf die allgemeine Wirtschaftslage, den Strukturwandel oder die Politik zu schieben. Wenn nicht genug Leute kommen und einkaufen, kann niemand auf Dauer einen Laden betreiben. Die Folgen bekommen dann vor allem die Menschen zu spüren, die nicht mobil oder gut vernetzt sind. Da hilft es schon, wenn Petra Schmidt einmal in der Woche mit ihrem fahrenden Supermarkt anhält.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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