WEG-Reform:Votum per Video

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Illustration: Patrick George/imago images/Ikon Images (Foto: Patrick George, via www.imago-images.de)

Eigentümerversammlungen treffen wichtige Entscheidungen - auch für Mieter. Doch die Pandemie hat die Treffen lange unmöglich gemacht. Neuerdings sind hybride Veranstaltungen erlaubt. Worauf Eigentümer und Verwalter achten sollten.

Von Stephanie Schmidt

Verwalterinnen und Verwalter von Wohnungseigentümergemeinschaften haben in diesem Jahr mehr zu tun denn je. Das liegt zum einen an den zahlreichen Neuerungen, welche die zum 1. Dezember 2020 in Kraft getretene Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) mit sich bringt. Zum anderen liegt es daran, dass wegen der Pandemie ausgefallene Eigentümerversammlungen nachgeholt werden müssen. Mindestens einmal pro Jahr finden diese nichtöffentlichen Treffen statt, bei denen die Gemeinschaft der Eigentümer zentrale Entscheidungen für die Zukunft trifft. Dabei stimmt sie zum Beispiel über den Wirtschaftsplan oder über eine energetische Modernisierung der Wohnanlage ab.

Doch in vielen Gemeinschaften gibt es seit Längerem keinen Termin für die Versammlung, weshalb sich wichtige Beschlüsse verzögern. Dabei spielen auch die Corona-Regelungen des Bundes und der Länder eine Rolle, die festlegen, wie viele Menschen sich treffen dürfen. Umso mehr wächst das Interesse von Wohnungseigentümern an der neuen Möglichkeit zur Online-Teilnahme an der Eigentümerversammlung, die im Zuge der WEG-Reform geschaffen wurde. Digitale Zusammenkünfte dieser Art sind jedoch für viele Eigentümer und Verwalter Neuland.

Darf der Verwalter zu einer rein digitalen Eigentümerversammlung einladen?

Das WEG definiert diese Treffen als Präsenztermine. Die Eigner einer Wohnanlage dürfen also nicht bei einer Eigentümerversammlung beschließen, diese grundsätzlich in den virtuellen Raum zu verlagern oder als reine Telefonkonferenz abzuhalten. Laut Paragraf 23 Absatz eins der Novelle kann sich die Gemeinschaft aber darauf verständigen, dass Eigentümerinnen und Eigentümer, die das wollen, per elektronischer Kommunikation, etwa über Videochat, Telefon oder Whatsapp teilnehmen. Eigentümer können also auch mitdiskutieren, wenn sie sich in einer vom Versammlungsort weit entfernten Stadt aufhalten. Das kann gerade für große Eigentümergemeinschaften interessant sein, wenn sich wegen hoher Inzidenzen nur ein Teil der Eigner persönlich treffen darf.

Die grundsätzliche Möglichkeit für alle Eigner, in Präsenz teilzunehmen, muss aber laut WEG bestehen bleiben. Das heißt: Der Verwalter hat die Pflicht, einen Raum zu buchen. Die Versammlung rein digital abzuhalten, betrachtet Rudolf Stürzer, Vorsitzender von Haus & Grund München, sogar als "rechtswidrig", da man in dem Fall einen Teil der Eigner von der Abstimmung ausschließe. Denn es gebe zahlreiche ältere Mitglieder von Eigentümergemeinschaften, die keinen Internet-Anschluss besäßen und "noch nie ein iPhone in der Hand gehabt haben".

Wie stehen Branchenverbände zur neuen Möglichkeit der Online-Teilnahme für Eigentümer?

Meinungsführer der Immobilienbranche sind sich einig, dass es unabhängig von der Corona-Krise zeitgemäß ist, digitale Kommunikationskanäle in die Eigentümerversammlung einzubinden. Hybride Formate hält Stürzer "für einen guten Kompromiss". Mit ihnen könne man dem "Riesen-Stau an Sanierungsmaßnahmen" entgegenwirken, der wegen der Corona-Krise entstanden sei, stellt Martin Kaßler, Geschäftsführer des Verbands der Immobilienverwalter Deutschland (VDIV) fest. Durch die Möglichkeit zur Online-Teilnahme entfallen lange Anfahrten. Dadurch werde "voraussichtlich die Beteiligung an Eigentümerversammlungen wachsen", schätzt Gabriele Heinrich, Geschäftsführerin von Wohnen im Eigentum. "Laut dem reformierten WEG sind sie immer beschlussfähig, unabhängig von der Anzahl der anwesenden Eigentümer. Deshalb ist es umso wichtiger, dass viele sich hier einbringen."

Braucht es einen Beschluss für die Online-Teilnahme?

Mit der WEG-Novelle macht der Gesetzgeber die hybride Wohnungseigentümerversammlung salonfähig. Zuvor jedoch müssen die Eigentümer in der Eigentümerversammlung dem entsprechenden Tagesordnungspunkt, also der Möglichkeit zur Online-Teilnahme für einzelne Eigner, zustimmen. Es genügt ein einfacher Mehrheitsbeschluss. "Die Online-Teilnahme kann für die nächstfolgende Versammlung beschlossen werden oder auch für mehrere Jahre", sagt Annett Engel-Lindner, Fachreferentin für Immobilienverwaltung beim Immobilienverband Deutschland IVD. Solche Beschlüsse könne die Gemeinschaft aber auch wieder ändern, fügt die Rechtsanwältin hinzu.

Digital Beschlüsse fassen: Manche Eigentümergemeinschaften tun es einfach. "Die Praxis der jüngeren Zeit hat gezeigt, dass die Mitglieder gerade jüngerer Eigentümergemeinschaften auch ohne formale Beschlussfassung per Zoom abstimmen", berichtet Engel-Lindner. "Wir raten ausdrücklich davon ab, weil solche Beschlüsse anfechtbar sein können."

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Gibt es eine rechtssichere Möglichkeit, die Eigentümerversammlung ausschließlich digital abzuhalten?

Das ist eine Frage, die auch Experten nicht mit letzter Sicherheit beantworten können. "Ja", sagt Rudolf Stürzer, "die Eigentümer dürfen das in einer schriftlichen Vereinbarung festlegen, sofern sich alle einig sind". Für praktikabel hält er das Prozedere aber nur in einer kleinen Gemeinschaft. "Man darf diese Vorgehensweise im Nachhinein in der Gemeinschaftsordnung festschreiben, sofern alle Eigentümer damit einverstanden sind", stellt Engel-Lindner zur rein digitalen Versammlung fest. In dem Fall schließe man jedoch einen physischen Raum für solche Treffen aus, sagt Michael Nack, Rechtsreferent beim Verein Wohnen im Eigentum (WiE) in Bonn. "Das sehe ich als starken Eingriff in das Kernrecht der Eigentümer auf Präsenztreffen, weshalb eine solche Vereinbarung wahrscheinlich unwirksam wäre."

Worauf kommt es inhaltlich beim Beschluss für die hybride Eigentümerversammlung an?

"Wir beschließen jetzt, dass man sich digital zuschalten kann" - ein derartig "allgemein formulierter Beschluss wäre nichtig", betont Nack, der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist. Der Öffnungsbeschluss solle klären, welche Rechte die Eigentümer ausüben dürfen. "Also zum Beispiel, ob man digital nur abstimmen oder sich auch an Diskussionen beteiligen darf. Außerdem sollte der Beschluss die Kommunikationskanäle benennen, die in der Eigentümerversammlung zugelassen sind. Dazu gehören etwa Video- und Audiokonferenz sowie Textchat." Konkrete Regelungen zur Online-Teilnahme können die Gemeinschaft wie den Verwalter vor Anfechtungen eines Einzelnen schützen.

Was müssen Eigentümer darüber hinaus bei der Planung beachten?

Der Gesetzgeber steckt nur den groben Rahmen für die Online-Teilnahme ab. Die genauen Modalitäten müssen die Eigentümergemeinschaften selbst festlegen. Hierzu haben Branchenverbände, etwa der IVD und Wohnen im Eigentum, Leitfäden erarbeitet. Eine professionelle Hybridveranstaltung ist mit organisatorischem und technischem Aufwand verbunden. Auch deshalb empfiehlt Engel-Lindner vom IVD, als ersten Schritt "in der Eigentümerversammlung so bald wie möglich einen Beschluss zur Option auf Online-Teilnahme zu fassen und den Verwalter zu autorisieren, konkrete Angebote für die technische Ausführung einzuholen." Der zweite Schritt bestehe darin, sich auf die konkrete Organisation samt Technologie für Online-Meetings zu verständigen. In diesem Kontext spielt auch die Wahl des Servers eine Rolle: "Der IVD votiert für einen EU-Dienstleister, damit der Verwalter datenschutzsicher agieren kann."

Wer haftet bei technischen Problemen?

"Natürlich sollte der Verwalter für eine stabile Internetverbindung Sorge tragen", betont Kaßler vom VDIV. "Allerdings hat er keinen Einfluss darauf, wenn die Verbindung abreißt, weil der Eigentümer mit seinem Boot den Atlantik überquert und im Funkloch ist." Michael Nack rät Eigentümergemeinschaften dazu, "im Vorfeld die Möglichkeit für den einzelnen Eigentümer festzuschreiben, kurzfristig eine Vollmacht zu erteilen - für den Fall, dass er nicht abstimmen kann, weil er eine schlechte Internetverbindung hat." Doch nicht immer lässt sich ohne Weiteres feststellen, ob es an einer Internetstörung in der Umgebung liegt, wenn jemand nicht an der Abstimmung teilnehmen konnte. Vielleicht kommt der Eigentümer nicht mit der Software klar? "Den Verursacher einer technischen Störung muss man aufspüren", sagt Engel-Lindner. "Der Nachweis kann allerdings im Einzelfall schwierig werden." Vor dem Hintergrund, dass es noch an Praxiserfahrung fehle und keine Rechtsprechung zu dem Thema gebe, könne das Thema Technologie "einen Rattenschwanz an Problemen nach sich ziehen", warnt Stürzer.

Wie kann man verhindern, dass jemand, der nicht zur Eigentümergemeinschaft gehört, an der Versammlung teilnimmt?

Die Eigentümerversammlung ist laut WEG eine nichtöffentliche Veranstaltung. Deshalb kontrolliert der Verwalter penibel, wer anwesend ist und wer nicht. Online ist das nicht so einfach. "Wenn jemand per Video zugeschaltet ist, dann wissen Sie nie, wer da im Hintergrund agiert und den Eigentümer beeinflusst. Das halte ich für ein großes Problem", sagt Stürzer. Und was ist zu tun, wenn sich ein Eigentümer in ein belebtes Straßencafé setzt und sich in die Eigentümerversammlung einloggt? "Da müsste der Versammlungsleiter einschreiten und ihn aus der Veranstaltung rauswerfen", bemerkt Nack. Sinnvoller sei es, wenn die Gemeinschaft schon im Vorfeld klargestellt habe, dass solche Verhaltensweisen nicht geduldet würden.

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Wer trägt die Mehrkosten für die hybride Versammlung?

Grundsätzlich fallen für hybride Eigentümerversammlungen zusätzlich Kosten an. Das kann zu Diskussionen darüber führen, welche die Eigner zu tragen haben. "Sie sollten genau darauf achten, welche Kosten der Verwalter für eine hybride Versammlung auf die Gemeinschaft umlegen will. Und sie sollten nicht akzeptieren, dass er zum Beispiel die Grundausstattung wie Beamer und Videokamera, die er im Versammlungsraum aufstellt, umlegt, weil er diese Gegenstände auch für andere Eigentümerversammlungen nutzen kann. Solche Kosten hat er selbst zu tragen", sagt Fachanwalt Nack. "Nur die Mehrkosten, die für eine konkrete Versammlung entstehen", könne er den Eigentümern in Rechnung stellen. Denkbar ist etwa, dass die Verwaltung eine technische Assistenz benötigt oder einen Moderator für die Video-Konferenz.

Wie kann die Gemeinschaft handlungsfähig bleiben, wenn kein Termin für die Eigentümerversammlung in Sicht ist?

Ist Gefahr im Verzug, etwa wenn Regenwasser in die Wohnanlage dringt, kann die Gemeinschaft das Umlaufverfahren anwenden. Aber auch in anderen Situationen. "Umlaufbeschlüsse sind etwa dann geeignet, wenn das Treppenhaus dringend renoviert werden muss oder wenn über die Jahresabrechnung abgestimmt werden soll", sagt Martin Kaßler vom VDIV.

Allerdings sind die Hürden hoch: Der Umlaufbeschluss muss von Haus aus einstimmig gefasst werden. Zunächst müssen sämtliche Eigentümer dafür votieren, dass das Verfahren überhaupt angewendet wird. Für umstrittene Themen ist es also nicht geeignet. Immerhin haben die Eigentümer im Zuge der WEG-Reform die Möglichkeit erhalten, über ein einzelnes Thema mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu entscheiden. Dieser Vorgehensweise müssen sie aber zuvor zustimmen - ebenfalls mit einfacher Mehrheit. Während vor der WEG-Reform Umlaufbeschlüsse schriftlich gefasst werden mussten, geht das mittlerweile auch in Textform - etwa per E-Mail oder Whatsapp.

Künftig werden jedenfalls immer mehr Gemeinschaften digitale Technologien in ihre Eigentümerversammlung einbeziehen - auch weil jüngere Mitglieder hinzukommen. Nach dem positiven Beschluss für die Online-Teilnahme haben sie ein Jahr Zeit, um sich auf die hybride Versammlung vorzubereiten. Das klingt nach viel Zeit. Ist es aber nicht, wenn man weiß, was in einer Eigentümergemeinschaft sonst noch alles gewuppt werden muss.

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