Ehegatten-Splitting:Das Ehegatten-Splitting benachteiligt Familien

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Ist der schnelle Auftritt im Standesamt förderungswürdiger als jahrelange Kinderbetreuung? (Foto: picture alliance / dpa)

Seit sechzig Jahren belohnt der Staat Ehepaare mit Steuervorteilen. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Was wir brauchen sind Anreize für Familien mit Kindern.

Kommentar von Heribert Prantl

Das wertbeständigste deutsche Wertpapier ist der Trauschein. Seit 1958, seit fast sechzig Jahren also, bringt er wunderbare Steuervorteile, genannt Ehegattensplitting. Der Staat belohnt auf diese kraftvolle Weise Eheschließung und Ehe. Kindererziehung belohnt er nicht so kraftvoll. Für den Steuertarif ist es egal, ob die Ehe kinderlos ist oder nicht; es ist ihm egal, ob die Ehegatten vier Kinder haben oder keines. Es zählt die Ehe, sonst nichts. Das ist merkwürdig.

Ist der schnelle Auftritt im Standesamt förderungswürdiger als die jahrzehntelange Betreuung von Kindern? Weil das nicht so recht einleuchtet, gibt es seit Jahrzehnten in allen Parteien die Forderung, das Ehegattensplitting durch ein Familiensplitting, auch Kindersplitting genannt, abzulösen oder zu ergänzen. Das zu versteuernde Gesamteinkommen würde dann nicht durch zwei geteilt, sondern durch einen gesetzlich zu bestimmenden Faktor, der sich nach der Anzahl der Kinder richtet; da gibt es viele mögliche Varianten. Auch im aktuellen Wahlkampf wird die Fahne mit dem Familien- und Kindersplitting wieder gehisst.

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Mit den Namen der Politiker, die diese Forderung schon erhoben haben (die Kanzlerin tat dies schon 1992 als Frauenministerin) könnte man die zwei Spalten dieses Leitartikels füllen. Seltsamerweise kam die Sache gleichwohl ihrer Realisierung keinen Schritt näher. Sie scheiterte stets an den Warnern in allen Parteien, die das klassische Bild der Hausfrauenehe hochhalten, denn gerade diese profitiert vom Ehegattensplitting besonders. Die Warner tun so, als wäre das Ehegattensplitting die einzige verfassungsgemäße Möglichkeit, Ehegatten zu besteuern. Dem ist nicht so. Es gibt Handlungsspielraum, den man aber nicht ausschöpft; man verschanzt sich hinter dem Verfassungsargument. Dem Kindersplitting ergeht es daher wie dem Fliegenden Holländer, der immer unterwegs ist, aber nie an ein Ziel kommt.

Dieses Schicksal teilt es mit der Forderung, ein Kindergrundrecht ins Grundgesetz zu schreiben. Seit der Verfassungsreform nach der deutschen Einheit gibt es solche Bestrebungen, passiert ist - nichts. Der Tierschutz steht im Grundgesetz; der Kinderschutz nicht. Soeben ist im Bundesrat eine neue Initiative für ein Kindergrundrecht gestartet worden. Familiensplitting und Kindergrundrecht, die beiden bisher erfolglosen Projekte, hängen zusammen: Gäbe es ein Kindergrundrecht, dann bekäme die Forderung nach einem Kindersplitting verfassungsrechtliches Gewicht; die gegenwärtige Praxis der exklusiven steuerlichen Eheprämierung wäre nicht mehr haltbar.

"Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung" heißt es in Artikel 6 Grundgesetz. Diese Formulierung stammt aus einer Zeit, in der Ehe und Familie praktisch das Gleiche waren, in der die Ehe der Eintritt in die Familiengründung war. Es war dies die Zeit, in der Kanzler Adenauer sagte: "Kinder kriegen die Leute immer", und darauf seine Rentenpolitik gründete. Die Ehe galt als das Nest der Familie, und das Ehegattensplitting beruhte auch auf der Erwartung, dass das Nest gefüllt wird.

Das Ehegattensplitting damals war nichts anderes als ein Familiensplitting - nämlich eine Förderung der Familie, wie sie sich in den späten Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts darstellte: Ehe mit Kindern, Vater arbeitet, Frau kümmert sich zu Hause um den Nachwuchs. Die Ehe heute ist aber eine andere Ehe als vor sechzig Jahren. Den Normtypus von damals gibt es viel weniger, immer mehr Ehepaare leben bewusst kinderlos, immer öfter werden Ehen in einem Alter geschlossen, in dem an Nachwuchs nicht mehr zu denken ist; immer mehr Kinder wachsen nicht in einer ehelichen Verbindung der Eltern auf. Angesichts dessen ist die steuerliche Bevorzugung der Ehe eine grobe Benachteiligung der Familie.

Familie definiert sich nicht mehr über die Ehe

Das Steuerrecht ist hinter der Rechtsentwicklung zurückgeblieben. Im Familienrecht ist die Ehefixiertheit des Familienrechts längst zu Ende. Dreh-und Angelpunkt (etwa für Unterhaltsansprüche) ist dort das Kind, nicht mehr die Ehe. Der Stellenwert der Ehe hat abgenommen, der Stellenwert der Kinder hat zugenommen. Die Sorge der Gesellschaft gilt Kindern und Kindeswohl, weniger der Ehe.

Ein Werteverlust? Nein, eine Werteverlagerung. Familie definiert sich nicht mehr über die Ehe, sondern über Kinder. Kinder sind schutzbedürftig; und sie sind förderungswürdiger als kinderlose Paare. Jede Familie verdient Schutz und Steuervorteile; jede Gemeinschaft mit Kindern, auch die nicht-eheliche, auch die vater-oder mutterlose Familie. Die Zeit, sich hinter falschen Verfassungs-Argumenten zu verschanzen, ist vorbei. Es ist Zeit für ein Kinder- und Familiensplitting.

© SZ vom 03.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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