Fischfang:In der westlichen Ostsee dürfen Fischer keinen Dorsch mehr fangen

Lesezeit: 3 min

Die Bestände von Dorsch sind in schlechtem Zustand. (Foto: Jens Büttner/picture alliance / dpa)

Der EU-Ministerrat beschließt drastische Einschränkungen beim Fang von Dorsch und Hering - zum Leidwesen der Fischer, zur Zufriedenheit von Ökologen, gegen den Widerstand der Bundesregierung.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Umweltschutz ja, aber bitte mit menschlichem Maß: So müssen Politiker reden, so tat das auch der für Fischerei zuständige EU-Kommissar Virginijus Sinkevicius am Montag, bevor sich der Ministerrat in Luxemburg traf, um über Fangmengen in der Ostsee für das Jahr 2022 zu beraten. Die Entscheidung habe nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Dimension, sagte der Litauer. Tatsächlich zeigt das zwei Tage währende Ringen der 27 EU-Länder, dass sich ab einem bestimmten Punkt das Ökologische und das Soziale nicht mehr miteinander versöhnen lassen. In der Ostsee ist dieser Punkt offensichtlich erreicht.

"Unsere Zukunft sieht rigoros schwarz aus", sagte ein Ostsee-Fischer schon in einer Anfang des Jahres gesendeten Reportage des NDR ("Der letzte Fang") über sein Gewerbe und folgerte: "Hier ist bald Feierabend." So traurig, so wahr vermutlich. Das lassen die Beschlüsse erahnen, die der Ministerrat am Dienstag traf - zum Leidwesen der Fischer, zur Zufriedenheit von Umweltschützern, zum Teil gegen das Votum der Bundesregierung.

In der westlichen Ostsee dürfen die Fischer künftig keinen Dorsch und sehr viel weniger Hering als bisher gezielt fangen. Die beiden Arten galten einst als "Brotfisch" in der westlichen Ostsee. Der Ministerrat folgte damit weitgehend dem Vorschlag der Kommission, die sich wiederum auf Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) stützte. Lediglich Beifang in Höhe von knapp 490 Tonnen Dorsch sowie 788 Tonnen Hering sollen den Europäern erlaubt werden. Für Deutschland bedeutet das: 104 Tonnen westlicher Dorsch als Beifang, dazu 435 Tonnen westlicher Hering. Ausnahmeregelungen soll es für Fischerboote unter zwölf Metern geben, die mit "passivem Fanggerät" fischen. Aber das reichte der Bundesregierung nicht.

Deutschland will die Beschränkung für den Fischfang nicht hinnehmen

Staatssekretärin Beate Kasch erklärte in Vertretung von Julia Klöckner, der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, die Beschränkungen für den Fang des westlichen Herings seien aus deutscher Sicht nicht hinnehmbar. Deutschland habe in den vergangenen Jahren bei dem Fisch bereits drastische Kürzungen hinnehmen müssen: um 94 Prozent gegenüber der Fangmenge 2017. Der Bestand erstrecke sich aber auch jenseits der Ostsee in das Kattegat und das Skagerrak. Dort seien die Fangquoten im gleichen Zeitraum deutlich weniger gekürzt worden. "Es kann nicht sein, dass unsere Ostseefischer erneut drastische Einschnitte hinnehmen müssen, aber der Bestand weiter nördlich abgefischt wird", erklärte die Staatssekretärin. Vergeblich hatte Ministerin Klöckner gefordert, die Hering-Fangmengen für die beiden Gebiete zeitgleich im Dezember zu beschließen. Die Einschnitte beim Dorsch wertet dagegen auch die Bundesregierung als "einzige Chance, diese Bestände wieder aufzubauen".

Klöckners Ministerium will nun einen Runden Tisch einberufen, um über die Zukunft der Branche zu beraten. Nach Angaben der Länder Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wurden zuletzt nur noch etwas mehr als 400 Berufsfischer an der Ostsee gezählt. 2010 waren es rund 650, Anfang der Neunzigerjahre mehr als 1300 gewesen. Der Staat hilft der Branche bereits mit Zuschüssen und Prämien. Klöckner plädiert nun dafür, dass zur Schonung der Herings- und Dorschbestände die zeitweise Stilllegung von Fischereifahrzeugen auch 2022 gefördert wird. Gemeinsam mit den Bundesländern will das Ministerium prüfen, ob weitere Abwrackprämien angeboten werden.

Von einer "Katastrophe" und "Tragödie" für die kleinen Ostseefischer sprechen auch Vertreter von Umweltverbänden. Sie müssten nun die Überfischung ausbaden, die vor allem durch den Einsatz von großen Schleppnetzen verursacht worden sei. Nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) befinden sich sechs von zehn "außerhalb sicherer biologischer Grenzen". Das bedeutet, dass die Bestände nicht mehr groß genug sind, um sich selbst reproduzieren zu können. Der Bestand des Dorsches habe bereits einen Kipp-Punkt erreicht, werde sich auch ohne den Druck durch die Fischerei in absehbarer Zeit nicht mehr erholen und sei also vom Aussterben bedroht, prognostiziert der BUND. Es helfe nur noch ein konsequenter Fangstopp und die vollständige Schließung der Fortpflanzungsgebiete.

Die Ostsee leidet als Brackwassermeer offenbar besonders unter Überfischung, Verschmutzung, Überdüngung, Erwärmung. Wissenschaftler glauben deshalb, an der Ostsee ließen sich mit zeitlichem Vorlauf Entwicklungen erkennen, die anderen Meeresregionen erst noch bevorstünden. "Uns bleibt nicht mehr lange, um einen vollständigen Kollaps des Ökosystems in der Ostsee zu verhindern", sagt der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: