Englische Aussprache:Akzentfrei Englisch sprechen - dank einer App

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Der britische Akzent gilt unter Amerikanern als sexy - und kommt angeblich beim Flirten ziemlich gut an. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Eine perfekte Aussprache erhöht in den USA Jobchancen, Gehalt und manchmal sogar das Flirtpotenzial. Dank künstlicher Intelligenz soll davon jetzt jeder profitieren.

Von Alina Fichter

Vu Van lebte in der Illusion, sehr gutes Englisch zu sprechen - bis sie Vietnam verließ, um für ihr Studium ins kalifornische Silicon Valley zu ziehen. Wenn sie sich in den Seminaren an der Eliteuniversität Stanford meldete, sahen die Professoren sie an, legten die Stirn in Falten und riefen ihren Banknachbarn auf. Irgendwann flüsterte jemand: Wir verstehen dich nicht. Dein vietnamesischer Akzent ist zu stark, wenn du Englisch sprichst.

Van erschrak. Zu Hause war sie Klassenbeste gewesen: Grammatik, Lesen, Verstehen, alles kein Problem; zugegeben, gesprochen hatten sie wenig im Unterricht. Und nun sollte ihre Aussprache plötzlich ihr neues Leben und ihre Karriere in den USA bedrohen?

Tatsächlich gelten Menschen mit starken Akzenten laut der Universität von Chicago als unglaubwürdiger. Und sie verdienen um 40 Prozent weniger, wie die amerikanische Behörde für Bevölkerungsstatistik herausfand.

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Englisch sprechen wie Ashton Kutcher

Aber wie wird man als Ausländer seinen Akzent los? Es ist eine Frage, die viele im Valley beschäftigt: 37 Prozent der Menschen, die hier leben, sind nicht in den USA geboren worden; bei den Bewohnern, die das Tal der Technologien am meisten prägen - jung, männlich, Computerspezialist - sind es sogar drei Viertel.

Van, heute 33, ist überzeugt, die Antwort gefunden zu haben: "Wir können alle unsere Akzente loswerden - mithilfe künstlicher Intelligenz", sagt sie in glasklarem amerikanischen Englisch, während sie in einem Hörsaal der Stanford-Universität sitzt - genau dort also, wo ihr einst jemand zugeflüstert hatte, sie sei nicht zu verstehen. Heute ist sie Unternehmerin und stellt ihre App namens Elsa vor, die sie im vergangenen Jahr auf den Markt gebracht hat: Nutzer lesen Sätze laut auf Englisch vor, die App korrigiert sie, wenn sie ein Worte falsch aussprechen.

Wie das geht? Van füttert die App mit Zehntausenden Stunden amerikanischer Podcasts und Hörbücher, damit Elsa das Englisch von Amerikanern aus dem Mittleren Westen lernt - Amerikanern wie dem Schauspieler Ashton Kutcher also, der aus der Fernsehserie "Two and a Half Men" bekannt ist. Er spricht Hochenglisch, vergleichbar mit dem Deutsch aus Hannover. Kutcher ist also, wenn man so will, die Referenz für jene, die mithilfe von Elsa besser verstanden werden wollen.

Selbst Lehrer verwenden die App im Unterricht

Sechzig Jahre nach der ersten Konferenz über das Potenzial von künstlicher Intelligenz (KI) am Dartmouth College in New Hampshire ist sie für viele Menschen ganz unbemerkt zu etwas Alltäglichem geworden. Während Elsa Akzente erkennt und verbessert, bestellt Amazons persönliche Assistentin Alexa Bücher, wenn man sie dazu auffordert; Googles Übersetzungsleistung wird besser, und Facebook liegt seltener daneben, wenn es für Gesichter auf Fotos die zugehörigen Namen vorschlägt. Denn diese Programme sammeln ununterbrochen Daten, um zu lernen, eine ganz bestimmte Aufgabe immer besser zu erfüllen; sie können das Gelernte allerdings nicht auf andere Gebiete übertragen.

Das ist die Art von künstlicher Intelligenz, die unsere Tage heute leise, aber nachhaltig verändert. Zum Beispiel jene von 300 000 Menschen, die sich Elsa in den wenigen Monaten nach dem Launch auf ihr Smartphone geladen haben - und von Hunderten Schülern, deren Lehrer die App im Unterricht benutzen, weil sie selbst merken, dass die Klassen zu groß sind, um an der Englischaussprache einzelner zu feilen. Der Sprachunterricht ist für sie ein anderer geworden.

Tatsächlich wissen die wenigsten Menschen, was KI heute wirklich kann - oder morgen womöglich können wird. Science-Fiction-Filme erzählen von Robotern, die mächtiger werden als alle Lebewesen. So entstehen Schreckensvisionen von einer unkontrollierbaren KI, die alle Jobs vernichtet - und die ganze Menschheit gleich dazu. Das jagt Zuschauern Angst ein. Aber in einer kürzlich veröffentlichten Studie schreibt das Zentrum für Dateninnovation, ein Thinktank in Washington: "Es wird wohl noch Jahrzehnte dauern, bis die Menschheit eine KI entwickelt haben wird, die die menschliche Intelligenz übertrifft, falls sie das überhaupt je schafft."

Zur gleichen Zeit hat das Weiße Haus dazu aufgerufen, alle Amerikaner ab dem Kindergarten in einem neuen Fach namens Technologie zu unterrichten, damit sie ihr vermeintliches Wissen nicht weiter aus Science-Fiction-Filmen ziehen - sondern besser verstehen, was sie heute bereits nutzen.

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Einige Amerikaner wollen lieber mit britischem Akzent flirten lernen

Natürlich haben die Risikokapitalanleger in den USA versucht, das Potenzial von KI genau auszurechnen, und sie investieren entsprechend: Fast drei Milliarden Dollar haben sie in den wachsenden Markt gepumpt, das ist mehr als doppelt so viel wie 2013. Und auch die Deutschen kommen: Stefan Jeschonnek ist ein Berliner, der in Palo Alto gelebt hat. Über seinen Discovery-Ventures-Fonds hat er in Vans Idee investiert; wie viel, will er nicht sagen.

Als die Sprach-App Elsa auf den Markt kam, war das auch ein kleiner Skandal in Kalifornien, dem Bundesstaat der bunten Sprachfärbungen. "Jetzt sollen wir also alle genau gleich sprechen?", fragten die Kritiker, "so weit kommt es noch!" Den einen Akzent, der für Amerika stünde, den gebe es nicht, und auch mexikanische und chinesische Färbungen seien Teil der Identität des Sprechers. Van blieb bei Kutchers Aussprache als Referenz. "Das Englisch aus dem mittleren Westen ist nun mal am gängigsten", sagt sie. Bald will sie expandieren, Deutsch- und Spanisch-Aussprachekurse anbieten, vielleicht auch Chinesisch.

Einigen Nutzern scheint es aber nicht so sehr um ihre Karriereaussichten zu gehen: Van hat Dutzende Anfragen von Amerikanern bekommen. Sie wollen den britischen Akzent lernen. Der gilt als smart und sexy in den USA - und kommt angeblich besser beim Flirten an.

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Von Beate Wild

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Alina Fichter und Ulrich Schäfer im Wechsel.

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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