Das Lenkrad soll bleiben. Mindestens in den nächsten 30 bis 40 Jahren werde der Mensch noch selbst eingreifen können, wenn sein Auto nicht so fahre, wie er das wolle, sagt BMW-Vorstand Klaus Fröhlich, und zwei der anderen Gäste auf dem Podium zum Thema autonomes Fahren nicken kräftig.
Man könnte dort jetzt einfach drei Männer sehen, die sich gegenseitig ihrer Autofahrer-Qualitäten rühmen. Aber tatsächlich steht die Lenkrad-Frage symbolisch für eines der großen Themen in der Debatte um die digitale Welt: Wie viel Freiheit bleibt dem Menschen, wenn er ständig mit Maschinen und Geräten vernetzt ist, Daten sendet und empfängt, von ihnen beeinflusst und gesteuert wird?
Viele Teilnehmer klingen nachdenklich
Darum ging es erfreulich oft in den Diskussionen auf der Digital-Konferenz DLD des Medienkonzerns Burda, die an diesem Dienstag in München endet. Hatte man früher zuweilen den Eindruck, die Veranstaltung biete in erster Linie fröhlichen Millionären und Milliardären aus dem Silicon Valley eine Plattform, um für ihre Produkte zu werben, klangen viele Teilnehmer in diesem Jahr nachdenklicher. Natürlich konnte man auch ab und an in Tech-Optimismus baden. Aber spätestens die Wahl von Donald Trump hat die Schwachstellen-Suche verstärkt. Schließlich kann man die neue Welt und ihre Technologien nur gestalten, wenn man deren Risiken kennt.
Nun mögen einem Konzerne wie Apple, Amazon, Google oder Facebook suggerieren, dass Freiheit in erster Linie die Freiheit des Konsumenten sei: sich zu jeder Zeit mit möglichst geringem Aufwand alle erdenklichen Wünsche zu erfüllen und sich damit das Leben so bequem wie möglich zu gestalten. Der Erfolg von Amazon Echo, einem Gerät, das als virtueller persönlicher Assistent funktioniert und auf Spracheingabe reagiert, zeigt, dass dieses Bedürfnis recht verbreitet ist.
Die Angriffe auf die Freiheit kommen von mehreren Seiten
Diese Art Freiheit sollte man aber nicht verwechseln mit dem bürgerlichen Ideal, für das unzählige Menschen gekämpft haben und gestorben sind. Denn Freiheit bemisst sich vor allem an Selbstbestimmung, Teilhabe an der Gesellschaft und einem guten Maß an Privatsphäre. Hinzu kommt die wirtschaftliche Freiheit, die es dem Einzelnen idealerweise ermöglicht, über sich hinauszuwachsen und Klassengrenzen zu überwinden.
Lange war es Konsens, dass Bildung die Grundlage dieser Freiheit ist. Aber mit dem Vordringen künstlicher Intelligenz ist eine große Verunsicherung darüber eingezogen, welche Art von Bildung sinnvoll und zwingend ist in einem Zeitalter, in dem Algorithmen um ein Vielfaches schneller "lernen" und deutlich mehr über Verhaltensmuster "wissen", als dies der klügste Mensch je abrufen könnte. "Wenn Bildung mit Technologie nicht mehr Schritt hält, ist Ungleichheit das Ergebnis", heißt es in einem Leitartikel des Wirtschaftsmagazins The Economist, das sich in seiner jüngsten Ausgabe mit der Zukunft der Arbeitswelt beschäftigt. Eine zu stark ausgeprägte Ungleichheit gefährdet jedoch Freiheit, vor allem, aber nicht nur, am unteren Ende der Einkommenspyramide.
In der digitalen Welt kommen nun die Angriffe auf die Freiheit von mehreren Seiten, und es passt zu der neuen Skepsis, dass ausgerechnet der Vorstand eines Technologie-Konzerns, Telekom-Chef Timotheus Höttges, in München die Risiken auf den Punkt brachte: Es gehe um Jobs, Privatsphäre und Sicherheit, sagte er.
Dass die Digitalisierung, insbesondere auch künstliche Intelligenz, Jobs bedroht, steht außer Frage, auch wenn an anderer Stelle neue Arbeitsplätze mit anderen Anforderungen geschaffen werden, die schon jetzt oft gar nicht besetzt werden können. Alles, was sich automatisieren lässt, wird irgendwann automatisiert. Menschen werden dann vor allem für das Programmieren und die Steuerung von Maschinen gebraucht und für Tätigkeiten, die für Roboter (noch) zu kompliziert sind. Und wenn Carl Benedikt Frey, Autor der viel zitierten Oxford-Studie über die Vernichtung von Jobs durch Digitalisierung, sagt, dass zum Beispiel Putzfrau ein Beruf mit Zukunft sei (zu komplexe Aufgabe), beruhigt das wohl kaum.
Wie viel Privatsphäre ist wünschenswert?
Eine gute Arbeit zu haben und für seine Familie sorgen zu können, ist aber in der heutigen Gesellschaft eine Grundbedingung für Freiheit, das sei "zentral für ein gutes Leben", sagte Reinhard Kardinal Marx beim DLD. Ein Grundeinkommen, über das derzeit viel debattiert wird, könnte dafür kein Ersatz, allenfalls ein Pflaster zur groben Wundversorgung sein.
Der Verlust an Privatsphäre ist die zweite große Bedrohung der Freiheit. Allerdings gehen die Meinungen darüber weit auseinander, welche Eingriffe noch zulässig oder sogar wünschenswert sind. Vor allem diejenigen, die sich von der Digitalisierung erhoffen, dass sie die Menschen gesünder, das Leben sicherer und die Welt sauberer macht, finden es angemessen, Menschen mithilfe von Technologie zu überwachen, zu kontrollieren und zu steuern. "Wir müssen stärkere Einschränkungen der individuellen Freiheit akzeptieren", sagt Oxford-Professor Ian Goldin.
Digitalisierung:Vier Updates für Deutschland
Deutschland könne zum digitalen Entwicklungsland werden, sagt die Kanzlerin. Es gibt aber Wege aus der digitalen Steinzeit - und einer führt über Merkels Kabinettstisch.
Julian Savulescu, Neuro-Ethiker und ebenfalls Professor in Oxford, hält sogar Eingriffe in die Genstrukturen für wünschenswert, um die moralischen Defizite von Menschen auszugleichen, Empathie zu steigern und Gewaltbereitschaft zu senken. Dagegen warnt die ehemalige EU-Kommissarin Viviane Reding davor, die Privatsphäre als europäische Modeerscheinung zu betrachten: Sie sei ein Menschenrecht.
Tatsächlich muss man in der digitalen Welt noch viel stärker darauf pochen, dass diese Grundrechte für alle gelten und respektiert werden. Denn die Vision von der besseren Welt, die im Silicon Valley gern beschworen wird, hängt entscheidend davon ab, wer diese Welt definieren darf.
Schon beim Versuch, künstlicher Intelligenz ethische Standards einzuprogrammieren, ist offensichtlich: Die Moral hängt vom Kulturkreis ab. Beim selbstfahrenden Auto zum Beispiel würden in der westlichen Welt Lösungen bevorzugt, die die Zahl der potenziellen Unfallopfer minimieren, sagt der MIT-Wissenschaftler Iyad Rahwan. In anderen Kulturen hingegen habe der Schutz des Fahrers eine leichte Priorität.
Besonders wichtig ist die Debatte darüber, wie man den Bürgern die Hoheit über die Daten zurückgeben könnte, die sie über ihre Smartphones und zunehmend auch ihre vernetzten Wohnungen und Autos preisgeben und mit denen sie derzeit Unternehmen bereichern. Das Internet sei von Konzernen getrieben, man müsse den Nutzer zum Treiber machen, hieß es auf einem DLD-Podium zum Thema "Contextual Internet". Eine Idee: das Konzept der Apps abschaffen, über die sich der Kunde unzählige Male offenbaren muss, und durch einen einzigen Zugangsdienst ersetzen, der die Daten des Nutzers schützt.
Es ist noch einiges zu tun
Das dritte große Risiko für die Freiheit in der digitalen Welt betrifft die Sicherheit. Alles, was vernetzt ist, kann durch Angriffe von außen erreicht werden. Der lässige Umgang mit Technologie, die Begeisterung über neue Möglichkeiten haben den Schutz vor Kriminalität häufig an die hintere Stelle rücken lassen. Und dabei sind nicht nur Hacker-Attacken gemeint, die Stromnetze lahmlegen, Atomkraftwerke oder Waffensysteme manipulieren können. Angriffe auf demokratische Prozesse wie Wahlen oder andere Instrumente der Meinungsbildung, etwa die Verbreitung von Fake News, bedrohen die politische Teilhabe und damit die bürgerliche Selbstbestimmung.
Einige Dinge sind also zu tun, damit die Freiheit in der digitalen Welt ihren Namen verdient. Zunächst brauchen Menschen eine wirtschaftliche Grundlage, um ihre Rechte und Freiheiten wahrnehmen zu können. Der Kampf gegen das Zerfallen der Gesellschaft, die Reform der Bildung und das Ringen um die Teilhabe am Wirtschaftsleben sind zentrale Aufgaben.
Außerdem geht es darum, Vielfalt zu akzeptieren. Freiheit jenseits des Minimum-Standards der Menschenrechte ist kulturell bedingt. Sie kann nur durch politische Prozesse und nicht von Ingenieuren und Software-Entwicklern oder den Top-Strategen von Weltkonzernen definiert werden. Hier sind die demokratischen Institutionen gefragt, damit jener Albtraum nicht wahr wird, der Kardinal Marx zuweilen heimsucht, wie er erzählt: "Vielleicht ist die freie Gesellschaft nur eine Episode in der Menschheitsgeschichte gewesen." Das Lenkrad wird gebraucht.