Iran:Wie die Mullahs jetzt die Büros kontrollieren

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Digikala im Paris Technology Park im Osten Teherans. Der Online-Händler ist eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen im Iran. (Foto: Scott Peterson/Getty Images)

Digikala gilt als iranisches Amazon. Jetzt hat das Regime einen Standort der Firma geschlossen - weil die Mitarbeiterinnen kein Kopftuch trugen. Die Wirtschaft gerät so in den Fokus der Sittenwächter.

Von Raphael Geiger, Istanbul

Die vermeintliche Straftat geschah im Büro. Da hatten sich ein paar Frauen und ein paar Männer zu einem Foto versammelt. Sie waren jung, das Team einer Techfirma. Sie lächelten in die Kamera. Sie hätten, lebten sie in einem anderen Land, das Foto auf Linkedin stellen können. Die Daumen ihrer Kontakte wären hochgegangen für so viel gute Laune auf dem Arbeitsplatz, so viel Stolz auf die Firma.

Jedenfalls wäre das Gruppenbild kein Fall für die Strafverfolgungsbehörden gewesen. In einem anderen Land.

Vermutlich glaubten die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Digikala, dem iranischen Amazon, sie seien sicher, als sie das Foto machten. Schließlich gab es zuletzt im Iran ja ein bisschen mehr Freiheit, gerade, was die Kopftuchpflicht anbelangt. Das Regime hatte die Proteste im vergangenen Herbst niedergeschlagen, nachdem die 22-jährige Mahsa Amini in den Händen der Polizei gestorben war, festgenommen, weil sie das Tuch angeblich zu locker getragen hatte.

Die islamische Republik erlebte daraufhin die größten Proteste ihrer Geschichte. Das Regime tötete Hunderte Menschen. Andererseits gab es auch ein bisschen nach, die Sittenpolizei verschwand von den Straßen. Also jene Organisation, die für Mahsa Aminis Tod die Verantwortung trug. Frauen, die unverschleiert durch Teheran gingen, mussten nun nicht mehr gleich eine Festnahme fürchten.

Auf dem Foto aus dem Digikala-Büro trugen die Frauen kein Tuch. Sie arbeiteten für eines der wichtigsten E-Commerce-Unternehmen des Landes. Gut ausgebildete Frauen, die es nicht mehr hinnehmen wollten, sich einem Regime zu beugen, das glaubt, seinem Volk eine Kleiderordnung vorschreiben zu können. Einem Regime allerdings auch, das weiß, dass seine Macht in Gefahr ist, wenn es das Kopftuch aufgibt.

Vor wenigen Wochen rückte die Polizei bei Digikala an. Sie machte zwar nicht das ganze Unternehmen dicht, schließlich meldet Digikala 40 Millionen Nutzer im Monat, das ist fast die Hälfte der Bevölkerung. Aber die Beamten sendeten ein Signal. Sie benutzten Digikala für eine Botschaft an die iranische Wirtschaft, an die Gesellschaft. Sie schlossen eines der Teheraner Büros der Firma. Nur deswegen, weil die Mitarbeiterinnen ihr Haar gezeigt hatten.

Ihr seid nirgendwo sicher vor unserer Kontrolle, sollte das heißen. Glaubt nicht, dass ihr frei seid, nur weil ihr für eine hippe, erfolgreiche Firma arbeitet. Eine, die auch dem Regime wichtig ist. Immerhin schreibt sie eine der wenigen Erfolgsgeschichten im Land. Eine, wie sie den Theokraten an der Macht gefällt: Iran braucht keinen US-Konzern wie Amazon, es besitzt sein eigenes Online-Kaufhaus. Ein einheimisches Start-Up, gegründet von zwei Brüdern, erfolgreich trotz aller Widrigkeiten.

Trotz des fallenden Rial - die Inflation des Landes ist zweistellig - und trotz der Sanktionen, vor allem der US-amerikanischen. Die verhindern noch immer, dass Iran zum Beispiel mit den Golfstaaten handeln kann. Auch die Europäer haben ihre Sanktionen vergangenes Jahr verschärft, angesichts dessen, wie brutal das Regime gegen seine Bürgerinnen und Bürger auf den Straßen vorging.

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Iran hat bekannt gegeben, dass die Sittenpolizei ihre Arbeit wieder aufnimmt. Was das für die Menschen im Land bedeutet - zwei Monate vor dem Jahrestag der Ermordung von Mahsa Amini.

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Dem Regime dürfte bewusst sein, dass nichts seine Macht mehr gefährdet als ein bisschen Freiheit

Der Fall von Digikala zeigt, wie die Mullahs sich offenbar die Zukunft des Landes vorstellen. Eben nicht etwas liberaler, wie sie versprachen, als sie sich im Herbst der Wut der Bürgerinnen und Bürger gegenübersahen. Den Männern des Regimes dürfte bewusst sein, dass nichts ihre Macht mehr gefährdet als ein bisschen Freiheit. Autoritäre Regimes überall auf der Welt wissen das, sie wanken, sobald sie ihrem Volk etwas mehr Raum geben, sobald die Furcht nicht mehr alles erstickt. Jedenfalls dann, wenn die Menschen unzufrieden sind, aus wirtschaftlichen Gründen zum Beispiel.

Im iranischen Fall ist das Kopftuch deshalb so entscheidend, weil es die Machthaber selbst zum Symbol ihrer Kontrolle gemacht haben. Solange man sich durchs Land bewegte und keine unverschleierte Frau sah, stellte niemand die Autorität infrage. Das nun war seit einigen Monaten anders, auf den Straßen, in Büros wie jenem von Digikala. Für die Kleriker muss es ein latentes Ärgernis gewesen sein, ohne Verschleierung keine islamische Republik.

Der Fall Digikala erzählt davon, dass sich das Leben unter diesem Regime und eine erfolgreiche Marktwirtschaft nahezu ausschließen. Wie sollen Frauen, und nicht nur sie, in diesem Klima frei denken können, sobald sie das Büro betreten, wo sie für ihre Gedanken bezahlt werden? Wie sollen Unternehmen auf Rechtssicherheit vertrauen in einem Land, das Niederlassungen wegen fehlender Kopftücher schließt?

Selbst von früheren Ministern kam Kritik am Vorgehen gegen Digikala. Die aktuellen Männer an der Spitze allerdings scheinen überzeugt, dass sie ihre Regeln durchsetzen müssen, wollen sie die islamische Republik bewahren. Also ihre Macht. Notfalls nicht nur gegen die Menschlichkeit, sondern auch gegen die wirtschaftliche Vernunft.

Autokraten neigen zu Paranoia, vor allem, wenn gerade eine Revolution abgewendet ist. Nun machen sie sich im Iran daran, ihre autoritäre Herrschaft zu perfektionieren. Ihr seid nirgendwo sicher, nirgendwo unbeobachtet, diese Botschaft sendet das Regime jetzt. Seit einer Weile ist die Sittenpolizei zurück, obwohl sie angeblich vor Monaten aufgelöst wurde. Sie tritt in Zivil auf, oft sind es Beamtinnen, die sich daranmachen, die Kleidervorschrift durchzusetzen.

Die Sittenwächterinnen warnten einmal, heißt es von Seiten des Regimes. Danach drohe unverschleierten Frauen die Festnahme. Wie früher.

Nicht einmal das Auto sei noch ein privater Ort

Außerdem arbeiten die iranischen Sicherheitsbehörden daran, ihr Volk lückenlos zu überwachen. Ihr Vorbild ist China, von dort kommt auch ein Großteil der Technik. Die Kameras der chinesischen Firma Tiandy hängen in Teheran an jeder Straßenecke. Dank ihnen und einer Software zur Gesichtserkennung weiß das Regime jederzeit, wo sich eine Bürgerin gerade allzu frei fühlt.

Iranerinnen berichten, dass nicht einmal ihr Auto noch ein privater Ort sei. Kaum dem Wagen entstiegen, bekommen sie eine SMS aufs Handy, darin die Warnung, sich zu verschleiern.

Die Bilder der Überwachungskameras sollen in Zukunft vor Gericht verwendet werden dürfen, so will es jedenfalls ein Gesetzesentwurf, der im Parlament vorliegt. Das neue Gesetz soll außerdem private Fotos von Frauen ohne Kopftuch verbieten, wie jenes aus dem Büro von Digikala. Ausreisesperren drohen, hohe Geldstrafen oder bis zu 15 Jahre Haft.

Iranische Aktivisten sagten kürzlich der ARD, dass dabei auch Kameras von Bosch zum Einsatz kämen, die die deutsche Firma bis 2018 in den Iran lieferte. Von Bosch heißt es zwar, die Geräte seien zur Gesichtserkennung nicht geeignet. Die Dissidenten in Teheran sehen das aber anders. Die Bosch-Kameras, sagen sie, könnten zusammen mit aus Dänemark eingekaufter Software sehr wohl zur Identifizierung genutzt werden.

Dann müssten sich iranische Frauen, etwa die Mitarbeiterinnen von Digikala, vor Gericht gegen die Aufnahmen einer deutschen Kamera verteidigen. Aber das ist eine andere Wirtschaftsgeschichte.

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