Deutsche Bahn:Revolution im Turm

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Sabina Jeschke soll die Bahn zum Digitalkonzern machen. In der Zentrale staunt man über den schnellen Start der promovierten Physikerin.

Von Markus Balser

Was die Digitalisierung für etablierte Unternehmen bedeutet? Professorin Sabina Jeschke untersucht seit Jahren die Folgen künstlicher Intelligenz auf Unternehmen und Gesellschaft. Zwischen technischen Revolutionen seien etablierte Konzerne stark, ist Jeschke überzeugt. Sie verfeinerten ihre Technik Stück für Stück. In der Revolution selbst aber brächten ganz neue Anbieter alte unter Druck. Wer hätte schon gedacht, dass das erste autonome Auto nicht von General Motors oder Daimler gebaut wird, sondern von Google, fragte Jeschke vor Kurzem in einem Vortrag.

In der Konzernspitze der Bahn ahnen die Manager, was die Stunde geschlagen hat. Immer klarer zeichnet sich ab, dass die digitale Revolution auch Deutschlands größten Mobilitätskonzern umkrempeln wird. Schnellere Taktung, Züge ohne Lokführer, automatische Autos, die Kunden direkt vor die Haustür bringen: Erste Pilotprojekte laufen bei der Bahn an. Doch das Ziel ist eigentlich größer: Neues Denken und neue Technik sollen den Konzern durchdringen, der sich mit der Digitalisierung in einigen Bereichen noch schwertut.

Am Freitag berief der Bahn-Aufsichtsrat die promovierte Physikerin, 49, in den Konzernvorstand. Sie soll sich dort ab sofort um die Themen Digitalisierung und Technik kümmern. In der Bahn-Zentrale staunt man über das Tempo ihres Starts. Denn schon mit der Berufung lässt sich Jeschke im 24. Stock des gläsernen Bahn-Turms am Potsdamer Platz in Berlin in diesen Tagen ein Büro im Start-up-Stil einrichten - inklusive Kommunikationsecke. Das Signal ins Unternehmen: Bloß keine Zeit verlieren. Das Tempo ist bemerkenswert, weil wegen eines Streits im Aufsichtsrat lange nicht feststand, ob die bereits zweimal verschobene Berufung auch wirklich klappt. Doch Jeschke weiß, was auf dem Spiel steht und welches Tempo der Veränderung die Digitalisierung auch in den Verkehrssektor gebracht hat.

Die Informatik-Professorin beschäftigte an ihrem Institut der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen vor allem die Frage, ob lernende Roboter den Menschen in der Produktion verdrängen können. Zuletzt verbrachte sie ein Forschungssemester in Göteborg, wo sie dem Autobauer Volvo half, künstliche Intelligenz und Datenanalyse zu bündeln. In Berlin traut man Jeschke zu, bei der Bahn für frischen Wind zu sorgen und sich auch mit unbequemen Forderungen im Konzern durchzusetzen. Aufsichtsräte beschreiben die Professorin als selbstbewusst und offen. Die Berufung einer Forscherin auf einen Posten, der die Arbeit von 320 000 Bahn-Beschäftigten beeinflussen könne, sei ein Wagnis, räumen Aufsichtsräte ein. Jeschke müsse sich sicher erst mal an die Abläufe eines Großkonzerns gewöhnen - und der Konzern an sie. Aber Kontrolleure machen auch klar, dass sie mit dieser Personalentscheidung gerade die eingefahrenen Strukturen im Unternehmen aufweichen wollen. Kurz vor ihrem Wechsel zur Deutschen Bahn ging Jeschke noch mal als Professorin auf Dienstreise. In Japans Hauptstadt Tokio hielt sie Mitte Oktober einen ihrer vorerst letzten Vorträge als Wissenschaftlerin. Ihre Prognose für den Verkehrssektor in der Ferne dürfte man bei der Bahn in Berlin sicher mit einigem Interesse gelesen haben: "Der neue Fahrer - Roboter werden Mobilitätslösungen dominieren".

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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