Was sind schon fünf Euro? Fünf Euro sind das Ergebnis einer jahrelangen Debatte um die Hartz-IV-Sätze. Sie sind das Ergebnis einer eindringlichen Ermahnung des Bundesverfassungsgerichts, die Hartz-IV-Sätze transparenter zu berechnen. Sie sind das Ergebnis intensiver Berechnungen im Arbeitsministerium. Sie sind das, was Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Hartz-IV-Empfängern zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz zusätzlich zum bisherigen Hartz-IV-Geld zu bieten hat.
Und es ist die Summe, um die an diesem Freitag im Bundestag erbittert gestritten wurde, obwohl das Abstimmungsergebnis aufgrund der Mehrheitsverhältnisse von vorneherein feststand: Das Parlament billigte, dass ab 2011 die Erwachsenen-Regelsätze für das Arbeitslosengeld II um fünf Euro steigen werden und zusätzlich Geld für die Ausbildung von Kindern zur Verfügung steht.
Doch "das darf man Ihnen nicht durchgehen lassen", ätzt Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der Linken in Richtung von der Leyen, um dann Satz für Satz die Argumente des Sozialrichters Jürgen Borchert - der meistzitierte Mann an diesem Freitag - aufzutischen. Borchert war einer der Initiatoren des Hartz-IV-Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht.
Seine - und Gysis - Kritik: Bei der Berechnung der Sätze wurden früher 20 Prozent der untersten Einkommen berücksichtigt, mittlerweile sind es nur noch 15 Prozent.
Noch wichtiger: Bei der Berechnung des Existenzminimums wurden die verdeckten Armen mit einbezogen - die Leute also, die Sozialleistungen erhalten könnten, diese aber nicht in Anspruch nehmen. Hätte man sie aus der Berechnung herausgelassen, wäre nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der Satz um 28 Euro höher gewesen. Nur so, kritisiert Gysi von der Leyen, "kommen Sie auf Ihre komischen fünf Euro".
Markus Kurth von den Grünen weiß noch mehr: "Keinen Weihnachtsbaum mehr, keine Blumen zum Muttertag, kein Eis - alles wurde den Hartz-IV-Empfängern genommen."
Die CDU wandte ein, dass es bei der Umsetzung der Vorgaben des Verfassungsgerichts eine doppelte Verantwortung gegeben habe: einerseits eine für die Bedürftigen, andererseits aber auch eine für die Arbeitnehmer, die mit ihren Steuern den Sozialstaat finanzierten.
Ursula von der Leyen verteidigte kämpferisch die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze - immerhin sei doch so viel für die Kinder getan worden. Darum: "Kommen Sie mit ins Boot, machen Sie mit!", rief sie der Opposition zu. Das Bildungspaket, das Zuschüsse für warmes Mittagessen, aber auch für Nachhilfe oder Sportvereine ermöglichen soll, nannte sie einen Paradigmenwechsel.
Spott für die Ministerin
Erstmals komme die Hilfe direkt bei den Kindern an. Es gehe darum, dass Kinder mitmachen könnten. Kritik an der damit verbundenen Bürokratie wies die Ministerin zurück. "Ein Zettel reicht", sagte sie und zückte das Blatt vor den Abgeordneten. "So wenig Bürokratie war noch nie." Der neue Hartz-IV-Regelsatz für Erwachsene von 364 Euro im Monat und die Zuschüsse für Miete, Heizung, Kranken- und Pflegeversicherung decke das Existenzminimum und wahre ein angemessenes Verhältnis zu niedrigen Einkommen, betonte die Ministerin.
Doch die Opposition hatte nur Spott für von der Leyen übrig: Sie werden doch "Röschen" genannt, giftete die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Doch sie sind ein "eiskalter Engel". Hubertus Heil von der SPD sprach von "warmen Worten und kalten Taten". Sein Parteichef Sigmar Gabriel, der von der Leyen später auch noch eine "Staatsschauspielerin" schimpfte, warf ihr vor, sie schnüre als "Verpackungskünstlerin" Bildungs- und Teilhabepäckchen für Kinder, löse damit aber keine Probleme. "Investiert das Geld in die Schulen und nicht in solche Päckchen", rief der SPD-Chef. Notwendig seien mehr Erzieher und Sozialpädagogen an den Schulen. "Verkleckern Sie das nicht mit Mini-Bildungspäckchen, die niemandem wirklich helfen", unterstrich Gabriel.
Und dann noch der Eklat. Die SPD hatte mit einem für das parlamentarische Verfahren ungewöhnlichen Schritt kurzfristig den letzten Redner auf ihrer Liste durch Parteichef Sigmar Gabriel ersetzt. Dieser attackierte von der Leyen, nachdem die CDU-Politikerin bereits gesprochen hatte. Die Unionsfraktion tauschte daraufhin ihren letzten Redner ebenfalls aus, um von der Leyen ein zweites Mal reden zu lassen, diesmal als Abgeordente, nicht als Ministerin. Die Linksfraktion setzte dann aber durch, dass die Sitzung zeitweise unterbrochen wurde.
Doch von der Leyen konnte noch loswerden, was sie loswerden wollte: An Gabriel gewandt wetterte die Ministern, sie habe in ihrer einjährigen Amtszeit als Arbeitsministerin zweimal Urteile des Verfassungsgerichts umsetzen müssen, mit denen die Hartz-IV-Gesetzgebung unter Rot-Grün zu Grund und Boden gerichtet worden sei. Aber: "Bei aller Auseinandersetzung freue ich mich, dass wir mit einer solchen Begeisterung, Leidenschaft und auch Kritik diskutieren, wie wir die Chancen für bedürftige Kinder verbessern können."
Auch das war übrigens ein altes Borchert-Argument: Endlich werde um die Hartz-IV-Sätze zumindest im Parlament gefochten, und nicht mehr - wie früher - in dubiosen Verfahren in Hinterzimmern.