Das deutsche Valley:Flix wie Amazon

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Die Deutschen verstehen es nicht, ein erfolgreiches Platt­form-Unter­nehmen aufzubauen, meinen manche Digital­experten. Das sei "Quatsch", entgegnet Jochen Engert von Flix Mobility.

Von Ulrich Schäfer

Als Jochen Engert und seine beiden Mitstreiter vor fünf Jahren in München Flixbus gründeten, prüften sie weltweit, ob der Name Flix funktionieren würde. Und sie checkten auch, ob ein anderes Mobilitätsunternehmen die grelle, grüne Farbe verwendet, die sie als Erkennungszeichen für ihre Busse auserkoren hatten.

Denn Engert, Daniel Krauss und André Schwämmlein wollen mehr schaffen als bloß ein Fernbus-Unternehmen. Ihnen geht es darum, Menschen das Reisen auf der Mittel- und Langstrecke zu ermöglichen - ganz egal, mit welchem Verkehrsmittel. Und dies nicht bloß in Deutschland.

Was die Gründer von Flix Mobility, wie die Firma mittlerweile heißt, geschaffen haben, nennt man im Silicon Valley Plattform-Unternehmen. Diese haben das Ziel, in kurzer Zeit so viele Kunden wie möglich auf eine digitale Plattform zu ziehen. Häufig geht es darum, einen erstarrten Markt aufzubrechen, manchmal aber auch darum, einen völlig neuen Markt zu schaffen. Plattform-Unternehmen wachsen oft sehr schnell, zusätzlicher Umsatz ist ihnen in den Anfangsjahren wichtiger als Gewinn. Die bekanntesten sind der Onlinehändler Amazon, der Fahrdienst Uber, das soziale Netzwerk Facebook, der Messagingdienst Whatsapp und die Vermietungsplattform Airbnb.

Wenn man manchen Digitalexperten glaubt, haben die Deutschen nicht verstanden, wie man erfolgreiche Plattform-Unternehmen aufbaut. Jochen Engert hält das für "ausgemachten Quatsch". Mehr als 100 Millionen Kunden nutzten mittlerweile die Dienste von Flix Mobility. Mit mehr als 300 Partnerfirmen arbeitet das Start-up zusammen, etwa 8000 Busfahrer sind in seinem Namen unterwegs. In Deutschland beherrscht es den Fernbus-markt fast komplett. Konkurrenten wie Postbus und Mein Fernbus wurden geschluckt. Längst sind die Flixbusse in ganz Europa unterwegs, innerhalb der EU gibt es keinen vergleichbar großen Anbieter, und seit einem Monat rollen die Flixbusse auch in Kalifornien.

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv), Christoph Giesen (Peking) und Ulrich Schäfer (München) im Wechsel. (Foto: OH)

Das Münchner Start-up ist so schnell gewachsen, weil es eine der wichtigsten Regeln für Plattformen beherrscht: Halte die Kosten niedrig, überlasse Investitionen deinen Partnern. Konzentriere dich stattdessen darauf, deinen Marktplatz zu perfektionieren. Denn so wie Airbnb nicht die Wohnungen gehören, die es vermittelt, gehören Flix auch nicht die grünen Busse, deren Fahrten es vermittelt; sie sind im Besitz der Subunternehmen. Und so wie Uber seine Fahrer nicht anstellt, beschäftigt Flix Mobility auch nicht die Busfahrer, sondern überlässt dies den Subunternehmern.

Plattform-Unternehmen zeichnen sich zudem dadurch aus, dass sie in einer Nische starten, aus der sie dann herauszuwachsen versuchen. Amazon hat als Buchhändler begonnen und sich schließlich zum Händler für so ziemlich alles entwickelt. Über seinen Kundenklub Prime bietet der Internetkonzern inzwischen auch Filme und Musik an und produziert Serien.

Wenn man mit Jochen Engert über den Start in der Nische spricht, muss er lachen: "Unsere Nische ist allein in Europa ein Markt von 500 Milliarden Euro jährlich." Dieser umfasst nicht bloß die Fernbusse, sondern sämtliche Reisen auf der Mittel- und Langstrecke. Von diesem Markt bedient Flix bislang nur einen sehr kleinen Teil. Andererseits haben die Münchner längst begonnen, aus dem Bus-segment herauszuwachsen: Auf den Strecken Berlin - Stuttgart und Hamburg - Köln ist seit einigen Wochen der Flixtrain unterwegs; vom nächsten Jahr an will er der Bahn auch auf der Rennstrecke München - Berlin Konkurrenz machen.

Flix vermittelt über seine App als Alternative zu den Bussen auch Flüge

Auch mit Airlines kooperieren die Münchner: Wer die App von Flix nutzt, bekommt als Alternative zu den Bussen Flüge angezeigt. Ein Angebot, das nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert wie der Marketplace von Amazon. Über diesen vermittelt der Internetkonzern auch Waren von Hunderttausenden anderer Händler und bekommt dafür Provisionen.

Man kann das beliebig weiterspinnen. Amazon lässt inzwischen sogar Flugzeuge unter seinem Namen fliegen. Warum könnten nicht irgendwann auch Flixjets als Konkurrenz zu Easyjet und Ryanair starten? Engert mag sich auf dieses Gedankenspiel nicht wirklich einlassen, weist es aber auch nicht völlig von sich. Noch allerdings steht die Expansion ganz am Anfang. Züge zum Beispiel lassen sich nicht so schnell auf die Schiene setzen wie Busse auf die Straße; die Regulierung ist komplexer, die Investitionen für die Partnerfirmen sind höher. Andererseits könnte Flix davon profitieren, dass die EU den Markt für grenzüberschreitende Fernzüge 2019 öffnet - so wie die Firma auch davon profitiert hat, dass der Fernbus-markt in Deutschland 2013 liberalisiert wurde.

Noch muss Flix Mobility zeigen, ob es außerhalb von Europa bestehen kann. Insbesondere in den USA. Dort tritt Flix gegen so etablierte Anbieter wie Greyhound an. Einen Vorteil, sagt Engert, habe man als europäisches Start-up aber, wenn man international erfolgreich sein wolle: Wer es geschafft habe, sich in Europa durchzubeißen, mit seiner von Land zu Land unterschiedlichen Gesetzgebung, tue sich leichter, wenn es gelte, ein weiteres Land zu erschließen.

Die Geschichte von Flix Mobility zeigt: Wenn es darum geht, erfolgreiche Plattformen zu entwickeln, lohnt es nicht nur, einen Blick ins Silicon Valley oder nach Seattle zu werfen, wo Amazon zu Hause ist. Sondern auch nach München-Neuhausen, wo sich am Birketweg 33 die Zentrale von Flix Mobility befindet.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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