Grüner gegen Grünen:Cum-Ex-Aufklärer Schick attackiert Justizminister Limbach

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Er gilt als einer der hartnäckigsten Cum-Ex-Aufklärer: Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Grüne Gerhard Schick. (Foto: IPON/Imago)

120 Ermittlungsverfahren, 1700 Beschuldigte: Die Grünen streiten heftig darüber, wie einer der größten Steuerskandale in Deutschland schnell aufgeklärt werden kann. Und darüber, was die Staatsanwaltschaft so hemmt.

Von Björn Finke und Klaus Ott, Düsseldorf/München

Gerhard Schick, der für die Grünen im Bundestag saß und jetzt die Organisation Finanzwende leitet, ist einer der hartnäckigsten Cum-Ex-Aufklärer. Cum-Ex steht für einen der größten deutschen Steuerskandale, mit Schäden in Milliardenhöhe für die Staatskasse. Im Bundestag hat Schick Mitte des vergangenen Jahrzehnts dafür gesorgt, dass ein Untersuchungsausschuss aufzuklären versuchte, wie Banken und Börsenhändler den Staat jahrelang ausnehmen konnten.

Jetzt sieht Schick die weitere Aufklärung ausgerechnet durch einen Parteikollegen gefährdet; durch den nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach. Der Justizminister befürwortet Pläne, die Cum-Ex-Hauptabteilung bei der Staatsanwaltschaft Köln aufzuteilen. Unter Leitung von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ermittelt die derzeitige Hauptabteilung in 120 Ermittlungsverfahren gegen 1700 Beschuldigte, die bei dem Steuerdiebstahl mitgemacht haben sollen.

Brorhilker hat sich über Jahre hinweg einen Ruf als hartnäckige Cum-Ex-Ermittlerin erarbeitet. Jetzt soll sie einen Großteil der Fälle an eine neue, zweite Hauptabteilung abgeben. Diese soll von einem Kollegen geleitet werden, der aus dem Jugendstrafrecht kommt. Das Vorgehen des Justizministers sei "falsch und kontraproduktiv", sagt der Ex-Bundestagsabgeordnete Schick. Oberstaatsanwältin Brorhilker werde entmachtet; das sei ein "schwerer Schlag" für die Aufklärung des Steuerskandals.

Die Cum-Ex-Banker könnten "die Sektkorken knallen lassen"

Die Idee, mit zwei Hauptabteilungen die immense Zahl der Cum-Ex-Verfahren besser bewältigen zu können, sei "völlig ungeeignet". Und wenn wie geplant der zweite Hauptabteilungsleiter vom Jugendstrafrecht komme und keinerlei Erfahrung mit Wirtschaftsstrafverfahren und erst recht nicht mit Cum-Ex habe, dann sei "nichts gewonnen". Dann könne das nur Konflikte mit Brorhilker geben.

Limbach, der ehedem Richter in Köln und dann lange im Justizministerium in NRW tätig war, bevor er selbst Minister wurde, sieht das anders. Der Sohn von Jutta Limbach, der früheren Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, verteidigte sich am Mittwoch im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags gegen die Kritik: Er erkenne die "herausragenden Leistungen" Brorhilkers an, sagte er, aber es sei nötig, eine neue Hauptabteilung für "eine effizientere und zügigere Aufgabenerledigung" zu schaffen. Die bisherige Hauptabteilung sei wegen der Ermittlungen rasant gewachsen und habe inzwischen mehr Staatsanwälte als komplette Staatsanwaltschaften in mittelgroßen Städten wie Paderborn oder Siegen. Zudem sei der Fall sehr komplex. Daher könne eine einzelne Hauptabteilungsleiterin "auch bei größter Anstrengung der Aufgabenfülle nicht ausreichend Rechnung" tragen.

Das Justizministerium betrachtet also offenbar die bestehende Struktur mit nur einer Oberstaatsanwältin an der Spitze, nämlich Brorhilker, als "Flaschenhals". Wenn sich zwei Führungskräfte mit jeweils eigenen Hauptabteilungen um die vielen Cum-Ex-Fälle kümmerten, sei mit mehr Anklagen und mehr Verfahrensabschlüssen zu rechnen, heißt es im Umfeld des Ministeriums. Niemand wolle noch 20 Jahre auf den letzten Cum-Ex-Strafprozess warten.

Limbachs grüner Parteikollege Schick befürchtet das Gegenteil. Diese "verfehlte Aktion" könne darauf hinauslaufen, "zahlreiche Verfahren einzustellen, um so schneller voranzukommen". Viele Geschäftemacher, die der Gesellschaft großen Schaden zugefügt hätten, "würden somit wieder einmal davon kommen", argwöhnt Schick. Mehr als einmal hätten "politische Fehlentscheidungen die Sektkorken bei Cum-Ex-Bankern knallen lassen". Heute sei wohl wieder so ein Tag. "Das ist bitter für alle ehrlichen Steuerzahler." Die von Schick gegründete und geleitete Organisation Finanzwende setzt sich dafür ein, Steuerhinterziehung, Geldwäsche und andere Finanzdelikte mit schärferen Gesetzen und besser ausgestatteten Ermittlungsbehörden konsequenter zu bekämpfen.

Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende hatten zahlreiche Banken und Börsenhändler die Finanzbehörden trickreich getäuscht und sich eine lediglich einmal gezahlte Steuer auf die Dividendenerlöse vom Fiskus mehrmals erstatten lassen. Der Bundesgerichtshof hat inzwischen entschieden, dass dieser Griff in die Staatskasse kriminell war. Steuerfahnder gehen von einer hohen Dunkelziffer jenseits der offiziell bekannten Fälle aus und schätzen den Gesamtschaden auf mehr als zehn Milliarden Euro.

Die Staatsanwaltschaft soll illegale Gewinne schneller abschöpfen

Brorhilker wie Limbach stehen unter Druck, die Ermittlungen rascher als bisher voranzutreiben und möglichst viel Geld in die Staatskasse zurückzuholen. Bei einer früheren Sitzung im Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags hatte die SPD-Opposition vorgerechnet, dass es alleine in NRW um 1,5 Milliarden Euro gehe. Mit diesem Geld könne man Kindergärten, Schulen und auch die Justiz besser ausstatten. Wahrscheinlich sei es aber so, dass die Staatsanwaltschaft Köln vor lauter Arbeit untergehe. Das befürchten offenbar auch Limbach und das Justizministerium.

Aus Kreisen der schwarz-grünen Landesregierung ist außerdem zu hören, dass dort auf eine schnellere Abschöpfung von illegalen Gewinnen aus Cum-Ex-Deals gedrängt werde. Brorhilker soll aber nicht an schnellem Geld, sondern an viel Geld gelegen sein. Mit den Fällen befasste Anwälte sagen, die Cum-Ex-Ermittlerin wolle so weit wie nur irgend möglich aufklären, welche Banken und Börsenhändler welche Schuld auf sich geladen hätten. Um dann hohe Beträge abzuschöpfen. Anwaltskreisen zufolge wäre es vielen Banken aber lieber, schnelle Deals zu machen, um glimpflicher davon zu kommen.

Minister Limbach sprach sich aber am Mittwoch im Rechtsausschuss ebenfalls gegen schnelle Deals aus, mit denen Verantwortliche glimpflich davonkämen: "Ein praller Geldbeutel darf nicht vor Strafe schützen. Die Drahtzieher und Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Schick wiederum befürchtet, dass das eigentliche Problem überhaupt nicht angegangen werde. Es gebe viel zu wenige Beschäftigte bei der Polizei, die "bei der Auswertung der immensen Datenmenge und auch anderweitig helfen" und so der Staatsanwaltschaft Köln kräftig zuarbeiteten: "Dieser Flaschenhals besteht weiter."

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