Contact-Tracing:Diese App ist ein guter Anfang

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Die Corona-Warn-App kann helfen, Ansteckungsgefahren zu reduzieren und wird auch von kritischen Datenschützern akzeptiert. Das Risiko für den Einzelnen ist minimal, die Chance für die Gesellschaft ist groß.

Kommentar von Simon Hurtz, Berlin

Wenn ein Münchner zufrieden ist, dann sagt er: nichts. "Ned gschimpft is globt gnua" heißt es auf Bairisch. Diese Haltung teilen auch viele Datenschützer und IT-Experten - wer nicht meckert, ist einverstanden. Für die deutsche Corona-Warn-App, die am Dienstag offiziell gestartet wurde, bedeutet das: Bereits die Tatsache, dass es bislang kaum Kritik von Spezialisten gibt, ist eine Auszeichnung, die das Vertrauen der Allgemeinheit stärken sollte.

Der Programmcode der App steht seit einigen Wochen online. IT-Sicherheitsforscher haben ihn Zeile für Zeile überprüft und verbessert, aber keine schwerwiegenden Sicherheitslücken gefunden. Der Chaos Computer Club, der "aus grundsätzlichen Erwägungen noch nie ein Produkt oder eine Dienstleistung empfohlen" hat, kommt einer Empfehlung so nah wie möglich: Die Hacker hatten angekündigt, bei Bedenken vor der App zu warnen. Sie tun es nicht. Stattdessen loben sie die Transparenz der Entwicklung: "Die App ist das erste große öffentlich finanzierte Open Source Projekt in Deutschland", sagt Sprecher Linus Neumann. "Da kann sich die Bundesregierung doch auch mal auf die Schulter klopfen."

Das kann sie tatsächlich. Zwar ist bei der Corona-App einiges falsch gelaufen. Die Kommunikation wirkte unkoordiniert, Ministerien und Kanzleramt schienen überfordert zu sein. Auch die Berichterstattung trug teils zur Verunsicherung bei: Wer das Thema nur über Eilmeldungen und Überschriften verfolgte, konnte den Eindruck bekommen, die Regierung plane ein großangelegtes Überwachungsprojekt. Doch die Tracing-App ist eben keine Tracking-App, niemand wird verfolgt, das System schützt die Privatsphäre und stellt auch den Bundesdatenschutzbeauftragten zufrieden. Wer einem Menschen begegnet, der das Virus in sich trägt, wird nachträglich gewarnt - ohne die Identität der Nutzer zu entblößen.

Die Technologie hat Schwächen: Weil noch nicht alle Testlabore in der Lage sind, QR-Codes auszuhändigen, müssen manche Infizierte ihre Diagnose über eine Telefon-Hotline bestätigen - Symptom eines Gesundheitssystems, das die Digitalisierung verschlafen hat. Wie zuverlässig der Bluetooth-Funkstandard funktioniert, wird sich erst im laufenden Betrieb zeigen. Außerdem spricht vieles dafür, die Datenerhebung, selbst wenn sie minimal ausfällt, klar zu regeln. Opposition und Bürgerrechtler fordern zu Recht ein Begleitgesetz, die Regierung hält das bislang nicht für nötig.

Keiner dieser Kritikpunkte ist ein Grund, die App nicht zu nutzen. Für den Einzelnen ist das Risiko gering, für die Gesellschaft ist die Chance groß. Keine Technologie der Welt wird eine Pandemie im Alleingang aufhalten, aber selbst wenn sie nur einen geringen Beitrag leistet, waren die 20 Millionen Euro Entwicklungskosten gut investiert. Wer die Warnungen beherzigt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch andere: Kranke, Alte und Menschen, die keine geeigneten Smartphones besitzen. Dass die App nur auf modernen Geräten funktioniert, liegt nicht an den Entwicklern, sondern an Apple und Google.

Wer in ein Auto steigt, muss sich anschnallen. Wer derzeit einkaufen will, muss einen Mundschutz tragen. Die Corona-Warn-App muss dagegen niemand installieren. Das ist richtig und wichtig. Umfragen zeigen, dass die Akzeptanz der Maßnahme vor allem von zwei Kriterien abhängt: Datensicherheit und Freiwilligkeit. Deutschland ist nicht China: Die Bundesregierung darf Menschen nicht nötigen, sie muss sie überzeugen. Die erste Version der App ist ein guter Anfang.

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