Luftfahrt:Ein neuer Airbus-Konkurrent aus China

Lesezeit: 3 min

Comac hat seine "C919" bei der Singapore Airshow präsentiert. (Foto: EDGAR SU/REUTERS)

Der Hersteller Comac stellt in Singapur erstmals auf internationaler Bühne sein Mittelstreckenflugzeug "C919" vor. Richtig ernst nehmen es westliche Rivalen aber noch nicht.

Von Jens Flottau, Singapur

Wenn einer etwas Genaueres wissen müsste über dieses neue Flugzeug, dann ist es Cham Chi. Der ehemalige Pilot von China Eastern Airlines ist gerade dabei, in Brunei eine neue Fluggesellschaft namens Gallop Air zu gründen. Und Gallop Air soll die erste nicht-chinesische Fluggesellschaft sein, die das Kurz- und Mittelstreckenflugzeug C919 des chinesischen Herstellers Comac bekommt.

Comac hat in dieser Woche die Singapore Airshow dominiert, zumindest in der Außendarstellung. Normalerweise parken auf dem Vorfeld vor allem Maschinen von Airbus, Boeing, Embraer und Bombardier - alles altbekannte Marken also - und in den Konferenzräumen werden dann die Aufträge verkündet, die sie in den Stunden zuvor noch schnell in den Chalets der Ausstellung fertigverhandelt haben. Doch dieses Mal ist es anders: Boeing hat keine Spitzenleute geschickt und schon gar kein Flugzeug. Den frei gewordenen Platz auf dem Gelände übernahm dankend Comac und stellte gleich drei Maschinen dort ab. Die C919 und der Airbus A350-1000 waren die einzigen Passagiermaschinen, die an den täglichen Flugvorführungen teilnahmen.

Die C919 ist Chinas Antwort auf die westlichen Verkaufsschlager Airbus A320 und Boeing 737, die ersten vier Maschinen fliegen bei China Eastern Airlines. Seit Jahrzehnten dominieren die beiden Hersteller den zivilen Markt auch in Asien, doch das soll sich ändern. China baut eine eigene Luftfahrtindustrie mit der C919 an der Spitze auf. Selbst Airbus' Commercial-Chef Christian Scherer findet das "ziemlich legitim". Und so haben vor allem staatliche chinesische Fluggesellschaften rund 800 Maschinen des neuen Typs bestellt, zuletzt Tibet Airlines 40, wie Comac in Singapur verkündete.

Die Frage ist nur, was das Flugzeug überhaupt kann und ob es Airbus und Boeing als Konkurrent ernst nehmen müssen. Comac selbst hatte dazu in Singapur kaum Antworten. Interviews lehnte das Unternehmen mit dem Hinweis ab, das Management sei zu sehr mit Kundengesprächen beschäftigt. An einem großen Stand in der Ausstellungshalle lagen Broschüren aus, an einer Wand hatte Comac Miniaturmodelle geparkt.

Die Maschine ist bisher nur in China zugelassen

Ein paar wenige durften in Singapur einen Blick in das echte Flugzeug werfen. Bilder zeigen ein modernes Cockpit, sehr ähnlich dem eines Airbus, in dem der Jet per Sidestick gesteuert wird, eine sehr aufgeräumte Kabine mit großen Staufächern sowie Küchen und Toiletten, wie man sie aus den westlichen Jets kennt.

Ein Vergleich offizieller Zahlen zeigt Folgendes: Die C919 befördert bis zu 174 Menschen über 3000 nautische Meilen (5556 Kilometer). Der Airbus A320 und die Boeing 737 kommen auf maximal 194 respektive 210 Sitze und 3400 respektive 3550 nautische Meilen. Sprich: Pro Sitze gerechnet dürfte die C919 deutlich schwerer sein als die westlichen Konkurrenten und damit auch deutlich schlechter im Verbrauch. Zudem ist die C919 bisher nur in China zugelassen. Das in Europa und den USA bei den führenden Luftfahrtbehörden European Union Aviation Safety Agency (EASA) und Federal Aviation Administration (FAA) nachzuholen, ist ein aufwendiges Verfahren, aber prinzipiell möglich. Jedes neue Flugzeug braucht auch ein teures Netz an Wartungsstationen und muss zuverlässig mit Ersatzteilen versorgt werden. Bis das alles steht, wird es dauern.

Und Comac fährt die Produktion nur langsam hoch. 2024 sollen es zwischen 20 und 30 Maschinen sein, 2025 etwa doppelt so viele und 2029 rund 70 - das wären dann weniger, als Airbus in einem Monat baut. Große Anteile am Weltmarkt lassen sich da nicht erschließen, bis auf Weiteres reicht es wohl nur dafür, Airbus und Boeing einen Teil der Aufträge heimischer Fluggesellschaften abzunehmen.

Dabei stellt sich die Frage, wie chinesisch die C919 eigentlich noch ist. Wesentliche Komponenten wie Motoren (CFM International), Fahrwerk (Liebherr) oder Avionik (Collins Aerospace) werden von westlichen Spezialisten geliefert, vor allem Flugzeugkonstruktion und Endmontage liegen in chinesischen Händen. Das ist ein Vorteil, weil China in vielen Spezialdisziplinen (unter anderem Flugmotorenbau) noch nicht so weit ist, aber auch ein Risiko: bei eskalierenden politischen Spannungen etwa mit den USA könnte Comac eines Tages den Zugriff auf wichtige Bauteile verlieren, bevor die Kompetenzen dafür im Land selbst vorhanden sind. Wozu so etwas führen kann, erlebt gerade die von Wirtschaftssanktionen besonders getroffene russische Luftfahrt: Die neue MS-21, auch ein Flugzeug für Kurz- und Mittelstrecken, muss deswegen in wesentlichen Bereichen neu ausgerüstet werden - was jahrelang dauert.

Chinesische Banken locken mit günstigen Leasingangeboten für die Flugzeuge

Gallop-Air-Chef Chi hat 15 C919 bestellt. Er will mit den Maschinen von Brunei aus ein Streckennetz in Südostasien erschließen. Doch wann er sein erstes Flugzeug bekommt, weiß er noch nicht. "Wahrscheinlich in zwei bis drei Jahren", sagt er. Operative Daten aus den ersten Monaten des Einsatzes bei China Eastern sind für die anderen Kunden kaum zu bekommen. Dafür locken chinesische Banken mit äußerst günstigen Leasingangeboten für die Flugzeuge.

Airbus-Manager Scherer betrachtet Comac "in der Zukunft als Konkurrenten". Sprich: heute eher nicht. Die Maschine, die er vom Airbus-Chalet in Singapur aus betrachten kann, "sieht aus wie etwas, was Airbus und Boeing heute schon anbieten". Daher werde die C919 "nicht das Boot rocken".

Das sehen nicht alle so. Peter Bellew, Chef der saudischen Riyadh Air, hält die C919 für das "bestgehütete Geheimnis" unter den Flugzeugen, wie er bei einer Podiumsdiskussion in Singapur sagte. "Ich würde Comac keine Minute lang unterschätzen. Mit denen muss man rechnen." Bellew spricht natürlich nicht ohne Hintergedanken: "Für die Airlines wäre es großartig, eine dritte Kraft bei den Herstellern zu haben." Und sei es nur, um bei den nächsten Kaufverhandlungen die Preise ein wenig drücken zu können.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGerechtigkeit
:Warum Opa umziehen sollte

Ältere Menschen leben oft allein in vier Zimmern oder in Einfamilienhäusern. Das verknappt den Markt für junge Familien. Lässt sich das nicht besser verteilen? Höchste Zeit für ein paar Vorschläge.

Ein Essay von Nils Wischmeyer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: