Es war so etwas wie ein kollektiver Stoßseufzer, den man am Mittwochmorgen aus lauter mit zu vielen Büchern vollgestopften Wohnungen in Brooklyn, an der Upper West Side, in Harlem hören konnte, den Vierteln, in denen Lektoren, PR-Leute, Gestalter, Kritiker und die vielen anderen wohnen, die in New York ihr Leben mit Büchern verdienen. Amazon, so meldeten die iPhones, wolle den Verlag Simon & Schuster übernehmen. Würde sich das Gerücht bestätigen, würde ein Albtraum der literarischen Welt wahr - und nicht nur in den USA.
Immerhin so viel scheint sicher zu sein: Wenn Jeff Bezos, der Gründer und CEO von Amazon, sich mit Les Moonves trifft, dem Chef des Mediengiganten CBS, der Mutterfirma von Simon & Schuster, dann steht einiges auf dem Spiel. Moonves heizte die Spekulationen noch an, als er sagte: "Amazon hat eine sehr entschiedene Position dazu, was im Verlagsgeschäft passieren sollte. Es wird sehr interessant sein, das zu beobachten."
Was auch immer Amazon mit dem Verlag, einem der amerikanischen "Big Five" zu besprechen hat - es sieht ganz so aus, als nähme die schon drei Monate währende Auseinandersetzung zwischen Amazon und Verlagen in den USA, Großbritannien und Deutschland an Dramatik zu.
Es hatte harmlos begonnen: Kunden und Autoren fiel auf, dass Bücher der Verlagsgruppe Hachette, die ebenfalls zu den "Big Five" gehört, bei Amazon erstaunlich lange Lieferzeiten hatten; dass sie zum Listenpreis angeboten wurden, nicht wie üblich weit darunter; dass neue Titel sich nicht mehr vorbestellen ließen.
Man möge die Bücher doch bitte einfach bei der Konkurrenz kaufen
Aus Deutschland kamen ähnliche Berichte: Auf Bücher aus den Verlagen der Bonnier-Gruppe, darunter Piper, Carlsen und Berlin Verlag, müssen die Kunden Tage und Wochen warten. Business as usual, erklärte Amazon nach langem Schweigen, "laufende Verhandlungen". Man möge die Bücher doch bitte einfach bei der Konkurrenz kaufen. Amazon, das aus eigener Sicht "verbraucherfreundlichste", für viele indes gierigste Unternehmen der Welt schickt seine Kunden zur Konkurrenz? Spätestens da war klar, dass Krieg herrschte und dass Amazon nicht vor der "nuklearen Option" zurückschreckte, wie ein Autor es nannte.
Erst viel später verrieten Amazon und die Verlage, worüber sie stritten: Amazon will von Hachette höhere Rabatte für E-Books: 50 statt wie bisher 30 Prozent. Amazon, der selbsternannte Robin Hood der Konsumenten, klopft sich für seinen Boykott gegen Hachette und Bonnier auf die Brust: "Die Konditionen, zu denen wir handeln, bestimmen, wie gut die Preise sind, die wir den Kunden bieten können", so Amazon-Mann Russ Grandinetti. "Wir haben immer für das Wohl der Verbraucher gekämpft." Doch die Argumente überzeugen nicht, erst recht nicht in Deutschland, wo auch E-Books der Preisbindung unterliegen, die Rabatte also nur Amazon selbst zugutekommen würden.
In Wahrheit, daran zweifelt niemand, hat es Amazon auf mehr abgesehen als höhere Profite. Amazon will die Verlagslandschaft neu organisieren, will außer Händler auch Verleger sein und die Verlage überflüssig machen. Vor Jahren schwor Bezos seine Firma darauf ein, kleine Verlage "zu behandeln wie ein Gepard eine kränkliche Gazelle". Nun sind auch die großen dran.
So wenig plausibel es zunächst klingt: Die E-Book-Rabatte spielen dabei eine entscheidende Rolle. Der Autorenanteil bemisst sich bei E-Books traditionell nicht am End-, sondern am Großhandelspreis. Je niedriger also der Einkaufspreis für Amazon ist, desto weniger verdient der Autor. Amazon, dessen eigener E-Book-Verlag nach völlig anderen Prinzipien funktioniert, beteiligt seine E-Book-Autoren hingegen mit bis zu 70 Prozent an den Umsätzen.
"Je schlechter also - dank Amazons Forderungen - die Konditionen für Autoren der Verlage werden, desto eher werden sie versucht sein, ihre Bücher bei Amazon zu veröffentlichen", so der Berliner Literaturagent Matthias Landwehr. Amazon wolle den alten Verlagen die Autoren abjagen. Die letzten Zweifel daran räumte Amazon kürzlich selbst aus, als es Hachette ein vergiftetes Angebot machte: Beide Seiten sollten 100 Prozent der E-Book-Einnahmen den Autoren überlassen. Das könnte sich Amazon leisten, Hachette nicht.
Mit dem Verlagseinstieg könnte sich der Buchmarkt verändern
Auf Amazons Ambitionen deuten auch die Forderungen an britische Verlage hin. Denen versucht Amazon, nicht nur immer mehr Gebühren abzupressen - etwa für gute Plätze in der Empfehlungsliste - , sondern auch das Recht, Bücher, die nicht sofort geliefert werden können, selbst zu drucken. Amazon-Chef Bezos will die ihm verhassten Mittelsmänner aus dem Weg räumen, weil er so alle Einnahmen behalten kann. Er will die Daten, die die Firma über jeden Kunden angehäuft hat, schon bei der Herstellung, nicht erst beim Verkauf von Produkten nützen. Und vielleicht glaubt er wirklich daran, dass vermeintlich elitäre Qualitätskontrolleure wie Verlage Kreativität behindern, wie er behauptet.
Im nun anhebenden Wehklagen der Buchbranche ist viel Heuchelei, auch in Deutschland: Jahrelang arbeiteten die Verlage gern mit Amazon zusammen, während sie noch gegen die Hugendubels und Thalias kämpften. Der Buchhandel wiederum brüstete sich mit seinem hervorragenden Bestellsystem.
Das Aberwitzige ist, dass Amazon sich beim Kampf mit den Verlagen auf Demokratie, Offenheit und Wettbewerb beruft, während es sich eine Marktstellung erkämpft, wie sie Staatsbetriebe im Sozialismus hatten. An den Auseinandersetzungen mit Hachette, Bonnier und - vielleicht - Simon & Schuster könnte sich die Zukunft des Buchs entscheiden. Wenn diese Verlage einknicken, werden die anderen kaum Widerstand leisten können.