Wer mit britischen Unternehmern spricht, bekommt oft einen Satz zu hören: "Sicher ist nur die Unsicherheit." Die Manager wissen nicht, was der Brexit für ihre Branchen genau bedeuten wird. Sie wissen nicht, ob Geschäfte mit dem Festland von 2019 an komplizierter werden, ob sie weiter problemlos EU-Ausländer beschäftigen dürfen. Diese Ungewissheit schadet der Wirtschaft, sie kostet Investitionen. Premierministerin Theresa May gelang nun etwas schwer Vorstellbares: Die Chaos-Queen aus der Downing Street schaffte es, die Unsicherheit im Lande noch zu vergrößern.
Sie hatte Neuwahlen ausgerufen, um die absolute Mehrheit ihrer Konservativen Partei auszubauen; sie wollte sich vor den Brexit-Verhandlungen ein bequemeres Polster im Parlament zulegen. Doch tatsächlich verzockte May ihre Mehrheit. Jetzt will sie mit der nordirischen Kleinpartei Democratic Unionist Party DUP weiterregieren, die bei wichtigen Abstimmungen Mays Tories unterstützen soll.
Die Gefahr eines chaotischen Brexit sinkt zumindest
In Großbritannien sind darum nicht mehr nur die zukünftigen Handelsbeziehungen unsicher. Auch die Zukunft der Regierung ist höchst ungewiss: Wird May vor den nächsten Wahlen zurücktreten? Wahrscheinlich. Wird es im Parlament eine Mehrheit für ihren knallharten Brexit-Kurs geben? Eher unwahrscheinlich.
Mays Minderheitsregierung von Gnaden der DUP wird es zudem schwerfallen, andere wichtige Projekte durchzubekommen. Etwa die Erlaubnis für den überfüllten Flughafen London-Heathrow, eine dritte Startbahn zu bauen. Darüber muss das Parlament bald abstimmen. Mays Schatzkanzler wird weiter sparen müssen, um das Haushaltsdefizit zu verringern. Doch Mehrheiten für unbeliebte Einschnitte zu finden, wird mühsam werden. Zumal die DUP als Preis ihrer Unterstützung mehr Geld für das abgehängte Nordirland verlangen wird. Statt sich um die Probleme des Landes zu kümmern, wird Mays Regierung vor allem damit beschäftigt sein, knappe Mehrheiten zu organisieren und Abweichler auf Linie zu bringen.
Erfreulich ist immerhin, dass May nach der Wahlniederlage Kompromisse beim Brexit-Kurs eingehen muss. Vor der Abstimmung wiederholte sie ständig, Großbritannien werde die EU zur Not ohne Handelsvertrag verlassen, denn "kein Abkommen ist besser als ein schlechtes". Genauso ausdauernd warnen Manager und Ökonomen, es würde dem Land massiv schaden, wenn es keinen Freihandelsvertrag gäbe und Zölle eingeführt würden. Forderungen der EU nach einer hohen Ausgleichszahlung wies die Regierung brüsk zurück. Und die Zahl der Einwanderer will May drastisch senken, auch wenn das die Wirtschaft belastet.
Wahl in Großbritannien:Steht Theresa May kurz vor dem Sturz?
Ihre engsten Berater mussten gehen, das mögliche Bündnis mit der DUP ist wacklig und der frühere Finanzminister nennt sie "eine lebende Tote". Eine Premierministerin unter Druck.
Einen Verbleib im Binnenmarkt oder gar der EU wird es wohl nicht geben
Um ihre Mehrheit zu sichern, muss die glücklose Premierministerin jetzt den Kritikern in der eigenen, arg dezimierten Fraktion entgegenkommen. Sie muss die Bedenken von Abgeordneten zerstreuen, denen die Zukunft britischer Jobs deutlich wichtiger ist als die Zahl der Migranten oder die Höhe irgendwelcher Überweisungen nach Brüssel.
Außerdem muss May mehr Rücksicht auf die Befindlichkeiten in Schottland nehmen: Während die Tories in England und Wales Mandate verloren haben, steigerten sie die Zahl ihrer Abgeordneten aus Schottland von eins auf 13. Nur dank dieser neuen Parlamentarier kann May überhaupt eine Minderheitsregierung bilden. Allerdings stimmten die Schotten beim EU-Referendum mit großer Mehrheit gegen den Austritt. Daher werden sich diese Tory-Abgeordneten wohl für einen eher sanften Brexit einsetzen.
Die Partei DUP aus Nordirland unterstützt Mays Brexit-Kurs. Sie will aber zugleich sicherstellen, dass zwischen Irland und Nordirland nach dem Austritt keine Grenzkontrollen eingeführt werden. Dazu passt kein Gerede von einem Goodbye ohne Abkommen mit Brüssel.
Manche Europa-Freunde im Königreich hoffen sogar, das Land werde nach Mays Wahlschlappe doch in der EU bleiben - oder zumindest im Binnenmarkt. Diese Hoffnung dürfte trügen: Beide großen Parteien, die Konservativen und Labour, versprechen in ihren Programmen, dass der Staat die Union verlässt. Beide Parteien legten sich außerdem fest, die Einwanderung aus der EU kontrollieren zu wollen. Am Binnenmarkt können aber nur Länder teilnehmen, die unbegrenzt Einwanderung aus Europa erlauben.
Eine neue Volksabstimmung über den Austritt schließen Konservative und Labour aus. Die Liberaldemokraten dagegen forderten so ein Referendum - und verloren Stimmen im Vergleich zu 2015.
Der Brexit kommt also. Doch die Gefahr eines chaotischen Austritts ohne Handelsvertrag ist gesunken. Dafür haben die Briten nun zu Hause Chaos.