Brexit:Zoll um Zoll

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Straßenmusiker im nordirischen Belfast. Nordirland profitiert wegen der Zollvorschriften vom Brexit. (Foto: Peter Morrison/AP)

Die USA wollen Zölle auf Stahlimporte aus Großbritannien offenbar erst rückgängig machen, wenn der Nordirland-Streit zwischen London und Brüssel geklärt ist.

Von Alexander Mühlauer, London

Im Londoner Regierungsviertel hört man diese Geschichte nicht besonders gern, aber sie ist nun mal genau so passiert. Als Joe Biden kurz nach seiner Wahl zum US-Präsidenten von einem BBC-Reporter um ein paar Worte gebeten wurde, antwortete er: "Die BBC? Ich bin Ire." Dann grinste er und ging weiter.

Dass Joe Biden stolz auf seine irischen Wurzeln ist, durfte auch der britische Premier Boris Johnson schon des Öfteren erfahren. Der US-Präsident zitiert in seinen Reden nicht nur irische Dichter, er steht auch in politischen Auseinandersetzungen fest an der Seite Irlands, besonders in Sachen Brexit. Biden mahnte Johnson bereits mehrfach, den Frieden auf der irischen Insel nicht zu gefährden. Doch wie es aussieht, haben Johnsons ständige Drohungen im Streit mit der EU nun zu Konsequenzen in Washington geführt, die für den Premier einen schweren Rückschlag bedeuten würden.

Die Financial Times berichtete am Donnerstag, dass die Vereinigten Staaten so lange an Zöllen auf Aluminium- und Stahlimporten aus Großbritannien festhalten wollen, bis der Nordirland-Streit zwischen London und Brüssel geklärt sei. Die britische Zeitung beruft sich auf eine Quelle im US-Wirtschaftsministerium. Demnach sei Johnsons Regierung darüber informiert worden, dass auf amerikanischer Seite die Sorge bestehe, London könnte Teile des mit der EU geschlossenen Brexit-Vertrags eigenmächtig außer Kraft setzen.

Dublin warnt London davor, den Frieden auf der irischen Insel zu gefährden

Es geht dabei um das sogenannte Nordirland-Protokoll. Dieses ist Teil des 2019 geschlossenen Austrittsvertrags und soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich Nordirland trotz Brexits weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Logische Folge ist allerdings, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Nach Auffassung der britischen Regierung haben diese Kontrollen zu schwerwiegenden Problemen in der nordirischen Wirtschaft und Gesellschaft geführt, die es London erlauben würden, sich auf eine Notstandsklausel im Vertrag zu berufen, den Artikel 16. Mit diesem könnte Johnson Teile des Brexit-Abkommens aussetzen.

Laut Financial Times gibt es in der Regierung in Washington und im US-Kongress Bedenken, dass Großbritannien genau das vorhat. Die irische Regierung fürchtet, dass London damit den immer noch fragilen Frieden auf der irischen Insel gefährden könnte - und damit das Karfreitagsabkommen von 1998, das die jahrzehntelange Gewalt in Nordirland beendete.

Noch laufen die Verhandlungen zwischen London und Brüssel. Seit Wochen treffen sich die Chefverhandler zum Austausch, auch an diesem Freitag wieder. Der britische Brexit-Minister Lord David Frost hatte zuletzt einen sanfteren Ton gegenüber der EU angeschlagen, aber beteuert weiterhin, dass London den Artikel 16 ziehen werde, sollte es zu keiner Einigung mit Brüssel kommen.

Nordirland hat sich vom Corona-Schock schneller erholt als der Großraum London

Eines der Argumente Frosts sind die angeblich negativen Auswirkungen des Brexit-Vertrags auf die nordirische Wirtschaft. Doch in dieser Woche zeigten Zahlen des britischen Statistikamtes, dass es eben dieser ziemlich gut geht. Im Vergleich zu anderen Landesteilen des Vereinigten Königreichs hat Nordirland die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie weitaus besser weggesteckt. So lag die nordirische Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2021 nur um 0,3 Prozent unter jenem Wert vom vierten Quartal 2019. Nordirland hat sich den Zahlen des Statistikamtes zufolge sogar schneller erholt als der Großraum London, das wirtschaftliche Kraftzentrum des Landes.

Als Grund dafür sehen viele Ökonomen die Tatsache, dass Nordirland nach dem Brexit de facto weiter Teil des EU-Binnenmarktes ist. Anders als Unternehmen in Wales, Schottland und England können jene in Nordirland weiterhin ohne große bürokratische Hürden mit Firmen in der EU Handel treiben - und mit denen in Großbritannien auch. Kein Wunder, dass der Frachtumschlag in den nordirischen Häfen seit dem britischen EU-Austritt deutlich gestiegen ist.

Während die nordirische Wirtschaft also mitunter vom Brexit profitiert, gibt es in der Gesellschaft einen tiefen Graben. Die Unionisten, also der loyalistisch-protestantische Teil der Bevölkerung, fühlen sich nicht mehr als gleichwertiger Teil des Vereinigten Königreichs. In ihren Augen wurde mit dem Brexit eine Grenze in der Irischen See errichtet. Sie sehen die Warenkontrollen als Angriff auf die Einheit des Königreichs.

Johnson steckt nun in der Zwickmühle. Einerseits will er, dass die von Ex-US-Präsident Donald Trump erlassenen Zölle auf Stahl- und Aluminium-Einfuhren aus Großbritannien abgeschafft werden. Dafür müsste er aber mit seinen Drohungen in der Nordirland-Frage aufhören. Das britische Handelsministerium teilte zwar mit, dass man keine Verbindung zwischen diesen beiden Themen sehe, aber aus Washington kommen ganz andere Signale.

Eigentlich wollte Johnson nach dem Brexit einen Freihandelsvertrag mit den USA schließen. Doch das ist seit Bidens Wahlsieg in weite Ferne gerückt. Jetzt geht es erstmal um die Zölle auf Stahl und Aluminium. Trump hatte diese 2018 auf Einfuhren aus der EU verhängt. Die Zölle wurden von Biden im Oktober dieses Jahres zurückgenommen. Für Großbritannien bleiben sie aber weiter in Kraft, schließlich gehört das Land nicht mehr zur EU.

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