Die Geldstrafe an sich werden dem Flugzeughersteller Boeing und seinem ehemaligen Chef Dennis Muilenburg wenig bis gar nicht wehtun. 200 Millionen Dollar muss der Konzern zahlen, eine Million Dollar der ehemalige Vorstandschef, ein kleiner Bruchteil der Abfindung, die er nach seinem Rauswurf Ende 2019 erhalten hat. Viel mehr schmerzen wird die Begründung, mit der die amerikanische Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) nun im Nachgang zu den Abstürzen von zwei Maschinen des Typs Boeing 737 Max geurteilt hat: Boeing habe die Öffentlichkeit mit irreführenden Aussagen hinters Licht geführt, Muilenburg selbst sei den einfachsten Pflichten als Konzernlenker nicht nachgekommen.
Innerhalb weniger Monate waren im Oktober 2018 und März 2019 zwei Maschinen des Typs, betrieben von Lion Air und Ethiopian Airlines, abgestürzt. 346 Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Wie sich herausstellte, war in beiden Fällen ein neues Flugsteuerungssystem die Hauptursache, dessen Funktion weder Piloten noch den Fluggesellschaften bekannt waren. Das Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS) griff unbemerkt wiederholt und so massiv in die Steuerung ein, dass die Crews die Kontrolle über die Maschinen verloren. Flugsicherheitsbehörden erließen im März 2019 ein weltweites Flugverbot für die Max-Modelle, das in den USA erst im November 2020 und in Europa Anfang 2021 aufgehoben wurde.
Boeing habe gewusst, wie problematisch das neue Flugsteuerungssystem war
In dem SEC-Verfahren ging es darum, zu klären, ob Boeing und Muilenburg ihren Informationspflichten gegenüber der Öffentlichkeit und insbesondere den Investoren nachgekommen waren. Die klare Antwort: Nein. Boeing und Muilenburg hätten "Investoren in die Irre geführt, indem sie Zusicherungen über die Sicherheit der 737 Max gegeben haben, obwohl sie von ernsten Sicherheitsbedenken wussten". Konkret wirft die SEC Boeing vor, nach dem ersten Absturz von Lion Air im Oktober 2018 in einer Pressemitteilung die Schuld eher auf die Wartung und Piloten der Lion Air geschoben zu haben. Zu diesem Zeitpunkt wussten sie nach einer internen Untersuchung schon, wie problematisch MCAS war, und hatten damit begonnen, eine neue, entschärfte Version der Software zu entwickeln. Muilenburg hatte persönlich das Statement freigegeben.
Nach dem zweiten Absturz hatte Muilenburg öffentlich erklärt, dass Boeing die vorgeschriebenen Entwicklungs- und Zulassungsverfahren genau einhalte. Dabei war ihm schon damals bekannt, dass seine Mitarbeiter die Federal Aviation Administration nur sehr unzureichend über die Funktionsweise des Systems informiert hatten. Besonders dramatisch sind die Verfehlungen nicht wegen der Investoren, sondern wegen der Opfer: Hätte Boeing früher ehrlicher über die eigenen Fehler kommuniziert, wäre mit einem früheren Flugverbot vielleicht zumindest der zweite Absturz vermeidbar gewesen.
Das sieht zumindest der Chicagoer Rechtsanwalt Robert Clifford so, der 70 Opfer des Ethiopian-Absturzes vertritt. "Muilenburg oder jeder andere, der die Regierung davon überzeugt hat, die 737 Max weiter fliegen zu lassen, sollte wegen seines Verhaltens untersucht werden, das kriminell gewesen sein könnte." Die SEC-Strafe in Höhe von nur einer Million Dollar sei "eine Beleidigung" für die Opfer.
Boeing betonte in einer Reaktion, man habe breite und tiefe Änderungen infolge der Unfälle gemacht, unter anderem in der "Sicherheitskultur, Qualität und Transparenz".