Accenture, Cisco, IBM, J. P. Morgan, Mitsubishi, Intel, Fujitsu, Wells Fargo . . . man kann sagen, dass es schon weniger prominente Zusammenschlüsse von Firmen gegeben hat. Die genannten sind fest entschlossen, ihren Platz in der Technologie- und Finanzwelt zu behaupten, indem sie sich - Überraschung! - einer Innovation verpflichten. Unter dem Dach der Linux-Foundation, einem gemeinnützigen Konsortium, das freie Software in der Welt verbreitet, wollen sich die Industrie- und Service-Giganten künftig der Technologie der Blockchain widmen.
Der was? In der Tat, der Begriff der "Blockchain" ist bislang eher wenigen Menschen bekannt. Das dürfte bald anders sein, denn es sieht ganz danach aus, als änderte die Blockchain früher als später sehr viel: die Art und Weise, wie Verträge zustande kommen, wie Bankgeschäfte ablaufen, wie Rechte, zum Beispiel Urheberrechte, verwaltet werden oder wie Grundbücher gehandhabt werden. Der Zusammenschluss der Firmen ist in Anbetracht dieses ökonomischen und gesellschaftlichen Potenzials nur ein kleiner Schritt auf dem Weg in eine Welt mit Blockchain.
Bitcoins sind sicher
Aber worum geht es überhaupt? Wer überhaupt schon mal auf den Begriff gestoßen ist, hat ihn wohl in Verbindung mit der Währung Bitcoin gehört. Bitcoin gilt vor allem als digitales, anonymes Zahlungsmittel für Kriminelle. Das mag spannend klingen, wird der Währung aber nicht gerecht. Tatsächlich ist Bitcoin ein außergewöhnlich sicheres und gleichzeitig transparentes System, mit dem jeder, der sich dafür registriert, Geld hin und her schicken kann. Sei es, um in einem Café zu bezahlen (das Café müsste Bitcoin als Währung akzeptieren, in den USA gibt es das bereits), oder um bei einem Freund ein paar Schulden zu begleichen.
Die Grundlage dieses Systems, dessen Implikationen für das bestehende Bankwesen und klassische Währungen kaum abzusehen sind, ist eben genau diese Technologie: die Blockchain. Wie das Wort erahnen lässt, handelt es sich um eine (virtuelle) Kette aus Blöcken. In diesen Blöcken sind die Transaktionen aller Menschen, die etwas mit Bitcoin bezahlt haben, gespeichert. Die Blockchain wächst mit weiteren Transaktionen an und enthält in der Art einer Liste die Kontostände aller Bitcoin-Nutzer zu jedem beliebigen Zeitpunkt.
Dementsprechend gibt es übrigens, nebenbei bemerkt, keine virtuellen "Bitcoin-Münzen", von denen manchmal aus Gründen der Anschaulichkeit berichtet wird. Vielmehr ist der Besitz eines Menschen, der große Summen in der Währung besitzt, lediglich das Guthaben, das sich aus dem aktuellen Stand der digitalen Liste für ihn errechnet. Die Liste ist - so gesehen - identisch mit der Währung. Weil diese Liste auf mehreren Computern gespeichert wird und für alle Nutzer einsehbar ist, ist garantiert, dass sie nicht gefälscht werden kann. Eine sichere Währung - das ist schon mal sehr, sehr viel für eine junge Technologie.
Kein Wunder, dass jetzt neben Banken ganz andere Branchen und auch Kreative auf die Idee kommen, die Blockchain für neue Zwecke zu verwenden. Attraktiv ist dabei immer der dezentrale Aufbau des Systems, der - und das ist insbesondere beim Handel nicht zu unterschätzen - den Nutzern das Gefühl von Sicherheit gibt. Umgekehrt bedeutet er den Wegfall zentraler Institutionen. Eine Währung, die von allen kontrolliert wird, benötigt keine (Zentral-)Bank. Dazu kommt die Kombination aus der Transparenz des Gesamtsystems und dem Schutz der Privatsphäre für den einzelnen Teilnehmenden. (Bei der Währung Bitcoin sind in der Blockchain zwar die Transaktionen sichtbar, es ist aber nicht ohne weiteres zu erkennen, welcher Mensch sie getätigt hat.)
Vor allem aber, dass eine Handlung identisch mit ihrer Festschreibung im System ist, macht die Blockchain zu einem attraktiven Modell im digitalen Zeitalter. Das klingt nur kompliziert: Im Fall von Bitcoin bedeutet es nicht mehr, als dass eine Transaktion dann getätigt wurde, wenn sie in der Blockchain festgeschrieben und verifiziert wurde.
Exakt dieses Prinzip machen sich nun zahlreiche Startups und Kreative rund um die Welt zu Nutze. Sie träumen zum Beispiel von Verträgen in der Art einer Blockchain, die bei einem Bruch des Vertrages - zum Beispiel, wenn eine Rate nach einem Autokauf nicht überwiesen wird - automatisch und dank der sofortigen Verifikation durch das dezentrale System die Türen des Autos dauerhaft verriegelt.
Andere Programmierer arbeiten daran, die komplexe, weil oft zerfaserte Rechtslage auf dem Feld der Musik in einer transparenten, stets aktualisierten Blockchain zu speichern. So könnten Musiker beim Startup "Peertracks" ihre Songs für Systeme wie iTunes oder Spotify bereitstellen, und die Blockchain würde über ein ausgeklügeltes System dafür sorgen, dass alle Rechteinhaber ihren Anteil bekommen. Gleichzeitig sollen Musikfans über das System eine Art von Aktien von ihrer Lieblingsband kaufen können, die dann - Bitcoin nicht unähnlich - gehandelt werden können.
Griechenland und Honduras überlegen derweil bei der Reorganisation ihres Staatswesens, die Grundbücher der Katasterämter in eine Blockchain umzubauen.
Noch sind die meisten Ideen unausgegoren, die Erfolgsaussichten lassen sich in vielen Branchen erst erahnen. Nur in der Finanzbranche ist klar: Wer nicht mitmacht, wird verlieren. Eine ähnliche Initiative wie jene beim Linux-Konsortium hat sich im Finanzsektor unter dem Namen "R3" zusammengeschlossen, mit dabei sind neben J. P. Morgan und Credit Suisse auch die Deutsche Bank und die Commerzbank. Für die Banken ist vor allem die hohe Geschwindigkeit von Vorteil, mit der eine Blockchain arbeitet, etwa wenn es um grenzüberschreitende Überweisungen oder Wertpapiergeschäfte geht.
Fintech:Wie Banken mit neuer Technologie experimentieren
Die Blockchain-Technologie könnte Banken überflüssig machen. Doch das wollen die sich nicht gefallen lassen.
Was bedeutet der Aufstieg der Blockchain für die Nutzer, für alle Bürger gar? Im Moment droht der Idee des nach wie vor anonymen Bitcoin-Erfinders die Domestizierung durch Großkonzerne. Für eine dermaßen revolutionäre, aber eben auch komplizierte Idee bedeutet das, dass sie mehr Verbreitung finden wird. Konzerne werden die Blockchain in Systeme einbauen, die leichter zu bedienen sind als zum Beispiel Bitcoin. Andererseits könnte genau deshalb Bitcoin langfristig auch bedroht werden, nämlich wenn Banken und Zentralbanken mit Hilfe der Blockchain eine neue, staatlich kontrollierbare Online-Währung erschaffen. Die Blockchain würde überleben, aber die Revolution des Bankensystems, die sie derzeit noch ermöglicht, wohl kaum.