Blockchain:Diese Technologie soll die Musikindustrie auf den Kopf stellen

Blockchain: So sieht die Ujo-Webseite aktuell aus. Der Vertrieb von Imogen Heaps Lied soll als erstes Anwendungsbeispiel für die Blockchain-Technologie dienen.

So sieht die Ujo-Webseite aktuell aus. Der Vertrieb von Imogen Heaps Lied soll als erstes Anwendungsbeispiel für die Blockchain-Technologie dienen.

(Foto: Angela Gruber)
  • Die Blockchain-Technologie steckt hinter der Kryptowährung Bitcoin. Das Prinzip könnte auch für Musik funktionieren.
  • Die Start-ups Peertracks und Ujo wollen mit der Blockchain Musikern mehr Macht geben.
  • Die Hürden sind hoch: Musikrechte zu verwalten ist eine komplizierte Aufgabe, an die sich bisher nur Labels und nationale Verwertungsgesellschaften wie die Gema trauen.

Von Angela Gruber

MP3, Napster, Streaming: Die Digitalisierung hat die Musikindustrie schon mehrfach durchgeschüttelt. Cédric Cobban will es noch einmal tun. Er will Künstler und Fans enger zusammenzubringen als jemals zuvor. Mit einer der revolutionärsten Techniken des Internets.

Der 30-jährige Kanadier Cobban setzt mit seinem Start-up Peertracks auf die Blockchain, die Technologie hinter der Kryptowährung Bitcoin. Er will das weltweite Rechte- und Lizenzierungschaos von Musik beenden. Oft sind die Rechte an einem Musikstück unter zig Anteilseignern aufgeteilt. Je nachdem, ob man zum Beispiel einen Klingelton oder das Original-Musikstück erwerben will, kann es auch unterschiedliche Rechteinhaber geben. Dass Musik selten einer Person allein gehört, daran kann auch Cobban nichts ändern. Aber er will die Bezahlmodalitäten einfacher machen und transparent aufschlüsseln, wer welche Rechte hält. Aktuell ist das oft nur schwer herauszubekommen. Labels und andere Mittelsmänner als Rechteverwalter sind deshalb gerade unersetzlich. Sie wären die Verlierer und durch die Blockchain, die als manipulationssicherer, technischer Vermittler agieren soll, plötzlich doch ersetzbar. Cobban und Mitgründer Eddie Corral wollen eine Online-Plattform für Musiker und Fans schaffen, die eine Mischung aus Spotify, iTunes und Crowdfunding-Seite sein soll.

Manipulationen sind extrem schwer

Die Blockchain-Technologie ist in Zusammenhang mit der digitalen Krypto-Währung Bitcoin bekannt geworden. Stark vereinfacht gesagt, schafft sie ein riesiges digitales Kontobuch, in dem unterschiedlichste Transaktionen festgehalten werden können (mehr zur Blockchain hier). Alle Veränderungen werden registriert und auf viele Rechner aufgesplittet gespeichert. Ihr Potenzial brachte vor kurzem sogar den Economist dazu, der Blockchain eine Titelgeschichte zu widmen.

Die Vorteile der Blockchain: Das System ist dezentral und transparent, es lassen sich auch kleinste Transaktionen abbilden und in der Historie der Blockchain verfolgen. Dieses weit verzweigte, digitale Kontobuch lässt sich somit nahezu unmöglich manipulieren, keine Transaktion ist ihr zu klein. Über die Blockchain lässt sich so der Austausch zwischen Parteien abwickeln, die sich nicht kennen.

Bisher tritt in den meisten Fällen eine Firma wie PayPal oder eine Bank als zentraler Vermittler auf, der die Identität eines Kontoinhabers garantiert und so als Institution das Vertrauen zwischen Parteien schafft, um Transaktionen abzuwickeln. In Zukunft soll Software diese Funktion übernehmen. Bitcoin als Währung ist extrem volatil, Investoren drohen an Bitcoin-Börsen herbe Verluste. Doch die dahinterliegende Blockchain-Architektur lässt sich auch in anderen Feldern als in dem der Digitalwährungen anwenden.

Fans sollen Anteilseigner sein

Cobban glaubt, dass die Blockchain die Branche maßgeblich verändern kann. "Als ich groß geworden bin, kam gerade die Musiktauschbörse Napster auf", sagte er. "Die Branche hat lange geschlafen, aber eigentlich war die Musikindustrie immer die Bühne, auf der sich neue Technologien am frühesten abgezeichnet haben."

Auf seiner Seite Peertracks sollen Künstler ihre Musik zum Download oder Stream anbieten können. Bald soll die Beta-Version online gehen. Nach der Anmeldung sollen Musiker Lieder hochladen und über ein Formular angeben, wer welche Rechte am Titel hält. Das übersetzt Peertracks dann für die Blockchain, wo die Informationen festgehalten werden. Einnahmen über Musikverkäufe auf der Plattform sollen so automatisch anteilig auf die verschiedenen Rechteinhaber verteilt werden. Die Blockchain weiß, wer wie viel Prozent bekommt.

Zugleich können die Künstler die Plattform nutzen, um sogenannte Notes auszugeben, vereinfacht gesagt: Aktien. Fans können sie kaufen, um Studioaufnahmen oder eine Tour zu unterstützen. Künstler können über die Notes genau erkennen, wer ihre größten Fans sind und direkt mit ihnen interagieren. Cobban sagt: "Zwei Likes auf Facebook bedeuten nicht das gleiche. Ein Nutzer kann ein riesiger Fan sein, der andere hat aus Spaß auf 'Like' geklickt. Auf Peertracks lassen sich viel tiefere Beziehungen zwischen Musikern und Fans bilden. Beide profitieren davon, dass es diese Quantifizierung gibt."

Fans können die Notes zu einem vom Künstler festgesetzten Preis kaufen. Steigt die Beliebtheit des Künstlers, steigt der Wert der Notes. Über einen Marktplatz können Fans festlegen, zu welchem Satz sie ihre Anteilsscheine wieder verkaufen würden. Findet sich ein Interessent, registriert die Blockchain das und wickelt den Notes-Verkauf ab. "Wer einen Künstler früh unterstützt, bekommt im Erfolgsfall mehr als nur die Bestätigung, einen guten Riecher gehabt zu haben. Der Fan profitiert auch finanziell von seinem Investment. Solche Transaktionen auf einem Mikro-Level gehen normalerweise gar nicht, da würde man verrückt werden."

Jeder Künstler kann nur ein Mal zu Beginn festlegen, wie viele Notes er in Umlauf bringen will. Ihre Zahl kann danach nicht mehr verändert werden. Eine Notes-"Inflation" ist damit ausgeschlossen. Für Cobban sind die Notes ein Weg, Künstlern und Fans mehr direkte Interaktionen zu ermöglichen. Wer aber einfach nur Musik hören und kaufen und nicht zu einem Musik-Spekulanten werden will, könne Peertracks aber genauso benutzen, ohne Notes zu kaufen.

Eine Grammy-Gewinnerin setzt auf die Blockchain

Auch Phil Barry glaubt an das Potenzial der Blockchain und will mit ihr die Musikindustrie auf den Kopf stellen. Der 34-Jährige wohnt in der Nähe von Oxford und legt als "Mr. Fogg" elektronische Musik auf. Aktuell gilt seine Hauptaugenmerk aber seinem Blockchain-Start-up Ujo. Das Wort bedeutet auf Esperanto "Paket". Er sagt: "Die Musikindustrie ist eine Blackbox. Musiker und Fans kommen nicht zusammen. Fans zahlen, Musiker warten ewig darauf, von den Labels irgendwelche Summen überwiesen zu bekommen, die sie nicht nachvollziehen können."

Während Barrys Arbeit mit der Band Radiohead, die bekannt dafür ist, mit neuen Wegen des Musikvertriebs zu experimentieren, stieß er auf die Blockchain.

Alle Transaktionen von Ujo sollen über die quelloffene Blockchain von Ethereum abgewickelt werden. Anders als Peertracks ist Ujo nicht als Ladenzeile für einfache Nutzer geplant. "Niemand kann erwarten, dass Musikfans etwas machen, was komplizierter als das ist, was sie bisher kennen", sagt Barry. Ujo soll im Hintergrund funktionieren. Als Datenkatalog für Musikrechte könnte es Andockstation für etablierte Player wie iTunes oder Spotify werden.

Blockchain: So sieht die Rechteverteilung für den Ujo-Testcase von Imogen Heap aus.

So sieht die Rechteverteilung für den Ujo-Testcase von Imogen Heap aus.

(Foto: Angela Gruber)

Als Test hat Ujo einen Song von Grammy-Gewinnerin Imogen Heap online gestellt, um zu zeigen, wie das Prinzip funktioniert. Auch Heap ist sehr interessiert an der Blockchain und hat mit "Mycelia" ihr eigenes Projekt gestartet, um das Potenzial für Künstler auszuloten. Anders als Peertracks ist Ujo nicht als digitale Ladenzeile für einfache Nutzer geplant. Ujo soll, so Barry, vielmehr als Software der Musikindustrie im Hintergrund funktionieren und könnte als digitaler Datenkatalog für Musikrechte eine Andockstation für größere, etablierte Player wie iTunes oder Spotify werden.

Labels werden Rechtekataloge nicht herausrücken

Cobban und Barry stehen mit ihren beiden Start-ups noch ganz am Anfang. Damit sie Erfolg haben, müssen sie noch viele Hürden nehmen: Die komplexe Welt der Blockchain trifft auf eine ebenso komplexe Branche, die die Digitalisierung bisher nicht als freudiges Ereignis begreift. Das schafft Probleme.

Eine weltumspannende digitale Musikdatenbank klingt sinnvoll, ist aber äußerst schwierig zu bauen. Große Labels werden ihre sorgsam gehüteten Rechtekataloge nicht herausrücken. Schließlich würden die Blockchain-Start-ups im Erfolgsfall Labels obsolet machen. Die Blockchain funktioniert außerdem nur, wenn die anfangs eingegebene Information korrekt ist. Eigentlich müssten die Metadaten jedes neuen Songs händisch überprüft werden. Cobban von Peertracks plant das tatsächlich. Wie er das Personal dafür bezahlen soll, weiß er nicht. Um künftig Geld zu verdienen, sollen fünf Prozent Transaktionsgebühren aus den Musikverkäufen an Peertracks gehen.

Weil Cobban anders als Barry von Ujo ein Netzwerk aufbauen will, auf dem sich Hörer von Musik anmelden sollen, muss Peertracks sofort genügend Musiker für sich gewinnen. Unabhängige Künstler haben vielleicht ein Interesse, auf Peertracks präsent zu sein, aber wirkliche Größen des Business mit lukrativen Label-Verträgen wird Cobban nicht bekommen. Für viele Nutzer auf der Suche nach der Musik, die sie gerne hören wollen, könnte die Plattform deshalb unattraktiv sein und gar nicht erst aus den Startlöchern kommen.

"Wir haben noch nicht alle Probleme gelöst"

Hinzu kommt, dass für das Musikgeschäft nationale Grenzen eine große Rolle spielen und etablierte Akteure nicht so einfach übergangen werden können. In Deutschland zum Beispiel kommt niemand an der Gema vorbei. Wer ein Lied im Radio spielen oder es für einen Film verwenden will, muss meist die Rechteverwertungsgesellschaft fragen und ihr Lizenzgebühren zahlen. Die Gema wiederum hat Verträge mit den Künstlern und schüttet regelmäßig an sie aus.

Wie er selbst mit Ujo Geld verdienen will, weiß Barry ebenfalls noch nicht. "Ujo ist ein Experiment und nicht auf Profit ausgerichtet. Ujo ist wie das Internet: Das ist auch eine Infrastruktur, die für sich alleine noch kein Geld bringt. Daran können dann aber profitable Geschäftsideen wie Facebook andocken."

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