Blackberrys im Nahen Osten:Wider die alte Ordnung

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In der arabisch-islamischen Welt löst ein abhörsicheres Handy eine Freiheitsdebatte aus: Das Blackberry steht für den Widerspruch zwischen Fortschrittsgeist und traditionellen Mustern.

Tomas Avenarius

Hightech als Beweis exzessiv ausgelebter Fortschrittlichkeit: Die Machthaber der Golf-Staaten sind immer die Ersten, wenn es um Moderne in Form absurder Superlative geht. Die Elite fährt unanständig teure Autos, baut sich Hotels von sechs Sternen an aufwärts, verbringt ihre Freizeit in palastartigen Einkaufszentren und telefoniert mit Mobiltelefonen, die in mit Edelsteinen besetzten Goldgehäusen stecken. Auch wenn nur ein kleiner Teil der Gesellschaft teilhaben kann: Für die Oberklasse in traditionell organisierten Ländern wie Saudi-Arabien zählt vor allem eines: modern, exklusiv und erkennbar sehr, sehr teuer.

Blackberry Torch
:Fackel zum Anfassen

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In Bildern.

Nur der Blackberry, der findet keinen Gefallen. Das kanadische Smartphone ist mehr als das Arbeitsgerät des modernen Businessmenschen: Anders als bei Telefonherstellern wie Nokia oder Apple sind seine Dienste vor dem Zugriff staatlicher Sicherheitsdienste und ihrer Abhörcomputer geschützt.

Diese Vorzüge nutzen neben vielfliegenden Handelsvertretern auch andere: Terroristen zum Beispiel. Friedlichere Geister greifen ebenso zum Blackberry: Wenn sie unbemerkt Chaträume besuchen oder Internetseiten lesen wollen, auf denen die Versager unter den Königen, Emiren und Präsidenten beim Namen genannt werden. Dazu kommen Heerscharen unverheirateter Männer und Frauen, die sich ohne Wissen der Eltern verabreden. Verheiratete, die sich an einer Affäre versuchen. Männer, die durch den Porno-Dschungel des Internets surfen.

Wider das Patriarchat

In westlichen Augen ist all dies normal und lässlich. In der arabisch-islamischen Welt führt es schnell an die Wurzeln der Gesellschaftsordnung. So absurd es klingt: Der Blackberry stellt ungewollt das Primat von Männerherrschaft, Familie und Geschlechtertrennung in Frage. Das gilt für das gesamte Instrumentarium moderner Kommunikationstechnologie. Der Blackberry macht es nur greifbarer als andere Gadgets.

Die Elite der arabischen Welt und große Teile ihrer Bevölkerung haben einen gespaltenen Modernitätsbegriff: Ganz vorne dabei sein und zugleich die traditionelle, im Ansatz überkommene Gesellschaftsordnung erhalten.

Unbestritten ist Informationsfreiheit ein hohes Gut. Die dazu gehörige Technik aber macht das Leben nicht nur leichter. Sie verändert es auch. Für die Herrscher in den Palästen und den Patriarchen im Einfamilienhaus steht am Ende viel auf dem Spiel: die alte Ordnung.

© SZ vom 07.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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