Das Urteil, das der Bundesgerichtshof (BGH) am 27. April veröffentlichte, schien eindeutig: Banken dürfen nicht einfach die Gebühren für das Girokonto erhöhen, indem sie ihre Kunden nur darüber informieren und ihnen eine zweimonatige Widerspruchsfrist zugestehen. Das Prinzip "wer nicht widerspricht, stimmt zu" ist rechtlich unzulässig, entschieden die Richter.
Für Banken und Sparkassen hat das Urteil dramatische Folgen. Über Jahrzehnte setzten viele von ihnen genau auf diesem Weg Gebühren-Erhöhungen durch. Da die Klausel unzulässig ist, müssen die verlangten höheren Gebühren nach dem Spruch der Richter zurückgezahlt werden. Es geht um Hunderttausende betroffene Kunden, die zu viel verlangten Gebühren dürften sich auf Milliarden Euro summieren.
Doch trotz des anscheinend eindeutigen Urteils weigern sich auch ein halbes Jahr später immer noch viele Banken und Sparkassen, ihre Kunden zu entschädigen. Das hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) festgestellt, der Kunden online befragte, wie ihre Banken und Sparkassen auf die Erstattungsforderungen reagieren. "9000 solcher Fragebögen wurden ausgefüllt, in vielen Fällen erhielten Kunden von ihrem Kreditinstitut die Antwort, dass es die Forderung zurückweist", sagt Ronny Jahn, Jurist beim VZBV.
Der Verbraucherverband strebt deshalb nun weitere rechtliche Schritte gegen die Geldhäuser an. Er hat sich die Sparkasse Köln-Bonn und die Berliner Sparkasse für eine sogenannte Musterfeststellungsklage herausgepickt. Auf diese Weise soll der BGH darüber befinden, ob das Vorgehen der Institute rechtens ist. "Bei den beiden Sparkassen gab es die meisten Fälle, wohl auch deshalb, weil sie zu den größten in Deutschland gehören", sagt Jurist Jahn.
Die Abwehrstrategie der beiden Sparkassen, auf die sich auch andere Institute berufen, bezieht sich auf ein früheres Urteil des BGH, das dieser in einem Rechtsstreit zwischen Energieversorgern und Kunden gefällt hatte. Demnach sind Preise dann gültig, wenn Kunden sie seit mehr als drei Jahren nicht beanstanden, selbst wenn sie auf unwirksame Weise zustande gekommen waren. Darauf berufen sich die beiden Sparkassen nun auch in ihrer Stellungnahme zum Vorgehen der Verbraucherschützer: "Die Berliner Sparkasse ist für eine maßvolle Preisgestaltung bekannt und hält die Kontopreise seit Jahren stabil", sagte ein Sprecher. Bereits seit fünf Jahren habe man keine Preiserhöhungen vorgenommen. Im Übrigen habe man schnell reagiert; die vom BGH beanstandete Klausel sei nicht mehr in den Verträgen enthalten.
Der BGH soll prüfen, ob sich die Banken auf ein Urteil zu Energieversorgern berufen können
Ähnlich äußerte sich die Sparkasse Köln-Bonn: Die bisher letzten Preisanpassungen bei bestehenden Girokonten lägen mehr als dreieinhalb Jahre zurück, sagte ein Sprecher. Eine für 1. Juli geplante Neuausrichtung der Girokonten-Modelle habe man wegen des BGH-Urteils ausgesetzt, man orientiere sich "an der ständigen Rechtsauffassung des BGH".
Im Kern geht es nun um die Frage, ob das frühere BGH-Urteil zu den Energieversorgern auf die Bankenbranche übertragbar ist. Wäre dies der Fall, könnten Bankkunden Gebühren-Erhöhungen, die mehr als drei Jahre zurückliegen, grundsätzlich nicht mehr beanstanden - auch nicht für die jüngere Zeit. Der VZBV ist der Auffassung, dass es sich um völlig verschiedene Sachverhalte handelt. "Das frühere BGH-Urteil bezog sich auf Energielieferungsverträge auf Basis vieler spezieller gesetzlicher Regelungen, das hat nichts mit Zahlungsdiensten zu tun", sagt VZBV-Jurist Jahn. Eben dies soll der BGH nun mit der Musterfeststellung klären.
Die Verbraucherschützer rufen betroffene Bankkunden auf, sich der Klage anzuschließen, da für eine Musterfeststellungsklage mindestens 50 Betroffene nötig sind. Schließe sich der BGH der Rechtsauffassung des VZBV an, gebe es keinen Grund mehr, die Forderungen von Bankkunden zurückzuweisen. "Verbraucherinnen und Verbraucher können verlangen, die von den Sparkassen eigenmächtig erhöhten Entgelte erstattet zu bekommen", sagte VZBV-Vorstand Klaus Müller.
Die Finanzaufsicht Bafin sprang den Verbraucherschützern am Dienstag mit einer ungewöhnlich deutlichen Stellungnahme bei. Sie erwarte von Kreditinstituten, "dass sie das Urteil des BGH zu unwirksamen Gebührenanpassungen beachten, alle notwendigen Schritte umgehend einleiten und dabei fair mit ihren Kundinnen und Kunden umgehen". Sie sollen diese unter anderem klar über die Konsequenzen des Urteils unterrichten, ihnen alle Informationen liefern, damit sie den Rückerstattungsanspruch ausrechnen können, zu Unrecht erhobene Entgelte erstatten und dafür Rückstellungen bilden. "Das Urteil hat Auswirkungen auf fast jede Bankkundenbeziehung. Umso wichtiger ist eine schnelle, unbürokratische, transparente Umsetzung", sagte Bafin-Präsident Mark Branson.