Berlin:Abwärts zum Aufguss

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In dem umgebauten Keller gibt es viele historische Spuren, zum Beispiel Wandfliesen aus der Kaiserzeit. (Foto: Rolf Walter)

Ein Keller aus der wilhelminischen Zeit ohne Haus darüber: Wo sich vor dem Krieg eine Fleischerei befand, ist jetzt die Kiezsauna.

Von Lars Klaasen

Mit einem Haus ohne Keller kann man eine Menge anfangen. Deutlich begrenzter sind die Möglichkeiten bei einem Keller, dem das Haus abhandengekommen ist. Das geschah im Zweiten Weltkrieg häufig in den schwer bombardierten deutschen Großstädten. Nach 1945 wurden die Keller unter den Ruinen zugeschüttet, später wieder neu ausgehoben und überbaut. Ein Keller in Berlin-Friedrichshain aber blieb erhalten, obwohl das Haus darüber nicht mehr existiert. Dort befindet sich nun die Wellness-Oase namens Kiezsauna. Das ist dem radikalen stadtplanerischen Neuanfang im Ostberlin der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre zu verdanken - und einer guten Geschäftsidee.

Die Fläche stand lange leer. Noch vor sechs Jahren fristeten die unterirdischen Räume der Graudenzer Straße 19 ein verborgenes Dasein und waren alles andere als sehenswert. "Der Keller hat mich fasziniert, aber auf den ersten Blick konnte ich mir nur schwer vorstellen, wie Menschen sich hier wohlfühlen sollen", sagt Jens Grabner. Der ehemalige Seemann hatte den Plan gefasst, eine Sauna zu eröffnen, und suchte dafür die passenden Räume. Die zentrale Lage sei perfekt gewesen. Auch die Größe entsprach den geplanten Kapazitäten für die Sauna. Aber ein dunkler Keller? Zwar bot die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) als Eigentümerin attraktive Mietkonditionen. Aber erst die Optik konnte Grabner überzeugen.

Mariam Sara visualisierte, was aus dem Keller werden könnte. "Als ich diese Bilder sah, war sofort klar, dass dies die Räume für die Sauna sein sollen", erinnert sich Grabner. Für Sara, die Architektur in Berlin und Jordanien studiert und einen Master in Denkmalpflege in Spanien absolviert hat, ist "Arbeiten im Bestand viel reizvoller als Neubau". Der Keller steht zwar nicht unter Denkmalschutz, historische Spuren gibt es aber reichlich. Seinen heutigen Charme gewinnen die Räume eben dadurch, dass die alten Fragmente erhalten - und teilweise offengelegt - wurden. Als Grabner den Keller besichtigte, ließen lediglich die alten Fliesen an den Wänden vermuten, dass sich hier einmal mehr befunden hatte als dunkle, feuchte Abstellräume. In dem Haus, das vor dem Ersten Weltkrieg gebaut worden war, befand sich im Erdgeschoss das Ladenlokal einer Fleischerei. Auch die Räume darunter wurden von den Betreibern genutzt. Die Fliesen an den Kellerwänden geben der heutigen Sauna nicht nur eine angenehme historische Patina, sie erfüllen zudem eine klimatisch relevante Aufgabe. "Sie sind mit Kork unterlegt, der in Bitumen getränkt worden ist", erläutert Grabner. "Dank dieser Dämmung bildet sich trotz feuchtwarmer Saunaluft kein Kondenswasser an den Wänden."

Dort, wo Grabner mit seinem Kompagnon Mario Rühl 2012 die Kiezsauna eröffnete, ist Berlin um 1900 rasant in den märkischen Sand hinein erweitert worden. Im sogenannten Wilhelminischen Ring, rund um das unmittelbare Zentrum der Stadt, befinden sich viele der gefragten Altbau-Innenstadtquartiere. Davon ist in Friedrichshain aber fast nichts mehr zu sehen. Hier dominiert Nachkriegsbebauung. Die Quartiere entlang der heutigen Karl-Marx-Allee sind im Zweiten Weltkrieg fast flächendeckend zerstört worden. Im traditionellen Arbeiterbezirk, nun in der Sowjetischen Zone gelegen, sollte die "Wohnzelle Friedrichshain" entstehen, ein städtebaulicher Neuanfang mit symbolischer Bedeutung. Dieses erste städtebauliche Nachkriegsprojekt im Osten der Stadt wurde noch vor der Realisierung umbenannt in "Wohnstadt Friedrichshain". Das Konzept des Architekten und Stadtbaurats Hans Scharoun war eine klare Absage an die klassische Mietskaserne in Blockrandbebauung: Zeilenbauten im Bauhausstil prägen das Wohnquartier bis heute. Für Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR, jedoch waren die Häuser "amerikanische Eierkisten".

Entlang der damaligen Stalin-Allee wurde später ein dekorativer regionaler Historismus gepflegt. Das kleine Quartier rund um die Kiezsauna steht heute als "Solitär konsequent moderner Stadtplanung unmittelbar nach dem Krieg" unter Denkmalschutz. Die Räume der Sauna, ein Relikt aus der noch älteren Mietskasernenstadt, sind mit dem Zeilenbau nebenan eng verbunden: Das Wohnhaus aus den 1950er-Jahren wurde teils auf das Fundament der alten Kellermauern gesetzt. Die unterirdischen Räume der ehemaligen Fleischerei stehen im schrägen Winkel zur Bebauung der "Wohnzelle Friedrichshain". Die Sauna hat dadurch einen annähernd dreieckigen Grundriss. "Die Aufgabe, hier eine Sauna zu entwerfen, war eine spannende Herausforderung", sagt Sara. "Schon die Frage, wo denn der Eingang sein soll, hat uns eine ganze Weile lang beschäftigt." Das Grundstück ist von zwei Straßen aus zugänglich, die parallel verlaufen. Zur südlich gelegenen Graudenzer Straße erstreckt sich der Keller in voller Breite, gen Norden stößt er spitz zur Hildegard-Jadamowitz-Straße. Nach einigem Tüfteln entschieden sich Sara und Grabner, den Eingang dorthin zu verlegen. So ließ sich der interne Publikumsverkehr räumlich besser trennen von den Besuchern.

Die Raumwirkung der Sauna entfaltet sich nicht nur durch die Kombination von modernem Design und historischer Bausubstanz. Neben den alten Fliesen wirkt hier besonders die Preußische Kappendecke - eine Deckenkonstruktion aus flachen Segmenttonnengewölben, die vor allem im 19. Jahrhundert als statisches System für Geschossdecken verwendet wurde. Die Decke ist an zentraler Stelle durchbrochen, sodass viel Tageslicht in die Sauna fällt.

Dass man sich hier in einem Keller befindet, vergisst man schnell. Nur wenige Treppenstufen hinauf, und man befindet sich draußen - und dennoch in der Kiezsauna. Ihre durch einen Baum und Segeltücher abgeschirmte Terrasse gibt den Blick auf die umliegenden Häuser frei. Wer sich nach dem Saunieren abkühlt, kann gemütlich über die Architektur der Kaiserzeit und die Häuser der Moderne sinnieren.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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