Steuerskandal:Cum-Ex-Kronzeuge unter Druck

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Berger galt für Anwalt S. lange als eine Art Ziehvater. Der Bruch mit ihm war mehr als schwierig, wie er vor Gericht beschrieb. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Er hat bei schmutzigen Aktiendeals mitgemacht - und dann gestanden und vor Gericht seine Geschichte erzählt. Nun könnte der Anwalt S. selbst vor Gericht kommen. Das will er verhindern.

Von Jan Diesteldorf, Klaus Ott und Nils Wischmeyer

Der in der Schweiz lebende Anwalt S. ist ein drahtiger Mann. Vor Gericht spricht er druckreif - und das in den vergangenen Jahren immer öfter. Denn einst hatte S. hat mit seiner damaligen Frankfurter Kanzlei bei schmutzigen Aktiendeals zulasten der Staatskasse kräftig mitgemacht. Später, als Ermittlungen gegen ihn in Gang kamen und ihm schwer zusetzten, hat er dann gestanden, ausgepackt und auch vor Gericht seine Geschichte erzählt. Er hat sich über die Jahre den Status des Kronzeugen erarbeitet und ist bislang von einer Anklage verschont geblieben.

Jetzt aber droht dem 50-Jährigen mitten in seinem neuen Leben großes Ungemach. Ausgerechnet beim nächsten, bisher größten und spannendsten Cum-Ex-Prozess könnte der Kronzeuge S. mit vor Gericht kommen. Denn das Gericht würde ihn gern als sogenannten Einziehungsbeteiligten dabei haben. Das bedeutet vereinfacht gesagt: Die Kammer will prüfen, ob sein Ex-Kanzleipartner Hanno Berger, der vor Gericht angeklagt sein wird, und S. durch die mutmaßlich illegalen Deals selbst Profite gemacht haben. Sie kann die Einziehung dieses Betrags anordnen, in diesem Fall insgesamt rund 27 Millionen Euro. Die juristische Sonderkonstruktion hat zudem einen Nebeneffekt: S. wäre nicht angeklagt, stände aber mit vor Gericht.

Zusammen mit Berger vor Gericht zu stehen, zumindest auf dem Papier, das wäre für S. vermutlich der reinste Horror. Berger galt für ihn lange als eine Art Ziehvater. Der Bruch mit ihm war mehr als schwierig, wie er vor Gericht beschrieb. Zwar könnte sich S. von seinen Anwälten vertreten lassen. Bei Gericht dürfte es aber gern gesehen sein, wenn er sich selbst blicken lässt. Was also tun?

"Er bereut und bedauert aufrichtig, sich seinerzeit vielfältig an Cum-Ex-Geschäften beteiligt zu haben."

Der Kronzeuge hat seine Verteidiger Alfred Dierlamm und Tido Park einen teils rührselig wirkenden Brief an das Landgericht Bonn schreiben lassen. "Er bereut und bedauert aufrichtig, sich seinerzeit vielfältig an Cum-Ex-Geschäften beteiligt zu haben", heißt es in dem Brief über S. Das könne er nicht mehr ungeschehen machen. Aber er leiste ja "ganz massiv Aufklärungsbeiträge" und sei auch bereit, Taterträge zurückzuzahlen.

Im selben Schreiben erklären die Anwälte, ihr Mandant verzichte drauf, Einwände gegen eine Einziehung zu erheben. Dieser juristische Kniff erlaubt es ihm, nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Er bedeutet aber auch, dass S. vor Gericht nichts zur Einziehung sagen kann. S. will also lieber ohne Anhörung rund 14 Millionen Euro zahlen, als womöglich monate-, wenn nicht gar jahrelang Verfahrensbeteiligter im Prozess gegen seinen ehemaligen Frankfurter Kanzleipartner Hanno Berger zu sein. Ob er tatsächlich zahlen muss, muss die Kammer des Landgerichts Bonn entscheiden.

Berger gilt als "Spiritus Rector", als treibende Kraft etlicher Cum-Ex-Deals. Der Angeklagte Berger, der alle Vorwürfe zurückweist, und S., der alles zugegeben hat, sind einander längst in herzlicher Abneigung verbunden. Berger hat sich vor knapp zehn Jahren in die Schweiz abgesetzt, ist kürzlich ausgeliefert worden und sitzt jetzt in Untersuchungshaft. Während S. frei und in seinem Job auch weiterhin viel unterwegs ist.

Es geht um mehr als 27 Millionen Euro

Berger wird in der Anklage vor dem Landgericht Bonn Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen mit einem Schaden für die Staatskasse in Höhe von insgesamt 279 Millionen Euro vorgeworfen. Als Entlohnung für seine Taten habe er, zusammen mit Kanzleipartner S., mehr als 27 Millionen Euro kassiert. Genau sind es 27 333 998 Euro. Um diesen Betrag geht es bei der sogenannten Einziehung, die nach Überlegungen des Gerichts nicht nur bei Berger, sondern auch bei dessen einstigem Partner S. erfolgen könnte. Und zwar, weil dem Gericht zufolge beide kassiert haben.

Berger, der einen Freispruch anstrebt, bestreitet auch das. S. hingegen leugnet nichts. Seine Zustimmung zur Einziehung von Taterträgen sei ein "Blankoscheck", schreiben die beiden Verteidiger von S. in ihrem Brief an das Gericht und warnen zugleich vor einer kuriosen Situation. Denn sollte bei Hanno Berger kein Vermögen eingezogen werden, würde Kronzeuge S. als Gesamtschuldner womöglich für die vollen 27 Millionen Euro aufkommen müssen. Das widerspräche "massiv dem Gerechtigkeitsempfinden", wenn Berger bei Gericht eine Einziehung seines Anteils "vereiteln" könnte und S. dann alleine zahlen müsste. Das Gericht möge dem "in angemessener Weise Rechnung" tragen, schreiben die Anwälte.

Im Klartext: 13 666 999 Euro würde S. schon zahlen. Aber nicht die 27 333 998 Euro. Wobei beides vermutlich erst der Anfang wäre. Beim Gericht in Bonn kam bereits zur Sprache, dass S. bei Cum-Ex viel mehr kassiert haben soll. Und dass die Rückzahlung, die bislang angeblich an bürokratischen Hindernissen scheitert, noch aussteht.

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