Digitalisierung:Wie Software beim Hausbau der Umwelt nutzen kann

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Eine Baustelle im Münchner Norden. Software soll dabei helfen, die Komplexität am Bau zu reduzieren und so auch CO₂ zu sparen. (Foto: Friedrich Bungert)

Gebäude sind in Deutschland für ein Drittel des Energiebedarfs und auch der CO₂-Emissionen verantwortlich. Digitalisierung könnte helfen - aber der Sektor hinkt weit hinterher.

Von Helmut Martin-Jung und Stephan Radomsky

Keine Frage, die CO₂-Emissionen müssen runter, und dabei ergibt es am meisten Sinn, dort anzufangen, wo auch etwas zu holen ist. Der Gebäudesektor gehört definitiv dazu: Neben dem Verkehr und der industriellen Produktion sind öffentliche und private Gebäude einer der Hauptverursacher von Treibhausgasen. Rund ein Drittel des gesamten Endenergiebedarfs in Deutschland entfällt laut Bundeswirtschaftsministerium darauf. Doch der Gebäudesektor hängt bei den Klimazielen sehr hinterher. Ginge es im selben Schneckentempo weiter wie bisher, würde er die für 2030 angestrebten Klimaziele einer CO₂-Reduktion um 38 Prozent bis zum Jahr 2030 weit verfehlen. Was also tun?

Natürlich neue, umweltfreundliche Heizungen fördern, dazu die energetische Sanierung, aber reicht das? "Den Kampf für das Klima gewinnen wir nicht allein mit dicker Dämmung, wir gewinnen ihn mit smarter Steuerung", sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbandes Bitkom. Die bisherigen Fördermaßnahmen seien zu einseitig auf traditionelle Maßnahmen ausgerichtet gewesen. Mithilfe digitaler Technologien ließen sich enorme Mengen an Treibhausgasen einsparen, "und das schneller und mit geringeren Investitionen als bei der Dämmung oder der Sanierung von Gebäuden", so Rohleder. Die Digitalisierung als Klimaretter?

Das Potenzial dafür ist zumindest da: Vieles an digitaler Technik, etwa intelligente Heizungssteuerungen bis hin zu programmierbaren Thermostaten für Heizkörper, lässt sich sogar nachträglich einbauen. Bei einem Modellprojekt in einem großen Mehrfamilienhaus in Berlin führte die Nachrüstung mit Temperatursensoren, Aktoren für Heizungsventile, Steuerungselektronik und spezieller Software zu einer Einsparung an Heizenergie von 24 Prozent.

Zwischen den verschiedenen Gewerken gehen viele Informationen verloren

Doch nicht nur smarte Technologie kann helfen, den Energiebedarf zu verringern. Auch Lösungen, die den Bau von Gebäuden selbst effizienter machen, tragen dazu bei. Während die Planung von Gebäuden schon seit Jahrzehnten mehr und mehr mit Software am Computer statt am Zeichenbrett erledigt wird, gibt es in der Bauphase noch viele Brüche in der Prozesskette, sagt Patrik Heider. Daten würden auf Papier erfasst und müssten erst wieder digitalisiert werden. Heider ist Chef des Münchner Baufsoftware-Start-ups Thinkproject. Das Unternehmen will nicht nur diese Brüche unnötig machen. Weil die Bauausführung in der Software bereits simuliert werden könne, ließen sich im Vorfeld auch mögliche Konflikte erkennen, etwa Rohrleitungen, die sich in die Quere kommen. Außerdem werden auch die verwendeten Materialien und ihre Eigenschaften erfasst.

Daran scheitert es heute noch häufig. Bis ein großes Immobilienprojekt steht, sind viele verschiedene Akteure beteiligt. Angefangen bei der Finanzierung, über Planung, Bau und Zertifizierung bis hin zum Betrieb wechselt die Verantwortung immer wieder - und jeder bringt seine eigenen Systeme mit. Die aber passen oft nicht zusammen, Daten müssen dann bestenfalls aufwendig aufbereitet werden, um sie weiterreichen zu können. Oft gehen da Informationen verloren.

Genau die wären aber entscheidend, um etwa bewerten zu können, wie nachhaltig ein Gebäude wirklich ist. Und das ist bald zwingend erforderlich. Vom kommenden Jahr an sollen Anlage- und Versicherungsberater ihre Kunden nicht mehr nur nach ihrer Risikobereitschaft fragen, sondern auch, wie wichtig ihnen die Ökobilanz der Investments ist. Dabei spielen sogenannte ESG-Kriterien, also Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungskriterien, eine entscheidende Rolle - auch für Immobilien. Im Juni hat die EU-Kommission dazu ein mehrere Hundert Seiten langes Dokument veröffentlicht, in dem sie unter anderem detailliert ausführt, welche Investments künftig den ökologischen Mindestanforderungen entsprechen und welche nicht. So dürfen zum Beispiel bald nur noch Gebäude als nachhaltig gelten, die bei der Energieeffizienz zu den besten 15 Prozent des Bestands auf nationaler oder regionaler Ebene zählen.

Dank der geeigneten Software müssen nicht mehr ganze Ordner per Post versendet werden

Das Ziel der staatlichen Vorgaben ist klar: mehr Geld in nachhaltiges Wirtschaften lenken - und damit unter anderem auch die Energiewende voranbringen. Gerade auf dem Bau gäbe es da noch einiges zu tun. Zugleich drängt immer mehr Kapital in diesen Bereich: Alleine in den verschiedenen Formen von Immobilienfonds steckten nach Angaben des Fondsverbands BVI hierzulande zuletzt knapp 260 Milliarden Euro - fast ein Drittel mehr als noch drei Jahre zuvor. Hinzu kommen noch Mischfonds, direkt oder über Beteiligungen gehaltene Gebäude und Investments in Immobilienkonzerne wie Vonovia, LEG oder TAG.

Damit das klappt, muss man aber erst einmal wissen, was eigentlich in einem Gebäude steckt. Wie viel CO₂ entsteht bei der Herstellung der verwendeten Materialien, wie viel ist in den Stoffen gebunden? Der US-Softwarehersteller Autodesk etwa bietet einen solchen Rechner schon an. Er basiert auf Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen und ermöglicht es Planern, die CO₂-Bilanz verschiedener Materialien zu vergleichen. Früher brauchten ganze Teams dafür Tage, mit der entsprechenden Software sei es eine Sache von Minuten, wirbt Autodesk.

Building Information Modeling (BIM), also die Modellierung der Daten eines Bauwerks, so nennt man die Art von Software, um die es hier geht. Mit ihr entstehen 3-D-Modelle, die im gesamten Prozess konsistent bleiben und von allen Projektpartnern genutzt werden können. "Wo solche Software eingesetzt wird, sind die Kosten eher im Rahmen", sagt Patrik Heider vom Münchner Start-up Thinkproject, ein Beispiel dafür sei der Bau des Gotthard-Tunnels, dessen Kosten etwa denen der Planung entsprachen. Außerdem beschleunige die digitalisierte Planung die Projekte, "da müssen eben keine ganzen Ordner mehr per Post versendet werden". Projektpartner können sich auch mit digitaler Unterstützung beraten, müssen sich nicht mehr physisch irgendwo treffen - das hilft nicht nur wie jetzt gerade in der Pandemie.

20 Prozent des Materials im Bau werden nicht genutzt

Heider zeigt sich "extrem fasziniert davon, was die Digitalisierung bewirkt". Die Firma plant, künftig noch mehr Möglichkeiten dafür in ihre Software zu integrieren. In Zukunft werde man ja nachweisen müssen, welche Materialien verbaut wurden und wie deren Umweltbilanz aussieht. Thinkproject sei bereits auf der Suche nach möglichen Zukäufen, die dabei helfen könnten. Um die Zukunft seiner Firma ist ihm nicht bange. Der Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung sei so groß, dass man auch gegen große amerikanische IT-Unternehmen bestehen könne. Und der Neubau brummt: So wuchs der Auftragseingang in den ersten acht Monaten dieses Jahres um real 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt stehen die Chancen damit gut, dass es das neunte Jahr in Folge mit wachsendem Geschäft für die Branche wird. Weltweit stehen die Zeichen ebenfalls auf Wachstum: Täglich sollen 13 000 Gebäude entstehen und pro Jahr mehr als 1,1 Millionen Kilometer Straße gebaut werden, heißt es in einer Studie von Autodesk.

Da gibt es auch ein gewaltiges Einsparpotenzial. Am Bau liege die Quote von verschwendetem Material derzeit bei etwa 20 Prozent, sagt Heider, in der Automobilbranche dagegen bei unter einem Prozent. Mit Digitalisierung soll diese Quote gedrückt werden. Heider will seine Firma außerdem auch noch stärker beim Betreiben von Bauten einsetzen. Das brächte einen weiteren Vorteil mit sich, glaubt der Start-up-Chef: Firmen wie die seine wären dann noch mehr als bisher die Inhaber von Daten. "Das ist unser Benzin."

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