Baustellen:Bahn sperrt Strecken wegen maroder Betonschwellen

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Veraltetes Netz: Die Deutsche Bahn kämpft schon seit einigen Monaten mit massiven Problemen. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Der Konzern lässt bundesweit Schwachstellen im Schienennetz prüfen - mit massiven Folgen für den Reiseverkehr. Dabei fahren so viele Menschen Zug wie schon lange nicht mehr.

Von Markus Balser, Berlin

Wie massiv die Probleme der Bahn gerade zunehmen? In vielen Deutschen Regionen bekommen Pendler und Ferienreisende das in diesen Tagen zu spüren. Über Nacht sperrten die Verantwortlichen des Konzerns in dieser Woche etwa Verbindungen in Berlin, Bayern oder im Harz. Dort sind die Ferienorte Thale und Blankenburg nun nicht mehr per Zug erreichbar, Wernigerode nur von Goslar aus.

Schuld sind diesmal marode Betonschwellen, wie sie auch das Zugunglück bei Garmisch Anfang Juni mit fünf Toten und vielen Verletzten ausgelöst haben könnten. Weil diese Charge des Herstellers in Deutschland vielerorts verbaut ist, müssen die Bauteile nun geprüft und notfalls ausgetauscht werden. An mindestens 42 Stellen müssen die Züge im Land deshalb langsamer fahren, andere Abschnitte sind ganz gesperrt. Von 200 000 möglicherweise betroffenen Schwellen spricht die Bahn. Der Vizechef der größten Bahngewerkschaft EVG, Martin Burkert, der auch im Aufsichtsrat der Bahn sitzt, geht sogar von bis zu einer Million betroffenen Schwellen aus, was die Bahn zurückweist.

Defekte Schwellen gelten als möglicher Auslöser des Unglücks bei Garmisch. Zwar laufen die Ermittlungen noch. Doch auch in einer Unterlage des Bundesverkehrsministeriums war bereits von schadhaften Betonschwellen die Rede. Zum Problem für die Bahn wird offenbar eine chemische Reaktion, die den eigentlich harten Beton brüchig werden lässt. Wenn die Betonmischung nicht stimmt, reagieren Zement und beigemischtes Gestein auf eindringende Feuchtigkeit. Es kommt zu einer Reaktion, bei der sich gelöste Kieselsäure im Beton ausbreitet und ihn von innen sprengt. In zwei Wochen werde es Klarheit geben, wie viele Schwellen nun ausgetauscht werden müssen - und wo langfristig Probleme entstehen.

Die Deutsche Bahn kämpft schon seit einigen Monaten mit erheblichen Problemen im System. Sie muss das überlastete und vielerorts marode Schienennetz sanieren. Derzeit kommen laut Bahn wegen der Rekordzahl der Baustellen gerade mal 69,6 Prozent der Fernverkehrszüge pünktlich ans Ziel. Vor einem Jahr waren es noch fast 80 Prozent. Als pünktlich gilt bei der Bahn ein Zug, solange er nicht mit mehr als sechs Minuten Verzögerung am Ziel eintrifft.

Der Bahnchef räumt massive Probleme für die Kunden ein. "Qualität und Pünktlichkeit sind derzeit nicht akzeptabel", sagte Richard Lutz am Donnerstag auf der Bilanzpressekonferenz zu den Halbjahreszahlen des Unternehmens ein. Die steigende Nachfrage und immer mehr Züge - derzeit seien das 51 000 pro Tag und damit mehr als je zuvor - träfen auf die Probleme des teils überalterten und störanfälligen Netzes.

"Die Infrastruktur wird jeden Tag älter"

Der Konzern und auch der amtierende Vorstand geraten wegen der sich verschlimmernden Lage immer stärker unter Druck. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte Kritik am Bahn-Management geübt, Bundesländer wie Bayern und Sachsen-Anhalt haben gerade Brandbriefe an den Vorstand geschrieben. Bahn-Verantwortliche sehen auch die Politik selbst in der Pflicht. "Die Infrastruktur wird jeden Tag älter, obwohl der Koalitionsvertrag etwas anderes vorsieht", warnt Gewerkschafter Burkert. Die vom Bund bereitgestellten Mittel für den Ausbau der Bahn reichten bei weitem nicht aus.

Dabei steigen so viele Menschen in die Bahn, wie schon lange nicht mehr. Allein in den Fernverkehrszügen fuhren im ersten Halbjahr mehr als 59 Millionen Reisende mit. Das waren gut doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im Regionalverkehr stieg die Nachfrage um 60 Prozent auf rund 725 Millionen Fahrgäste - allerdings vor allem wegen des Neun-Euro-Tickets. Weil auch die Geschäfte der Logistik-Tochter Schenker wieder laufen, erzielte die Bahn nach hohen Verlusten in der Pandemie erstmals wieder Gewinne. Der operative Gewinn vor Steuern und Zinsen lag in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres bei 876 Millionen Euro.

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