Verkehr:Jetzt kommt ein Sommer ohne Bahnstreiks

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Die nächsten Wochen legt kein Streik die Züge lahm. (Foto: Max Lautenschläger/Deutsche Bahn AG)

Eine Schlichtung soll die Lohnrunde der Bahn beenden. Doch auch wenn es in den kommenden Wochen keine Streiks geben wird: Von Herbst an droht ein heftiger Arbeitskampf.

Von Alexander Hagelüken

Es ist der Versuch, nach fünf Monaten endlich Lohnerhöhungen für 200 000 Beschäftigte zu vereinbaren: Die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG ringen mit neutralen Schlichtern um eine Lösung. Reisende können deshalb zunächst aufatmen: Es wird bis Ende August keine Streiks geben - also fast die gesamten Sommerferien lang. Danach ist ein heftiger Arbeitskampf möglich.

Die Schlichtung von Tarifrunden ist in Deutschland selten. Meistens kommen Arbeitgeber und Gewerkschaften ohne Hilfe von außen zu einer Lösung. Eine Schlichtung gilt deshalb als Zeichen für besonders harte Fronten - und als Armutszeugnis für die Sozialpartnerschaft.

Angesichts der höchsten Inflationsraten seit einem halben Jahrhundert sind die Fronten zurzeit allerdings in vielen Tarifrunden besonders verhärtet. Bei der Post gelang ein Lohn-Deal erst, nachdem die Gewerkschaft unbefristete Streiks beschlossen hatte. Für zwei Millionen Erzieherinnen und Müllwerker im öffentlichen Dienst brachte erst eine Schlichtung die Lösung.

Auch Schlichtungen können jedoch misslingen. So war es im öffentlichen Dienst 1992. Die Arbeitnehmer stimmten für unbefristete Streiks. Hunderttausende von ihnen legten elf Tage die Arbeit nieder. In dem Jahrhundertstreik stapelten sich in den Städten die Müllsäcke. In Berlin versuchten Bürger, per Anhalter zur Arbeit zu trampen.

Drohen elf Tage ohne Zugfahrten?

Verkehrsmäßig wird es schwierig, wenn die jetzige Schlichtung bei der Bahn scheitern sollte. Ab 17. Juli beugen sich die neutralen Schlichter mit Abgesandten von Gewerkschaft und Konzern über die Tarifdetails. Spätestens am 31. Juli machen sie einen Vorschlag für Lohnerhöhungen. Dann äußert sich die EVG, ob sie die Annahme empfiehlt. Dann läuft bis Ende August eine Urabstimmung der Mitglieder.

Bis dahin schließt die EVG Arbeitskämpfe aus. Lehnen in der Urabstimmung drei Viertel der Mitglieder das Schlichtungsergebnis ab, wird es Streiks geben - und zwar unbefristete. Drohen also nach dem Vorbild des Jahrhundertstreiks des öffentlichen Diensts elf Tage ohne Zugfahrten?

Das hängt maßgeblich davon ab, wie gut die Schlichter die Bedürfnisse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern unter einen Hut bringen. Die Gewerkschaft hat als Schlichterin die Juristin Heide Pfarr nominiert. Die 78-Jährige war lange Direktorin des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) und kurz SPD-Ministerin in Hessen und Berlin. Der Konzern beruft den früheren Bundesinnen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière. Der 69-jährige CDU-Politiker sorgte vor Kurzem mit der Äußerung für Aufsehen, ihm gehe die Anspruchshaltung vieler Mitglieder der Generation Z gegen den Strich: "Mich ärgert, dass sie zu viel an sich denken und zu wenig an die Gesellschaft."

Als Schlichter wird es de Maizières Aufgabe sein, keine Gräben aufzureißen, sondern zuzuschütten. Gewerkschaft und Konzern haben sich in den vergangenen Monaten stark ineinander verhakt. Die Tarifrunde war von schärferen Tönen begleitet als sonst. Selbst um Detailfragen wurde erbittert gestritten. Im März und April legte die EVG jeweils für fast einen Tag den Zugverkehr lahm. Gegen einen geplanten 50-Stunden-Streik klagte die Bahn vor Gericht, es kam zu einem Vergleich.

In mehreren Schleifen näherte die Bahn sich der EVG an

Die Gewerkschaft forderte für die Bahner ursprünglich zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 650 Euro mehr pro Monat. Das würde für wenig verdienende Beschäftigte deutlich höhere prozentuale Lohnerhöhungen bedeuten als zwölf Prozent. Gelten soll dieser Tarifvertrag nur für ein Jahr, danach will die EVG neue Lohnerhöhungen durchsetzen.

Die Deutsche Bahn wies dies scharf zurück. In mehreren Schleifen näherte sie sich der EVG an. Zuletzt bot sie neben einer Inflationsprämie von 2850 Euro wie von der EVG gefordert eine Mindesterhöhung des Lohns an, allerdings nur um 400 Euro. Außerdem will sie, dass der Tarifvertrag 27 Monate läuft.

Das ist der EVG deutlich zu lang, weil sie dann erst spät wieder um neue Lohnerhöhungen verhandeln kann. Mit dem regionalen Bahnbetreiber Transdev hat sie sich vor Kurzem auf einen Tarifvertrag über 21 Monate geeinigt. Dabei gibt es zwar eine geringere Inflationsprämie als die Bahn anvisiert, aber eine Mindesterhöhung von 420 Euro. Den Transdev-Abschluss nennt die EVG "wegweisend". Es ist das Ziel der Gewerkschaft, in der Schlichtung sowohl bei der Verkürzung der Laufzeit wie bei der Mindesterhöhung noch etwas rauszuholen.

Mut könnte den Zugreisenden machen, dass es bei der EVG noch nie unbefristete Streiks gegeben hat, die jetzt bei einer Ablehnung des Schlichtungsergebnisses drohen. Allerdings steht die Gewerkschaft diesmal auch besonders unter Druck. Das liegt nicht nur an der hohen Inflation. Die EVG hat auch in den vorherigen Lohnrunden niedrigen Abschlüssen zugestimmt, da die Deutsche Bahn wegen der Corona-Pandemie mit leeren Zügen riesige Verluste einfuhr. Dieses moderate Verhalten brachte der EVG Häme von der konkurrierenden Lokführergewerkschaft GDL ein, die ihr aggressiv Mitglieder abzuwerben versucht.

Gewerkschaftschef Claus Weselsky hat nun die Latte für die anstehende Lohnrunde der Lokführer sehr hoch gelegt: Er will 555 Euro mehr im Monat sowie eine Inflationsprämie von 3000 Euro - und zusätzlich eine Reduzierung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden je Woche bei vollem Lohnausgleich. Das liegt über der Ausgangsforderung der EVG. Sie will in der Schlichtung ein besonders hohes Ergebnis erzielen, um der rivalisierenden Gewerkschaft keine Vorlage zu liefern.

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