Reifenhersteller:Wie Conti wurde, was es ist

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Mit Conti-Pneus wird die Hasenjagd erfolgreich: Werbemotiv aus den Zwanzigerjahren. (Foto: imago images)

Continental begann mit Zubehör für Ross und Reiter. Es folgten Krisen, Kriege und enormer Wandel. 150 Jahre später ist Conti einer der wichtigsten Autozulieferer der Welt. Aber Hufpuffer gibt es immer noch.

Von Max Hägler

Wenn man dieser Tage mit den Menschen bei Conti in Niedersachsen über die Vergangenheit und Zukunft des Unternehmens redet, dann kommen sie gern aufs Pferd zu sprechen. Was zuerst ein wenig verwundern mag, weil Continental ja einer der größten Autozulieferer der Welt ist. Aber andererseits: Das Pferd, oder besser die Ausrüstung für Ross und Reiter, ist die deutlichste Konstante in dieser Firma, die an diesem Freitag 150 Jahre alt wird.

Ariane Reinhart jedenfalls, die Vorständin für Personal und Nachhaltigkeit, hält einem auch gleich ein Gummiteil hin, wenn sie über das Jubiläum spricht: einen Hufpuffer. Unter anderem mit diesem Produkt begann die "Continental-Caoutchouc- und Gutta-Percha-Compagnie" im Jahr 1871 ihr Geschäft: Über Jahrzehnte hinweg wurden Gäule damit ausgerüstet, um das Hufgetrappel in den Städten zu dämpfen und die Fesseln der Tiere zu entlasten. Ein gutes Geschäft, an das sich die Firma aus Hannover vor einiger Zeit erinnerte: Mittlerweile gibt es den "Continental-Turfcord", einen Kautschuk-Hufschutz, der das traditionelle Hufeisen ersetzt. "Manches bleibt gleich", sagt die Managerin, die selbst auch reitet. Wobei es das auch schon weitgehend war mit dem Traditionellen.

Denn Conti hat sich immer wieder gewandelt. Es ist ein Unternehmen, das die deutsche Geschichte spiegelt, in den Höhen und Tiefen, wie auch die Historiker Paul Erker und Nils Fehlhaber in der Jubiläumsschrift kritisch notieren. Continental sei eine Erfolgsgeschichte, schreiben sie. "Eine, die auf dem ständigen Umbau und Sich-neu-Erfinden der Organisation beruht." Wobei Conti nie Glück gehabt habe: Alle Jubiläen fielen in Krisenzeiten oder zumindest Umbruchphasen.

Das Unternehmen profitierte vom NS-Regime

1896 etwa waren noch die Folgen der "Großen Depression" zu spüren, die dem Gründerboom gefolgt war, in dem auch Continental entstanden war. Aber man rappelte sich auf, baute Lufthüllen für Zeppeline und wurde zum Erstausrüster für den damals größten Autobauer Opel. Vor allem aber war Conti damals bekannt als Hersteller von Gummibällen und Gummipuppen.

Dann die zwei Weltkriege, dem einen fielen die Auslandsdependancen des durchaus bereits global agierenden Unternehmens zum Opfer. In dem anderen profitierte das Management von der Unterstützung des Nazi-Regimes. Mindestens 6700 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge schufteten etwa Ende 1943, um künstliches Kautschuk, Buna, für Kriegsgeräte zu produzieren.

Das Pferd als Konstante: Ein Rennfahrer, der wohl mit Conti-Reifen unterwegs ist. (Foto: Raphael Huenerfauth/photothek.net/imago/photothek)

So verstrickt in das Unrecht, schreiben die Historiker, mussten sich Unternehmensführung und Belegschaft völlig neu erfinden. Es gelang mit dem Produkt, für das Conti den meisten heute bekannt ist: Reifen. Doch in den Sechzigerjahren wurde die Konkurrenz zur Existenzbedrohung: Michelin aus Frankreich hatte eine ganz neue, technisch überlegene Reifentechnik entwickelt - was die Deutschen so sehr schwächte, dass einige Jahre später Konkurrent Pirelli einen Übernahmeversuch starten konnte, der nur knapp scheiterte.

Erst Mitte der Neunzigerjahre begann über Zukäufe der Aufbau der Elektroniksparte, die heute die Hälfte des Umsatzes (geplant für 2021: 34 Milliarden Euro und 6,5 Prozent operative Marge) ausmacht. Der Höhepunkt: Der milliardenschwere Kauf der Firma Siemens VDO, die etwa ABS-Sensoren produziert. Übergroßes Selbstbewusstsein statt Zukunftssorgen dominierten jetzt. Das gefiel vor gut zehn Jahren der fränkischen Schaeffler-AG so sehr, dass sie sich anschickte, bei Conti zum größten Einzelaktionär aufzusteigen. Ein Unterfangen, das anfänglich für heftigen Streit und Geldnot sorgte, aber Conti nicht schadete: Umsatz und Mitarbeiterzahl verdoppelten sich in der Zeit unter Führung von Elmar Degenhart.

Abwenden vom Verbrenner, investieren ins Digitale

In der Rückschau kommen die Historiker auf mehr als ein halbes Dutzend "mehr oder weniger ausgeprägte und sich zum Teil überlappende Transformationsphasen", die das Unternehmen überstanden habe - wegen einer inneren Robustheit und eines fortwährenden Strebens nach Unabhängigkeit. Wobei die nächste Transformation gerade läuft, die größte vielleicht bislang: Der stagnierende Autoabsatz in der Welt und das Ende des Verbrenners haben Conti zugesetzt. Werke werden geschlossen, insgesamt 23 000 der 193 000 Mitarbeiter sollen sich bis zum Ende des Jahrzehnts "verändern". Conti will sie umschulen, nicht alle aber werden ihre Arbeit behalten können.

"Sind wir Getriebene, sind wir Treiber? Ehrlich gesagt sind wir beides", sagt Conti-Vorständin Reinhart. Und so haben sie eben erst die komplette Antriebstechnik - Verbrenner- und Elektromotoren - weggegeben in eine Ausgründung namens Vitesco und fokussieren sich ganz auf Digitales: Die Rechner in den Volkswagen-Modellen ID.3 und ID.4 stammen etwa aus dem niedersächsischen Konzern. "Es gilt doch der Satz: Wenn du loslässt, dann hast du die Hände frei für neue Dinge", sagt Reinhart. Wobei sie sich zumindest immer an die Herkunft erinnern: Im Continental-Logo ist weiter ein Pferd abgebildet, auch nach 150 Jahren.

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