Angela Merkel demonstriert auf ihre Art Unabhängigkeit. Sie fährt in einem Mercedes-Bus vor. Ausgerechnet die Bundeskanzlerin. Ausgerechnet in Wolfsburg, dem Herzen des VW-Reiches, zu dem mit MAN und Scania auch zwei Bushersteller gehören. Und ausgerechnet heute, da es darum geht, ein Abkommen über ein VW-Werk in China zu unterzeichnen. Konzernchef Martin Winterkorn ist da. Vertreter der chinesischen Partner SAIC und FAW sind gekommen. Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao winkt in die Kameras. Alles ist heute VW. Und China. Und die Kanzlerin sitzt im Bus aus Stuttgart.
Milliardeninvestitionen mit hohem Risiko und Nebenwirkungen: Volkswagen baut ein neues Werk im Boomland China.
(Foto: Getty Images)Winterkorn lächelt trotzdem. Wen Jiabao auch. Beide sind zufrieden. 170 Millionen Euro will VW investieren; ab 2015 sollen bis zu 50.000 Fahrzeuge in der nordwestchinesischen Region Xinjiang produziert werden. Wieder ein neues Werk. Denn China boomt.
China und die ausländischen Autobauer, das ist eine besondere Liaison. Ohne China hätte es den jüngsten Aufschwung in der deutschen Autoindustrie so nicht gegeben. Ohne China keine Absatzrekorde. Keine Rekordgewinne. Und womöglich auch keine Sonderprämien für Arbeiter in Ingolstadt, Wolfsburg oder Dingolfing. Jedes fünfte deutsche Auto wird in China verkauft. Wer ohne China und seine vielen Neureichen auskommen muss, dem geht es so wie Opel. Schlecht.
China, das ist wie eine süße Droge. Wenn man einmal damit angefangen hat, ist es schwer, ohne sie zu leben. Wie schwer, wurde zuletzt im März klar. Als China seine Wachstumsprognose heruntersetzte und Auto-Aktien der Reihe nach einbrachen. Dass China irgendwann nicht mehr zwei- oder gar dreistellig wachsen könnte, löst in den Vorstandsetagen mittlere Erdbeben aus. Vor allem, wenn man wie VW, BMW oder General Motors Milliarden investiert hat. China ist alles. Milliarden-Gewinn, Milliarden-Wachstum. Milliarden-Risiko.
"Die Investitionen der deutschen Autobauer werden sich rentieren", sagt Garnet Kasperk, Direktorin des Center for International Automobile Management an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Allerdings: "Das Wachstum wird sich auch in China zunehmend verlangsamen, da braucht man einen sehr langen Atem." Nicht "ohne Risiko" sei der Markt, sagt der Münchner Wirtschaftsprofessor Horst Wildemann von der TU München. "Schwierige Behörden, die Konflikte mit den dortigen Mitarbeitern, Schikanen und Produktpiraterie." Und doch: "Wenn man es nicht macht, ist der Markt weg." Und das will niemand riskieren. Also werde erst einmal investiert.
Zuletzt waren es die einheimischen Hersteller, die die Flaute zu spüren bekamen - ausländischen Edelmarken wie Daimler, Audi oder BMW ging es nach wie vor prächtig. Nur - wie lange noch? Wird die Regierung das freie Spiel der Kräfte laufen lassen? "Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren einiges unternommen, um ihre eigenen Marken zu fördern", warnt BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson. "Wir unterschätzen den Wettbewerb nicht - auch chinesische Hersteller werden früher oder später ihre eigenen Premium-Autos anbieten."