Audi-Nachtarbeiter Peter Gaiser:Stammnummer 11842

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Niemand arbeitet länger bei der Audi AG als Peter Gaiser. 50 Jahre ist der Werkzeugbauer im Betrieb - seit zwei Jahrzehnten schiebt er Nachtschicht.

Uwe Ritzer

Damals hatten Autos noch kein Design, sondern ein Gesicht. Zwei große, runde Scheinwerfer als Augen, die Stoßstange als Mund, Kühlergrill und Motorhaube zur Nase gebogen. Der grüne DKW F102 mit dem weißen Dach im Ingolstädter "museum mobile" stammt aus dem Jahr 1960. Knapp 1200 Kubikzentimeter Hubraum, 60 PS, 135 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit, und das alles zum Preis von 7200 D-Mark.

Der DKW F102 aus dem Jahr 1960 war das erste Auto, an dem Peter Gaiser mitgearbeitet hat. Ein Zweitakter, 60 PS, 135 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit. Damals hieß das Unternehmen noch Auto Union. Foto: Sally Perel/Fotoworkx (Foto: Sally Perel/Fotoworkx)

Exakt 53053 Stück wurden von diesem Autotyp gebaut. Der letzte Zweitakter und der letzte DKW aus dem Hause Auto Union, die ihre Autos fortan nur noch "Audi" nannte. Für Peter Gaiser markiert der F102 den Anfang. "Es war das erste Auto, an dem ich mitgearbeitet habe", sagt er stolz.

Peter Gaiser ist, obwohl in Dresden geboren, ein Ur-Bayer. Mit dem Dialekt verströmt der beleibte Hobbykoch bajuwarische Gemütlichkeit, auch wenn Kollegen sagen, der Peter könne ganz schön grantig sein, und dann werde er laut.

In Ingolstadt ist er aufgewachsen, und als er mit 14 Jahren die Volksschule hinter sich hatte, entschied sein Vater: "Du gehst in die Lehre - zur Union". So sagten die Leute in Ingolstadt damals, wenn sie die Autofabrik am Rande der Stadt meinten.

Peter Gaiser lernte Universalfräser, was heute "Zerspanungsmechaniker Fachrichtung Fräsen" heißt, und er wurde zu einem Unikum. Wenn sich der Mitarbeiter mit der Audi-Stammnummer 11842 in wenigen Wochen in den Ruhestand verabschiedet, wird er 50 Jahre und sieben Monate in dem Unternehmen gearbeitet haben.

Frühstück um 18 Uhr

Gaiser, 64, ist der dienstälteste Mitarbeiter der Audi AG. Er ist erst der sechste Mitarbeiter in der Firmengeschichte, der es auf fünf Jahrzehnte Betriebszugehörigkeit bringt.

Anfangs arbeitete der Jubilar im Dreischichtbetrieb, die letzten gut zwanzig Jahre ausschließlich in der Nachtschicht. Das schaffe man nur, wenn man gewissermaßen auf Kommando schlafen könne, meint Gaiser: "Ich kann mich zu jeder Uhrzeit ins Bett legen und nach fünf Minuten bin ich weg."

Im Sommer steht er mittags um zwölf auf, im Winter um 14Uhr. Gefrühstückt wird gegen 18Uhr. Eine Dreiviertelstunde braucht er von seinem Wohnort Neufahrn bei München zur Arbeit nach Ingolstadt. Um 22 Uhr ist Schichtbeginn, um sechs Uhr früh Feierabend.

Freundschaften zu pflegen sei bei diesem Rhythmus schwierig und für die Familie sei auch kaum Zeit geblieben, sagt der geschiedene Vater dreier Töchter. "Zu 99 Prozent" habe er sich wegen des Geldes auf Nachtarbeit konzentriert. "Das bringt durchschnittlich 38 Prozent mehr Lohn", hat er ausgerechnet. "Aber man muss überhaupt ein Nachtmensch sein, um das so lange auszuhalten."

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Eine Idee, vier Takte, 416.853 verkaufte Exemplare, eine Konzernrettung. Was als letzte Chance 1965 auf die Straße kam, läutete den Aufstieg vom Hosen- zum Imageträger ein.

Peter Gaiser ist Werkzeugbauer. Wie eine Insel steht die sechseckige Werkbank mit allerhand Schraubenschlüsseln, Schraubstöcken und vielen Handwerkzeugen in einem fensterlosen Raum in Halle S 41. Musik dudelt aus dem Radio. Auf einem Papierformular kommt die Bestellung an. Die Buchstabenkürzel und Zahlen stehen für spezielle Fräser oder Bohrer, die Gaiser und seine Kollegen zusammenstellen müssen.

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Später werden andere Kollegen jene Werkzeuge damit bestücken, mit denen blecherne Seitenteile für Autos gepresst werden. Millimetergenau müssen die wuchtigen, gusseisernen Maschinen dafür ausgerichtet werden. "Bei uns werden die Außenhäute für alle aktuellen Fahrzeugtypen von Audi hergestellt", sagt Peter Gaiser. Und er ist stolz: "Wir sind die besten Werkzeugbauer im Volkswagen-Konzern."

Der Meister schaut vorbei. Gruppenleiter Albert Spengler und Peter Gaiser rechnen kurz und kommen zum Ergebnis, dass sie seit 44 Jahren Kollegen bei Audi sind. "Für die Nachtschicht kann man nicht jeden brauchen", sagt Spengler. "Da brauchst du ganz spezielle, selbständige Typen." Arbeit sei für die meisten Menschen schließlich nicht nur Broterwerb, sondern auch eine sinnstiftende Aufgabe im Leben.

"Als ich nach der Lehre übernommen wurde, war ich unheimlich stolz", sagt Peter Gaiser. "Bei der Auto Union arbeiten - da warst du wer." 8314 Beschäftigte zählte die Firma 1960 in Ingolstadt, heute sind es 32.100, davon arbeiten 900 im Werkzeugbau. Ein Werk im Werk. Und doch Glied einer ausgefeilten Produktionskette.

Natürlich sei der Stress größer als früher und die Arbeit anspruchsvoller, sagt Gaiser. Er weiß noch nicht, ob ihm der Abschied schwerfallen wird. "50 Jahre binden natürlich. Aber ich mache mir vorher keine großen Gedanken, sondern lasse alles auf mich zukommen." So hat er es schließlich immer gehalten und er sei damit gut gefahren.

Aus der Perspektive seiner wechselnden Werkbänke wurde er zum unaufgeregten Zeitzeugen der wechselhaften Unternehmensgeschichte. 1960, als Gaiser seine Ausbildung begann, gehörte Audi zu Daimler-Benz. Vier Jahre später kam die Marke mit den vier ineinander verschlungenen Ringen zum Volkswagen-Konzern. 1969 fusionierte sie mit der Neckarsulmer NSU, seit 1985 firmiert sie als Audi AG.

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Peter Gaiser erlebte, wie in den späten sechziger Jahren VW Käfer in dem Ingolstädter Werk produziert wurden. Er baute mit an den Werkzeugen für den ersten Quattro-Vierradantrieb 1980 und für alle anderen Fahrzeugtypen und Modelle der Marke bis zum heutigen Tag.

Er gestaltete den Aufschwung der vergangenen 14 Jahre von der langweiligen zur sportiven Edelmarke an seiner Werkbank mit. "Wenn die mir zum Abschied einen Audi schenken würden, das wär's", sagt Gaiser und lacht dabei.

Tatsächlich wird er zum Jubiläum zwei Monatsgehälter Prämie bekommen und vier Wochen Sonderurlaub. Finanzvorstand Axel Strotbek wird bei einem Festakt ihn und weniger langgediente Firmenjubilare auszeichnen.

In der kommenden Woche, am 7. oder 8. Februar, wird Peter Gaiser zum letzten Mal zur Schicht antreten. Dann hat er Urlaub und von 1.April an ist er Rentner. Mehr Schafkopf will er dann spielen. Und, um ganz sicher zu gehen, hat er sich in den vergangenen Monaten eine private Cinemathek angelegt. 150 Spielfilme hat er sich gekauft und noch keinen einzigen davon angeschaut. Eine Not-Ration gegen drohende Langeweile. Man weiß ja nie.

© SZ vom 03.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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