Deutsche Atomindustrie:Ein Land fühlt sich betrogen

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Die AKW-Betreiber sind entsetzt. Nicht nur über das Beben in Japan - sie spüren, was sich in Berlin zusammenbraut: Die Politik wendet sich von ihnen ab. Der legendäre Einfluss der Branche auf die Politik fährt herunter wie ein Reaktor bei der Notabschaltung.

Markus Balser

Sie sprechen von apokalyptischen Ausmaß der Zerstörung, von der nie für möglich gehaltenen Katastrophe, und davon, dass jetzt wohl nichts mehr sei wie zuvor: "Wir erleben eine Zäsur. Das wird die Lage in Deutschland ändern", heißt es aus den Chefetagen der deutschen Atombranche. Das Beben im fernen Japan hat mit dem Abschalten von sieben deutschen Kernkraftwerke auch seine massive Wirkung bei den hiesigen AKW-Betreibern.

Die deutschen Energiekonzerne haben in Sachen Kernkraft an Einfluss verloren. Im Bild: AKW Philippsburg bei Karlsruhe. (Foto: dapd)

Ihre wortgewaltigen Führer sind entsetzt. Nicht nur über das Beben. Sie spüren, was sich in Berlin und in den Bundesländern zusammenbraut: Die Politik wendet sich von ihnen ab. Wer jetzt noch an der Kernenergie festhält, könnte vom Volkszorn hinwegfegt werden. Da hilft keine Nähe zum Zentrum der Macht und schon gar kein öffentlicher Druck.

Der legendäre Einfluss der Branche auf die Politik fährt nach der Katastrophe herunter wie ein Reaktor bei der Notabschaltung. Die Deutungshoheit in Energiefragen haben andere übernommen. Der Atomlobby wird klar: Die Japan-Katastrophe läutet den beschleunigten Atomausstieg in Deutschland ein. Die Betreiber werden viele ihrer Kraftwerke nie wieder anfahren dürfen.

Ein Land will raus, und zwar schnell. Das Vertrauen in die Kernenergie schwindet mit der letzten Hoffnung, die Reaktoren in Fukushima wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie ist erschüttert von den Verharmlosungsversuchen des Betreibers und der Kontrollbehörden in Japan.

Und sie ist untergraben von den beispiellosen Volten von Unternehmen und Politikern in Deutschland. Was haben sie nicht alles an die Wand gemalt! Vor 2020 könne das Land auf keinen Reaktor verzichten. Versorgungsengpässe, Kostenexplosion drohten. Jetzt geht es noch in dieser Woche.

Ein Land fühlt sich betrogen. In verzweifelten Rettungsmaßnahmen muss die Branche nun um ihr Image und die gewinnbringenden Kraftwerke ringen - und macht die Sache nur noch schlimmer. "Alter ist kein Maßstab für die Sicherheit einer Anlage", beschworen Spitzenmanager am Montag und lehnten Stilllegungen ab, als sich in Japan längst zeigte, wie überheblich diese Einschätzung ist.

Am Dienstag kündigten die ersten Unternehmen plötzlich an, Meiler freiwillig vom Netz zu nehmen, schließlich nehme man die Sorgen der Bevölkerung ernst. Am Mittwoch nahm man das teilweise zurück, weil die Abschaltung aus Sicherheitsgründen nicht begründbar sei. So befand es Eon-Chef Johannes Teyssen.

Das Publikum blieb fassungslos zurück. Sieben Atomkraftwerke gehen nun per Beschluss vom Netz. Und glaubt man der Regierung diesmal, werden sie dem Land noch nicht einmal fehlen. In ganz neuem Licht erscheint plötzlich jener verbissene Kampf der Branche, der im vergangenen Jahr über Monate die Schlagzeilen bestimmt hatte.

Mit allen nur erdenklichen Geschützen hatte die Atomlobby für eine Laufzeitverlängerung gekämpft. Die Kampagne erreichte ihren spektakulären Höhepunkt als sich die vier Betreiber per Anzeige mit der Regierung anlegten. Selten zuvor war eine Bundesregierung von der Wirtschaft so unter Druck gesetzt worden.

Vorbei. Mit den Entscheidungen dieser Woche werden über Jahrzehnte gewachsene Strukturen der Energiewirtschaft über den Haufen geworfen. Damit dürften sich endgültig auch die engen Bindungen zwischen Politik und Konzernen lösen. Dass Energieunternehmen es nicht mehr mit Verhandlungen versuchen, sondern der Regierung wegen des Abschaltens bereits unverhohlen mit Klagen drohen, ist ein deutlicher Hinweis auf die Entfremdung zwischen beiden Seiten.

Zwar wird die Politik die Konzerne auch beim Eintritt in eine neue Phase der Energieversorgung brauchen. Doch ihr Einfluss schwindet. Das Beben wird in der deutschen Energiebranche bleibende Spuren hinterlassen.

© SZ vom 18.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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