Anklage gegen Schienenkartell:Eiserner Ekki von Thyssen-Krupp

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Ekkehard Schulz: 1972 fing er bei Thyssen an, mittlerweile gehört er nicht mehr zum Unternehmen. Vor Gericht aussagen soll er dennoch. (Foto: dpa)

Was weiß der frühere Thyssen-Chef Ekkehard Schulz über das Schienenkartell? Wenn es nun wohl zum Prozess kommt, ist er nur als Zeuge vorgesehen. Peinlich wird der Auftritt voraussichtlich trotzdem für ihn.

Von Klaus Ott, Essen/München

Ein bedeutsames Amt bei Thyssen-Krupp hat er schon lange nicht mehr, und überhaupt zieht es Ekkehard Schulz vor, sich nicht mehr zu seinem langjährigen Arbeitgeber zu äußern. Der ehemalige Vorstandschef schweigt lieber, was wenig verwunderlich ist angesichts dieser Hinterlassenschaft: Milliardenverluste bei Stahlwerken in Übersee, die den gesamten Konzern in Schieflage brachten; dazu Kartell- und Korruptionsaffären.

Doch einmal wird er wohl noch öffentlich auftreten und Rede und Antwort stehen müssen über fragwürdige Vorgänge in einen der größten deutschen Industriekonzerne. Die Staatsanwaltschaft Bochum hat kürzlich 14 mutmaßliche Drahtzieher und Mitwisser eines Schienenkartells wegen gesetzeswidriger Preisabsprachen angeklagt und Prof. Dr. Ekkehard Schulz als einen von 13 Zeugen benannt.

Die Preisabsprachen sollen schon nach dem Krieg begonnen haben

Das Kartell, das aus Thyssen-Krupp, der österreichischen Voestalpine und weiteren Firmen bestand, hat die Deutsche Bahn und andere Kunden viele Jahre lang mit viel zu teuren Gleisen und Weichen um viele Millionen Euro betrogen. Das hat das Bundeskartellamt bereits ermittelt und mit Bußgeldern geahndet. Kommt es nun auch zum Strafprozess, und davon ist auszugehen, dann soll Schulz vor dem Bochumer Landgericht erscheinen und aussagen.

Er ist die Nummer zwei in der Zeugenliste der Staatsanwaltschaft. Den "Eisernen Ekki", so haben sie den Stahlmann im Ruhrpott genannt. Der geplante Zeugenauftritt könnte allerdings sehr peinlich werden, weil der von Schulz fast ein Jahrzehnt lang geleitete Konzernvorstand der Anklage zufolge eben nicht so eisern durchgegriffen haben soll, wie das angebracht gewesen sei. So geschehen 2003, nachdem ein Spitzenmann der Schienensparte von Thyssen-Krupp wegen Bestechung eines Chefeinkäufers der Deutschen Bahn (DB) verurteilt worden war.

Offiziell war diese Spitzenkraft, die intern "Mr. Eisenbahn" genannt wurde, danach auf Drängen der DB abberufen worden. Offenbar nach einem Gespräch des damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn mit Schulz, der seinerzeit nicht nur Chef des Stahlkonzerns, sondern auch Aufsichtsratsmitglied bei der DB war.

"Mr. Eisenbahn" mischte wohl auch nach seiner Abberufung weiter mit

Inoffiziell aber habe "Mr. Eisenbahn" seine Spitzenposition bei Thyssen-Krupp "mit Kenntnis und Billigung des Konzernvorstandes" beibehalten und das Geschäft mit den Gleisen und Weichen weiterhin gesteuert. So steht es in der Anklageschrift, in der "Mr. Eisenbahn" als jemand beschrieben wird, der Preisabsprachen zu Lasten der Deutschen Bahn lange geprägt und gefördert habe und im nicht verjährten Tatzeitraum von 2006 bis 2011 zumindest geduldet habe.

Das Schienenkartell war erst im Frühjahr 2011 aufgeflogen, nach einer anonymen Anzeige. Wäre "Mr. Eisenbahn" nach seiner Verurteilung acht Jahre zuvor bei Thyssen-Krupp tatsächlich abberufen worden, hätte der Vorstand konsequent durchgegriffen, wären die Betrügereien der Bahn und anderer Kunden vielleicht schon früher zu Ende gewesen.

So aber gingen die schönen Schienengeschäfte mit den tollen Profiten weiter; vor allem auf Kosten der Steuerzahler. Hauptsächlich mit deren Geld wird ja das Bahnnetz saniert und modernisiert. Juristisch hat der gar nicht so eiserne Ekki aber nichts zu befürchten. Die Ermittler machen ihm keinen Vorwurf, sie wollen ihn nur als Zeugen hören.

Doch das unternehmenspolitische Versagen des alten Vorstandes von Thyssen-Krupp, das könnte bei Gericht sehr wohl dokumentiert werden. Ähnliches ist in anderen Fällen schon oft genug geschehen. Im großen Schmiergeldprozess bei Siemens hatte die Münchner Justiz mit der früheren Konzernspitze um Heinrich von Pierer abgerechnet, obwohl Pierer und seine Leute gar nicht auf der Anklagebank gesessen waren.

Korruption und Kartelle, dieser Mittel habe sich viele Unternehmen auch in Deutschland vielmals bedient (und tun dies zum Teil immer noch). Im Stahlgeschäft sollen die Preisabsprachen zu Lasten der Bahn sechs bis sieben Jahrzehnte zurückreichen. Die Staatsanwaltschaft Bochum notierte in ihrer Anklageschrift, es gebe anonyme Hinweise darauf, dass das Schienenkartell seinen Ursprung bereits in der Nachkriegszeit habe.

Zehn der vierzehn Angeklagten, die für Thyssen-Krupp, Voestalpine und Stahlberg Roensch zugange gewesen waren, sind geständig. Einer von ihnen hat der Staatsanwaltschaft berichtet, er habe bereits Ende der siebziger Jahre als junger Außenhandelskaufmann bei Krupp von Preisabsprachen bei den Schienen erfahren. Krupp war damals noch eigenständig. 1999 folgte die Fusion mit Thyssen.

Sollte das Kartell tatsächlich viele Jahrzehnte bestanden haben, dann wäre Thyssen-Krupp mit den insgesamt knapp 350 Millionen Euro Bußgeld und Schadenersatzzahlungen an die Bahn noch gut bedient. Die Gewinne aus den illegalen Geschäften dürften weit höher gewesen sein. Erklärt das, warum intern nie richtig durchgegriffen wurde, bis die Behörden von den Wettbewerbsverstößen erfuhren? Der geständige Außenhandelskaufmann erzählte den Ermitteln auch, ihm habe der "Mr. Eisenbahn" bei Thyssen-Krupp mal gesagt, er werde von oben gedeckt.

Der nicht ganz stubenreine Witz des "Mr. Eisenbahn"

"Mr. Eisenbahn" ist einer der vier Angeklagten, die den Vorwürfen widersprechen. Sein Anwalt Tido Park sagt, "mein Mandant bestreitet, von einem Kartell gewusst zu haben". Entscheiden muss das Gericht, sofern es die Anklage zulässt und einen Prozess ansetzt, womit zu rechnen ist.

Dann müsste eines Tages wohl auch der frühere Thyssen-Krupp-Chef Schulz kommen, als Zeuge. Schulz erklärte auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung, er kenne die Anklage nicht und könne sich deshalb nicht dazu äußern. Bereits bei vorherigen Anfragen hatte der Ex-Konzernchef nicht zum Schienenkartell Stellung bezogen; mit der Begründung, er gehöre dem Unternehmen nicht mehr an.

Seit 2008 ist auch "Mr. Eisenbahn" nicht mehr bei Thyssen-Krupp. Er war damals vom Konzern nach mehr als vier Jahrzehnten Betriebszugehörigkeit in den Ruhestand verabschiedet worden. Thyssen-Krupp würdigte den Schienen-Mann als "exzellenten Vertriebsprofi", der sich Zeit seines Berufslebens durch ein "einzigartiges Gespür für Märkte und Menschen" ausgezeichnete habe.

Nur auf eine bereits ausformulierte Laudatio des Konzernchefs musste "Mr. Eisenbahn" verzichten. Darin sollten seine sensationellen Geschäftsergebnisse gelobt und sein "nicht immer ganz stubenreiner" Witz erwähnt werden. Warum Schulz die Rede nicht hielt, ist nicht bekannt. Und ob noch mehr nicht ganz stubenrein war, wird sich wahrscheinlich erst bei Gericht erweisen.

© SZ vom 14.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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