Bundesgerichtshof:Anbieter auf Amazon könnten für Kundenbewertungen haften

Lesezeit: 2 min

Manche Kunden loben die Wirkung der bunten Tapes womöglich zu überschwänglich. (Foto: Andrey Popov/Imageo Images/Phantermedia)
  • Schon länger durfte eine Firma, die "Kinesiologie Tapes" auf Amazon anbot, ihr Produkt nicht mit irreführenden Slogans wie "Kleben sie den Schmerz einfach weg" bewerben.
  • Doch dann tauchten plötzlich Rezensionen begeisterter Käufer auf, die beschrieben, wie ihr Schmerz nachließ.
  • Nun prüft der Bundesgerichtshof, ob der Anbieter für solche Kundenbewertungen haften muss.

Von Wolfgang Janisch

Man war, um die Fußballersprache zu bemühen, schon in der Nachspielzeit. Die Verhandlung neigte sich ihrem Ende zu, und unter den Zuschauern im Sitzungssaal des Bundesgerichtshofs (BGH) machte sich der Eindruck breit: Das Spiel ist gelaufen, es wird in Sachen Kundenbewertung auf Amazon alles bleiben wie bisher. Doch dann kamen zwei Fragen von der Richterbank, zuerst von der halb linken Position, dann von rechts außen, und im Nu war das Ergebnis wieder offen. Das Urteil wird erst in einigen Wochen verkündet, aber nach der überraschenden Wende in der Verhandlung ist eines nicht mehr ganz auszuschließen: dass Anbieter, die ihre Produkte auf Amazon feilbieten, irgendwie für irreführende Kundenbewertungen verantwortlich gemacht werden könnten.

Geklagt hatte der Verband Sozialer Wettbewerb, und zwar gegen eine Firma, die sogenannte "Kinesiologie Tapes" auf Amazon anbot. Darüber hatte es schon vorher Streit gegeben, am Ende wurde dem Unternehmen untersagt, für ihr Produkt mit Slogans wie "Kleben Sie den Schmerz einfach weg" zu werben - weil eine schmerzlindernde Wirkung nun mal nicht wissenschaftlich erwiesen war. Also ließ man die Werbung weg, aber nun tauchten Rezensionen begeisterter Käufer auf. "Schnell lässt der Schmerz nach", jubelte einer, "Linderung der Schmerzen ist spürbar", freute sich ein anderer. Hinweise darauf, dass daran etwas faul war, gab es nicht, weshalb der BGH von echten Rezensionen auszugehen hat - nur eben mit angreifbarem Inhalt.

"Meistens ergibt sich ein Mosaik"

Das Landgericht Essen und das Oberlandesgericht Hamm hatten die Klage zuvor abgewiesen. Zwar waren die Rezensionen aus ihrer Sicht irreführend. Da aber das Angebot der Tapes von den Kommentaren der Kunden grafisch sauber getrennt war, ließ sich nach ihrer Einschätzung für jeden leicht erkennen, dass hier nicht die Firma wirbt, sondern der Kunde kommentiert. Die Bewertungen seien dem Anbieter daher nicht zuzurechnen. In diesem Sinne erläuterte auch der Anwalt des Unternehmens, Christian Rohnke, dass die einzelne Bewertung ohnehin nicht so stark ins Gewicht falle, sondern eher die Summe der Kommentare. "Meistens ergibt sich ein Mosaik. Da kann man sich ein ganz gutes Bild machen." Produkte über Amazon anzubieten, sei jedenfalls kein Verkaufsmodus, der automatisch zu falschen Bewertungen führe.

Auch der BGH-Senatsvorsitzende Thomas Koch konnte bei seiner Einführung so verstanden werden, dass er das Wettbewerbsrecht nicht unbedingt in Anschlag bringen will, um einen Anbieter für Kundenrezensionen auf Amazon haftbar zu machen, die er unstreitig nicht geschrieben hat. Koch hat allerdings noch eine Bemerkung hinzugefügt: dass der Wettbewerbssenat noch nicht über die Angelegenheit beraten habe. Was dann an den Fragen von der Richterbank ganz gut zu erkennen war: Martina Schwonke merkte an, dass es hier nicht um ganz normale Waren gehe, sondern um Medizinprodukte. Da müsse man möglicherweise etwas strenger mit irreführenden Kommentaren umgehen - für die ja irgendjemand verantwortlich gemacht werden müsse.

Und ihr Richterkollege Jörn Feddersen wies auf ein BGH-Urteil von 2016 hin, in dem einem Anbieter gewisse Prüfungs- und Überwachungspflichten für sein Amazon-Angebot zugemutet wurden. "Könnte man nicht doch als Anbieter gehalten sein, von Zeit zu Zeit sicherzugehen, dass nicht Angaben über das eigene Produkt gemacht werden, die irreführend sind?", fragte Feddersen.

Wie gesagt: Alles offen. Aber sollte sich die Skepsis auf der Richterbank durchsetzen, dann könnte das spürbare Auswirkungen auf das Bewertungswesen bei Amazon haben.

© SZ vom 15.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusOnline-Handel
:Ein Leben ohne Amazon ist möglich, aber beschwerlich

Wer bei dem Online-Händler kauft, hat ein schlechtes Gewissen, dafür aber das, was er will - zu einem fairen Preis. Über das Phänomen Amazon.

Essay von Kurt Kister

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: