Pakete schnüren ist eine politische Lieblingsbeschäftigung, schließlich kann man dabei wunderbar kleine Aufmerksamkeiten für alle unterbringen. Einer, der gerade ein besonders großes Paket in der Mache hat, ist Hubertus Heil (SPD). Noch im Sommer, versprach der Bundessozialminister vergangene Woche im Bundestag, werde er Vorschläge für einen "Rentenpakt für Deutschland" machen. Pakt klingt noch größer als Paket, dabei ist das, was Heil derzeit schnürt, sogar nur der erste Teil. Die ebenfalls milliardenschwere Fortsetzung soll 2019 folgen.
Bei der Rente herrscht keine Scheu vor großen Zahlen. Das liegt auch am Schreckgespenst Altersarmut. Dagegen etwas zu unternehmen, scheint großformatiges Handeln nicht nur zu rechtfertigen, sondern zwingend notwendig zu machen. Aber spukt es wirklich im Rentensystem?
Junge Mittelschicht:Kinder, ihr sollt es mal besser haben
Dieses Versprechen konnte früher jede Generation an die nächste geben. Warum sich nach 1975 Geborene heute schwertun, den Lebensstandard der Eltern zu erreichen oder gar zu übertreffen.
"Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun", sagt Bernd Raffelhüschen. "Altersarmut ist derzeit ein zu vernachlässigendes Problem in Deutschland." Raffelhüschen ist Professor an der Universität Freiburg und Finanzwissenschaftler; mit Zahlen kennt er sich generell aus, mit der Rente im Besonderen. "Es gibt keine Altersgruppe in Deutschland, die so wenig von Armut bedroht ist, wie die Rentner", sagt er. Raffelhüschen spricht von Panikmache und Populismus und davon, dass man sich eher um die Armutsgefährdung von Kindern kümmern solle. Die nämlich sei fünfmal so hoch wie die der Rentner.
"Überzogene Armutsängste sind keine gute Basis"
Auch die Deutsche Rentenversicherung versuchte vergangene Woche, die Rentenpanik zu dämpfen. Altersarmut sei zwar "eine populäre Erzählung", sagte Brigitte Loose, Leiterin des Forschungsnetzwerks Alterssicherung, auf einer Veranstaltung in Berlin. "Vollkommen überzogene Altersarmutsängste sind aber keine gute Basis für eine Debatte über die Alterssicherung."
Derzeit beziehen gut drei Prozent der Menschen im Rentenalter die Grundsicherung im Alter, das Pendant zu Hartz IV. Unter Frauen ist der Anteil höher als unter Männern, im Osten niedriger als im Westen, wegen der gleichmäßigeren Erwerbsbiografien in der früheren DDR und des niedrigeren Migrantenanteils. Zwar gab es seit 2003 in der Tat einen starken Anstieg. Allerdings von niedrigem Niveau aus.
Der Sozialverband VdK forderte kürzlich dennoch, das Rentenniveau auf 50 Prozent anzuheben und alle dämpfenden Faktoren in der Rentenformel abzuschaffen. Sonst drohe immer mehr Menschen auch nach jahrzehntelanger Arbeit Altersarmut. Der Ökonom Bruno Kaltenborn hielt bei der Veranstaltung der Rentenversicherung mit einer aktuellen Projektion bis 2030 dagegen: Demnach ist zwar bisher der Anteil der Grundsicherungsbezieher in jeder neuen Rentnergeneration höher ausgefallen als in der vorherigen - allerdings selbst bei den jüngsten Rentnerjahrgängen nur um 0,26 Prozentpunkte im Jahr bei den Männern und 0,18 Prozentpunkte bei den Frauen. Selbst das werde sich wahrscheinlich so nicht fortsetzen.
Kaltenborn verwies darauf, dass in den vorgelagerten Sozialsystemen kein Anstieg zu sehen sei. Auch wirkten geplante Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner und der Mindestlohn positiv, ebenso die höhere Erwerbstätigkeit von Frauen. Er geht deshalb davon aus, dass künftige Rentnergenerationen eine Hilfsquote von 4,8 Prozent haben werden, Rentnerinnen von 4,6 Prozent. Zum Vergleich betonte er, dass die Hartz-IV-Quote bei Erwerbsfähigen heute acht Prozent betrage, bei Kindern sogar knapp 15 Prozent.
Und die Dunkelziffer jener Älteren, die aus Scham keine Grundsicherung beantragen und nicht in der Statistik auftauchen? "Es ist plausibel, dass es sie gibt", sagte Kaltenborn. Ebenso plausibel aber sei, dass es sich dabei um Leute handele, die ohnehin nur einen geringen Anspruch hätten. "Wer von seiner Rente nicht leben kann, der beantragt die Grundsicherung."
Heils "Rentenpakt" steckt derweil in der "Frühkoordinierung" fest, sprich: im Kanzleramt. Gemauert aber werde nicht, hieß es am Wochenende aus Regierungskreisen. Man sei guter Dinge, dass das Verfahren an Fahrt gewinne und das Gesetz zum 1. Januar 2019 in Kraft trete. Es sei nun mal "ein komplexes Vorhaben mit Änderungen, die eine vertiefte Abstimmung erfordern". Konkret geht es um zwei "Haltelinien" bis 2025; eine für den Beitragssatz (nicht über 20 Prozent), eine für das Rentenniveau (nicht unter 48 Prozent). Auch die Mütterrente II gehört zum Paket - ein 3,7 Milliarden Euro teures Mitgebsel für die nun ja doch weiter mitregierende CSU. Hinzu kommen Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente.
Rentenexperte Raffelhüschen hält die Reformen für falsch
Schließlich will Heil noch die Rentenbeiträge für alle senken, die weniger als 1300 Euro im Monat verdienen - allerdings ohne, dass sich dadurch die Rentenansprüche verringern. Kosten dürfte alleine das von 2019 bis 2025 rund 200 Millionen Euro im Jahr, verlautete aus Regierungskreisen. Auch hier gilt die Altersarmut als Argument: Geringverdiener gehören zur Risikogruppe, deshalb soll es für sie attraktiver werden, mehr zu arbeiten als nur in einem 850-Euro-Midi-Job. 2019 soll dann noch die Grundrente für langjährige Versicherte kommen, oberhalb der Grundsicherung.
Rentenexperte Raffelhüschen aber hält nicht nur das Phänomen Altersarmut für überbewertet. Er hält auch das, was die Regierung dagegen tun will, für falsch. Ohne weitere Eingriffe, sagt er, würde die Armutsgefährdung der Älteren zwar steigen, sich aber letztlich nur dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung nähern. Wenn die Politik das nicht wolle, seien die geplanten Instrumente jedoch ungeeignet. Die Grundrente etwa sei das Ende der Gleichbehandlung aller Armen hierzulande; dann würden arme Ältere besser behandelt als arme Arbeitslose, arme Alleinerziehende oder arme Kinder. Die Rentenversicherung hält die Grundrente ohnehin nur für ein "Anerkennungsinstrument" für langjährige Beitragszahler, nicht für ein Instrument gegen Altersarmut. Dafür sei der Kreis der Berechtigten zu klein.
Auch Heils Midi-Job-Pläne hält Raffelhüschen für falsch. "Das passt nicht ins Rentensystem, da müssen den Leistungen immer Beiträge gegenüber stehen. Außerdem: Fällt die Finanzierung einfach wie Manna vom Himmel?" Besser fände er es, "die Leute einfach ein, zwei Jahre länger arbeiten zu lassen". Wer das nicht könne, für den müsse es eine angemessene Erwerbsminderungsrente geben. So ließe sich das Armutsrisiko auf dem niedrigen heutigen Niveau halten.