Alternativen zur Sparpolitik:Klotzen wie Keynes

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Sparen, sparen, sparen. Das verschlimmert die Probleme der hochverschuldeten Krisenstaaten, sagen viele Experten. Sie alle berufen sich auf den britischen Ökonomen John Maynard Keynes, der in der Großen Depression der 1930er Jahre empfahl, in Zeiten der Krise gerade nicht zu sparen. Aber wie würde eine Politik à la Keynes in der heutigen Situation konkret funktionieren?

Catherine Hoffmann

Sparen oder untergehen - das war lange Zeit die politische Devise in Europa. Doch die Bürger sind diesen Kurs leid, wie die jüngsten Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland zeigen. "Das strikte Spardiktat ist gescheitert", sagt der Würzburger Ökonom Peter Bofinger, einer der fünf Wirtschaftsweisen.

"Volkswirtschaften stürzen in tiefe Rezessionen, breite Bevölkerungsschichten verarmen, und die Demokratie gerät in Gefahr - wir brauchen dringend einen Strategiewechsel. Oder der Euro zerbricht." Vor allem keynesianisch geprägte Ökonomen machen Front gegen den Austeritätskurs, unter ihnen die beiden amerikanischen Nobelpreisträger Paul Krugman und Joseph Stiglitz, aber auch deutsche Wissenschaftler wie Bofinger oder Gustav Horn, der das Konjunkturforschungsinstitut IMK leitet.

Seit der britische Ökonom John Maynard Keynes in der Großen Depression empfahl, die Nachfrage im wirtschaftlichen Tief mit Staatsausgaben zu stützen, streiten die Gelehrten. "The boom, not the slump, is the right time for austerity at the Treasury", befand Keynes 1937. Zu Deutsch: Wenn die Staatsausgaben zur falschen Zeit zusammengestrichen werden, verschärft das den Abschwung und die Massenarbeitslosigkeit. Die fiskalischen Probleme werden noch größer. Erst wenn die Wirtschaft stark genug ist, könne über Defizitabbau geredet werden. Zeit also, nachzufragen, was statt der Sparpolitik geschehen sollte.

[] Vertrauen schaffen

Als Erstes müsse Europa den Panikattacken an den Märkten Einhalt gebieten, fordert Krugman. Denn ein Grundproblem der Krise ist noch immer ungelöst: Die Investoren zweifeln an der Fähigkeit der Staaten, ihre Schulden zurückzuzahlen. Und sie stellen die Solidität der Banken infrage, die massiv in Staatsanleihen hoch verschuldeter Regierungen investiert haben.

"Wir müssen Vertrauen schaffen, sonst brauchen wir über Wachstum gar nicht erst zu reden", sagt IMK-Chef Horn. Das sei notwendig, damit Unternehmen investieren, Banken Kredite vergeben, Verbraucher konsumieren und die Wirtschaft läuft. Also solle die Europäische Zentralbank (EZB) Regierungen und Banken unbegrenzt Geld leihen. Dann würden die Renditen angeschlagener Staaten endlich fallen können. Eine Spekulation gegen die Zentralbank, die ja mit heimischer Währung heimische Schulden kauft, sei aussichtslos. "Das wäre das Fundament, auf dem sich das Vertrauen entfaltet", hofft Horn.

[] Spardiktat lockern

Es ist nicht so, als ob Spanien jetzt plötzlich eine keynesianische Ausgabenpolitik betreiben könnte. Angeschlagene Länder können das gar nicht finanzieren. Richtig ist vermutlich aber auch: "Weitere Sparmaßnahmen richten immensen Schaden an. Schrumpft die Wirtschaft weiter, kommen die Krisenländer nie aus der Schuldenfalle raus", glaubt der Wirtschaftsweise Bofinger.

"Das wichtigste Wachstumprogramm wäre also, dass Italien und Spanien die geplanten Sparmaßnahmen und Strukturreformen zeitlich strecken." Das sei ohnehin das Einzige, was ihre Regierungen noch aus eigener Kraft für ihr Land tun könnten.

Tatsächlich bewegt sich die Politik in diese Richtung, wenn auch zögerlich: Spanien hat ein wenig mehr Zeit bekommen, um seine Defizitziele zu erreichen. Auch Griechenland will nachverhandeln und mehr Zeit für die Sanierung seiner maroden Staatsfinanzen und Wirtschaftsreformen herausschlagen.

Wichtigstes Ziel dieser Lockerung wäre es, den normalen Wirtschaftskreislauf am Leben zu halten. Normal heißt, dass der Friseur in die Kneipe geht und sich der Wirt die Haare schneiden lässt - und nicht beide zu Hause sitzen und das Geld zusammenhalten. "Ohne solche alltäglichen Geschäfte droht der Wirtschaft eine Implosion", glaubt Bofinger.

[] Ungleichgewichte abbauen

Ein Grundproblem der Währungsunion ist die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung ihrer Mitglieder, die dazu führt, dass es Länder mit hohen Überschüssen (Deutschland, Niederlande) und solche mit hohen Defiziten (Griechenland, Spanien) im Außenhandel gibt. Das spaltet die Euro-Zone ökonomisch wie politisch.

"In den Defizitländern waren die Lohnsteigerungen gemessen an der Produktivitätsentwicklung zu hoch, auch die Fiskalpolitik war zu großzügig, und dann gab es noch die Immobilienblasen", sagt IMK-Chef Horn. Für die Überschussländer gelte das Gegenteil: zu geringe Lohnsteigerungen, knauserige Finanzpolitik, wenige Investitionen. Nun müssten beide gegensteuern.

Bislang findet die Anpassung aber nur in den Defizitländern statt. Gefordert seien auch die exportstarken Länder, glauben die Ökonomen. Ein Anstieg der deutschen Konsum- und Investitionsnachfrage könnte einen großen Beitrag dazu leisten, dass Länder mit unhaltbaren Handelsdefiziten wieder die Balance finden.

Außerdem bräuchten die wettbewerbsfähigen Staaten moderate Inflationsraten von drei bis vier Prozent, um den Ländern mit einem großen Handelsdefizit eine Deflation zu ersparen. Gefragt sind also eine lockere Geldpolitik sowie ein Konjunkturprogramm von Deutschland. Ob dies freiwillig geschieht, darf bezweifelt werden. Horn wünscht sich deshalb einen Europäischen Währungsfonds, der der nationalen Wirtschaftspolitik die Richtung vorgibt.

[] Wachstumspakt schließen

Europa sollte ein Investitionsprogramm auflegen, aber nicht auf Pump, sondern durch Steuern finanziert", fordert Horn, beispielsweise durch eine Finanztransaktionsteuer. Eine ausgewogene Ausweitung von Steuern und Ausgaben könnte die Wirtschaft ankurbeln, darin sind sich die Keynesianer einig, schließlich hätten staatliche Investitionen auch die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre beendet.

Der US-Starökonom Stiglitz denkt dabei an eine höhere Besteuerung der oberen Einkommens- und Vermögensklassen im Verbund mit Ausgaben im Bildungsbereich; so ließen sich Bruttoinlandsprodukt und Beschäftigung steigern. "Man sollte in Energie und ökologischen Tourismus investieren", sagt Bofinger. "Es wäre doch ein schönes Programm, die Bausünden der vergangenen 30 Jahre zu beheben, etwa an der spanischen Mittelmeerküste."

[] Wirtschaftsregierung gründen

In Europa kämpft jeder für sich: Die Spanier versuchen ihre Banken zu retten, die Griechen ihre Arbeitslosigkeit zu bewältigen. "Wenn 17 isolierte Länder die Krise allein zu lösen versuchen, haben wir keine Chance", warnt der Wirtschaftsforscher Bofinger. "Wir müssen sie gemeinsam lösen und die Hilfe gemeinsam finanzieren."

Wenn man den Euro-Raum als Ganzes betrachte, würde man sagen: Wir haben eine Rezession, Massenarbeitslosigkeit, eine Generation junger Menschen, die ohne Jobs verloren ist, eine ungelöste Bankenkrise. Man würde also versuchen, die Probleme zentral zu lösen, eher Geld ausgeben als sparen, Sonderprogramme für Jugendliche auflegen, die Banken restrukturieren. Die Mittel dafür müssten zentral aufgebracht werden, nicht regional.

Woher soll das Geld kommen? Eine Idee ist eine europäische Vermögensabgabe. "Wer ist geschützt worden durch die ganzen Rettungsmaßnahmen?", fragt der Würzburger Professor Bofinger und gibt die Antwort selbst: "Die Vermögenden." Also sollten sie an der Finanzierung des Staates beteiligt werden, die reichen Griechen mehr noch als die Deutschen. Bofinger denkt dabei an den Lastenausgleich, der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurde. Wer ein hohes Vermögen hatte, wurde zu einer 50-prozentigen Vermögensabgabe herangezogen, die über 30 Jahre in Raten abgezahlt werden musste.

© SZ vom 12.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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