Zentralafrika:Schweizer Käse aus dem Kongo

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Alex Kasole Singa inmitten der Kühe auf der Käsefarm seiner Familie. (Foto: Judith Raupp)

Belgische Mönche brachten einst die Kunst der Käseherstellung nach Zentralafrika. Jetzt blüht das Metier dort wieder auf - auch wenn die Kühe unter Bewachung stehen müssen.

Von Judith Raupp

Alex Kasole Singa wollte gerade zur Käsefarm fahren, als das Telefon klingelte. "Chef, bleib zu Hause. Sie schießen", brüllte sein Vorarbeiter in den Apparat. Da wusste Kasole, dass der Krieg ausgebrochen war. Wieder einmal. Mitten auf der Alm seiner Familie.

Der 33 Jahre alte Farmer erzählt das mit einem Lächeln. Ein bisschen Krieg bringt ihn nicht aus der Ruhe. In seiner ostkongolesischen Heimat bricht immer mal wieder eine Rebellion aus. Die vorläufig letzte ging vor eineinhalb Jahren zu Ende. Milizen plündern und morden allerdings noch immer im Masisi-Gebirge, wo Kasole die Käsefarm führt. Aber was soll er machen? "Wir produzieren einfach weiter", versichert er.

Der Gouda lagert auf Holzregalen, runde Klumpen von einem oder zwei Kilo. 21 bis 60 Tage bleiben die Käselaibe liegen. Dann packt Kasole bis zu 500 Stück in einen Geländewagen und liefert sie an die Metzgerei seines Vaters in der Provinzhauptstadt Goma. Die Metzgerei verkauft die Waren an Privatkunden, aber vor allem auch an Hotels und Supermärkte in der 2000 Kilometer entfernten Hauptstadt Kinshasa. Wenn wieder einmal Krieg ist, schmuggeln Motorradtaxi-Fahrer die Ware von der Farm durch die Front nach Goma. Aber auch wenn Regenzeit ist, kann Kasole manchmal nicht liefern, weil die Piste zu glitschig ist oder ein Erdsturz den Weg versperrt. Die 40 Kilometer nach Goma sind immer beschwerlich; auch wegen der beiden Straßensperren, wo korrupte Soldaten ihren Obolus fordern.

28 Menschen arbeiten auf der Käsefarm, sie haben gelernt, wie man Gouda macht, den Betrieb sauber hält. (Foto: Judith Raupp)

Die Kühe sind eine lohnende Beute für Banditen

In dem Betrieb La Petite Fermière - auf deutsch: die kleine Bäuerin - riecht es wie auf einer Alm in den Alpen. Die Produktionsstätte liegt am Fuß grasbewachsener Hügel, Bäche schlängeln sich durch die Wiesen, Kühe weiden. Die Kongolesen nennen die Masisi-Berge "unsere Schweiz". "Viele Kühe hier sind sogar 'Brown Swiss'", sagt Kasole stolz. Der Großvater seiner Schweizer Frau und ein italienischer Bauer haben die Rasse während der belgischen Kolonialzeit importiert. Die anderen Tiere auf der 285 Hektar großen Farm sind Friesländer. Beide Sorten verkraften das Klima in den Bergen besser als einheimische Tiere. Und sie geben mehr Milch.

400 Liter melken die Hirten von La Petite Fermière jeden Tag in Handarbeit. Eineinhalb Stunden brauchen sie dafür. Wenn die Hirten pfeifen, traben die Kühe freiwillig von den Hügeln auf die Weide, wo die Senner mit Eimern warten. Kinder aus dem nahe gelegenen Dorf Mushaki schauen ihnen bei der Arbeit zu. Kasole schenkt ihnen jeden Tag zehn Liter Milch. Mushaki ist ein armes Dorf.

Die 28 Mitarbeiter von La Petite Fermière sind dankbar für ihren Job. Kasole bezahlt gut. Die beiden Tierärzte zum Beispiel erhalten mehr als das Doppelte des ortsüblichen Monatslohns von 50 Dollar. Das Geld ist intelligent angelegt. Denn Loyalität ist wichtig in den unruhigen Masisi-Bergen. So bleiben in der Nacht einige Arbeiter auf der Farm und bewachen das Vieh. Die Hirten würden für ihren Chef durchs Feuer gehen.

Wie viele Kühe La Petite Fermière besitzt, verrät Kasole nicht. Einige Dutzend dürften es wohl sein. Zu viel Information preiszugeben, wäre zu gefährlich. Ein Rind kostet 900 bis 1400 Euro. Das ist eine lukrative Beute für Banditen. Kasole hat für die Leittiere Glocken mitgebracht, als er seine Schwiegereltern in der Schweiz besuchte. Wenn Gefahr im Verzug ist, laufen die Kühe weg. Die Hirten hören das Läuten dann sofort. "Ich bin vermutlich der einzige Farmer im Masisi, der Kuhglocken hat", sagt Kasole und grinst.

Auch sonst erinnert hier vieles an die Schweiz. Auf Boden und Wänden der Käserei sind Fließen verlegt. Die Wanne, in der die Milch fermentiert, ist aus Metall. Andere Bauern im Masisi-Gebirge stellen den Gouda in einer Badewanne in einer Holzhütte her. Claude Habimpfwra, Vorarbeiter bei La Petite Fermière, sagt: "Wir halten alles sauber. Wir putzen jeden Morgen und Abend mit heißem Wasser." Wenn die Käserinde zu viel Staub ansetzt, schrubbt Habimpfwra sie mit der Bürste. Kasole hat auf der Farm eine Solaranlage installiert. So haben die Arbeiter Strom, um Wasser zu erhitzen.

Im Masisi-Gebirge fehlen Elektrizität, fließendes Wasser und Straßen. "Wofür sollen wir da Steuern bezahlen?", schimpft Kasole. Die Beamten fordern manchmal sogar den gesamten Umsatz eines Unternehmens ein. Wer geschickt verhandelt, kann das auf 60 Prozent drücken.

Die staatliche Willkür veranlasst Unternehmer im Kongo, ihre Geschäftszahlen möglichst geheim zu halten. La Petite Fermière verkaufe im Monat bis zu 1500 Käse, sagt Kasole. Die kleinen, jungen Gouda kosten umgerechnet 3,20 Euro, die großen, alten 9,20 Euro. Den gesamten Gewinn investiert die Familie in den Betrieb. Die Farm hat Kasoles Schwager vor fünf Jahren gekauft, Kasole ist nur der Verwalter. Daneben managt er zusätzlich die Metzgerei seines Vaters. Von diesem Lohn leben er, seine Frau und der eineinhalbjährige Sohn.

Lebensmittel für Afrika

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(Foto: SZ-Grafik)

Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in der Demokratischen Republik Kongo. Sie trägt 40 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 38 Milliarden Euro bei. Mehr als zwei Drittel der kongolesischen Bevölkerung lebt von Ackerbau und Viehzucht. Allerdings produzieren die meisten Bauern in dem zentralafrikanischen Land nur für den Eigenbedarf. Kriege und politisches Chaos haben das Exportgeschäft mit Agrarprodukten wie Kautschuk, Kaffee, Kakao oder Tee zum Erliegen gebracht. Das Internationale Forschungsinstitut für Ernährung und Entwicklungspolitik bescheinigt dem Kongo allerdings gute Chancen im Agrarsektor: Nur fünf Prozent der 80 Millionen Hektar Anbaufläche würden derzeit genutzt. Eine Steigerung der Produktion könne bis zu drei Milliarden Menschen ernähren, biete also Exportmöglichkeiten. Derzeit hat der Kongo 75 Millionen Einwohner. Das Land muss jedes Jahr für mehr als eine Milliarde Euro Lebensmittel importieren. Die Regierung will nun die kommerzielle Produktion im Landwirtschaftssektor ankurbeln. Derzeit sind drei so genannte Agro-Industrie-Parks in Plan oder schon im Bau. Auf einer Fläche von insgesamt 103 000 Hektar sollen mit Hilfe ausländischer Investoren Felder und verarbeitende Betriebe eingerichtet werden. Ziel ist es auch, in diesen Betrieben kongolesische Bauern und Facharbeiter auszubilden. Der erste dieser Parks wurde vor kurzem eingeweiht. Das größte wirtschaftliche Potenzial des Kongo sind seine Bodenschätze. Das Land baut Kupfer, Kobalt, Coltan, Diamanten, Gold, Kasserit und seltene Erden ab. Allerdings befinden sich große Teile des Bergbausektors in Händen von korrupten Geschäftemachern oder Milizen. Der Bevölkerung profitiert von dem Reichtum nicht. Der Kongo belegt im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen den vorletzten Platz. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut.

La Petite Fermière ist eine von mehreren Käsereien im Masisi-Gebirge. Manche sind kleiner, einige größer als Kasoles Betrieb. Belgische Mönche haben das Metier einst in den Kongo gebracht. Zunächst haben sie nur für den Eigenbedarf produziert. Dann entdeckten sie, dass der Gouda auch anderen schmeckt. Sie haben ihn sogar nach Europa exportiert. Kriege, Chaos und Gewalt haben das Geschäft später zerstört. Erst vor ein paar Jahren haben die Kongolesen wieder angefangen, Käse herzustellen.

Käse ist teuer - nicht viele können sich den Luxus leisten

Kasole würde den Käse auch gerne ins Ausland liefern. Doch die nächsten internationalen Flughäfen sind in den Nachbarländern Uganda und Ruanda. Die schützen ihre eigene Käseproduktion mit Einfuhrverboten. Der Flughafen in Goma wird zur Zeit repariert. Ein Vulkanausbruch hat ihn zerstört. Angeblich sollen aber bald wieder internationale Maschinen landen können. "Vielleicht haben wir dann eine Chance auf Export", hofft Kasole.

Der Export wäre für die Käsereien aus dem Masisi-Gebirge wichtig. Denn zu Hause ist der Markt begrenzt. "Käse ist ein Luxusgut", sagt die Menschenrechtsaktivistin Passy Mubalama. Sie gönnt sich selten einen Gouda, ihre Familie ist groß. Dabei zählt Mubalama zu den Privilegierten, sie hat eine Stelle bei einer Hilfsorganisation in Goma. Die meisten Menschen im Ostkongo sind arbeitslos und arm. Käse ist da im Budget nicht drin.

Peter Brüderli, Schweizer Koch in einem Luxushotel in Goma, kritisiert, dass die Bauern im Masisi-Gebirge, "alle nur den gleichen, milden Gouda produzieren". Er wünscht sich Käse mit intensiverem Geschmack, eine größere Vielfalt. Er würde dafür auch einen höheren Preis bezahlen. Auf dieses Geschäft mit den Feinschmeckern spekulieren Kasole und sein Schwager. Sie bauen deshalb ein Wasserkraftwerk auf der Farm. Wenn sie Strom rund um die Uhr hätten, könnten sie einen Kühlraum betreiben, Sahne, Butter und Frischkäse herstellen. Kasole erzählt, dass er eine Schweizer Kollegin einladen will. Sie soll den Arbeitern auf der Farm zeigen, wie man verschiedene Sorten Käse produziert.

Kasole hat viele Pläne für die Zukunft. Das Wasser aus dem Bach will er in Flaschen abfüllen und verkaufen. Hoch oben auf dem Hügel könnte ein Hotel entstehen - mit Blick auf den Kivusee und den Vulkan Nyiragongo. Ferien auf dem Bauernhof funktioniert in Europa, weshalb sollte das nicht auch in der kongolesischen Schweiz klappen? Alles ist möglich, solange der Krieg nicht wiederkommt.

© SZ vom 23.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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