"Kongo-Müller" auf Arte:Rezept für einen sauberen Totenkopf

Als Söldner mordete und folterte er im Kongo. Dann wurde Siegfried Müller durch eine "Stern"-Reportage weltberühmt. Die Doku "Kongo-Müller" erinnert an die Ära der großen Kriegsreporter. Und ist zugleich eine Mediengeschichte über Ost und West.

Willi Winkler

Von Peking bis Washington sei er bekannt, sagt der Mann und lacht. Der Rebell werde, da er außerhalb des Rechts steht, getötet, sagt der Mann, das sei ganz normal. Er lacht wieder. Manchmal werde auch gefoltert, erst das rechte Bein ab, dann das linke. Der Mann lacht. Er grinst nicht, er lacht die ganze Zeit, als er von seinem Tag- und Mordwerk erzählt. Er freut sich über das Interesse, das seine Geschichten offensichtlich finden. Er schenkt sich tapfer ein und schwadroniert weiter über "Neger", über Totenköpfe, über weiße Haut und schwarze.

Kongo Müller Ð Eine deutsch-deutsche Geschichte

Der ehemalige Stern-Reporter Gerd Heidemann begleitete den Söldner in den Dschungel und machte grausige Bilder, die mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet wurden.

(Foto: ARTE/Sebastian Hattop/a+r film)

Siegfried Müller war Söldner und verkaufte sich nach Söldnerart an verschiedene Interessenten. In der deutschen Wehrmacht hatte er sich kräftig umgetan, die üblichen Orden eingesammelt und es zum Oberfähnrich gebracht. Anschließend diente er den Amerikanern und schlug sich so durch wie viele andere entlassene Soldaten. Die frühe Bundeswehr hatte seltsamerweise keine Verwendung für den Haudegen, weshalb er zivil nach Afrika ging, wo er erstmals eine sinnvolle Betätigung fand: Er räumte die Minen weg, die Rommels legendäres Afrika-Korps hinterlassen hatte. Dann musste er schon wieder zurück ins Zivilleben.

Für einen alten Soldaten muss das ein furchtbares Leben gewesen sein, ein Leben im Wartezustand. Bis endlich einer sagte: "Komm mit in den Kongo, da ist was los!" Der verabschiedete Offizier Müller fand glücklich neue Arbeit im Bürgerkrieg, der nach der Unabhängigkeit im Kongo ausbrach. An der Spitze von drei, vier Dutzend weiteren europäischen Landsknechten bekämpfte Müller die Separatisten. Damit hätte es sein Bewenden haben können, aber dann kam ein Reporter vom Stern und machte Müller weltberühmt.

Der wegen der Hitler-Tagebücher später ebenfalls ziemlich weltberühmte Reporter Gerd Heidemann reiste 1965 mit viel Bier in den Dschungel und fotografierte den lachenden Kriegshandwerker. Er begleitete ihn und seine Fremdenlegionäre bei ihren Streifzügen, erlebte Angriffe mit und stand vor den dabei anfallenden Leichen. Heidemann brachte Bilder mit, die so gruselig waren, dass sie mit dem World Press Photo Award ausgezeichnet wurden.

Der "Kongo Müller" gehörte fortan zur politischen Folklore der 60er Jahre. Der Film, der am kommenden Mittwoch bei Arte läuft, erinnert an die längst versunkene Ära der ruhmreichen Kriegsreporter, die von den blutigsten Schauplätzen, aber am liebsten in dokumentarischem Schwarzweiß berichteten. Er kann nebenbei eine Ost-West-Dreiecksgeschichte erzählen, die im Kalten Krieg über einen exotischen Schauplatz ausgetragen wurde.

10.000 Mark und jede Menge Alkohol

Denn Heidemanns Reportage beeindruckte nicht nur die Jury des World Press Award, sondern auch die DDR-Dokumentarfilmer Walter Heynowski und Gerhard Scheumann. Sie reisten nach Hamburg und kauften Heidemann und dem Stern das Foto- und Filmmaterial ab. Sogleich wurde eine Legende erfunden, wie die Rollen den kongolesischen Rebellen in die Hände gefallen und über die internationale Solidarität ihren Weg in die Defa-Studios gefunden hätten. In Wirklichkeit verfilmten die DDR-Agitpropper zum Teil wortgetreu Heidemanns längst veröffentlichte Reportage.

Während sich die Stern-Leser - ein Jahrzehnt vor den pechschwarzen Nuba-Leibern Leni Riefenstahls - bei den Metzelbildern aus einer erfreulich fernen Fastnoch-Kolonie gruseln konnten, dienten die gleichen Bilder der DDR-Propaganda zum Beweis, dass in der imperialistischen Bundesrepublik der alte Nazi-Geist fortweste.

Heynowski und Scheumann gelang zudem ein Scoop, der auch heute noch Ethikkommissionen beschäftigen würde: Sie trafen sich in München mit Müller, der ein westdeutsches Team vor sich glaubte, legten 10.000 Mark auf den Tisch, gaben reichlich Alkohol zu, und ließen den Legionär einfach reden und reden. Arglos kamen Sätze wie "In drei bis vier Tagen war ein Mensch kein Mensch mehr, sondern nur noch ein Stückchen Knochen, mit einer Uniform bedeckt" oder "Ich bin gegen das Abschießen von Negern". Andererseits, das ließ der Fachmann auch wissen, war das Abschießen kaum zu vermeiden. Da kam eins zum anderen, Europa wurde in Afrika verteidigt, und schon war Müller beim Rezept, wie man einen sauberen Totenschädel herstellt.

Der Film mit den "Bekenntnissen eines Mörders", wie Der lachende Mann im Untertitel hieß, lief 1966 auf dem Dokumentarfestival in Leipzig und anschließend in 37 Ländern, durfte aber in Westdeutschland nicht gezeigt werden. Der Freiburger Pazifist Helmut Soeder, der den Film trotzdem vorgeführt hatte, wurde mit einer Geldstrafe von 1000 Mark belegt, weil der Verdacht bestand, dass der Film "in seiner Tendenz gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist".

Kongo-Müller, eine deutsch-deutsche Geschichte, Arte, 2.11., 21.05 Uhr.

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