Sportartikel:Wie Adidas die Wende schaffen will

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Fußballliebe - so heißt der offizielle Spielball der Fußball-Europameisterschaft 2024. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die vergangenen Jahre waren schwierig für den Konzern. Das Supersportjahr 2024 soll das Comeback einleiten.

Von Uwe Ritzer, Herzogenaurach

Über allem thront die "Fußballliebe". Von Weitem unübersehbar hat Adidas an der Zufahrt zu seinem Campus in Herzogenaurach zwei vielfach vergrößerte Ausführungen des so benannten Spielballs der Europameisterschaft platziert. In nicht einmal 100 Tagen wird in München das Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland angepfiffen, doch von EM-Euphorie ist wenig zu spüren. "Das wird sich ändern", prophezeit Björn Gulden, Vorstandschef von Adidas. "Die EM wird eine mega Party werden und die Menschen freuen sich darauf."

Zumindest der Traum vom Sommermärchen reloaded lebt also. Einer Neuauflage von 2006, als die Fußball-WM den deutschen Gastgebern ihren chronischen Missmut austrieb, die AfD noch weit weg war und sich das Land weltoffen, unbeschwert und fröhlich zeigte. Klappt die Wiederholung, wird das nicht nur positive Gefühle auslösen, sondern auch die Geschäfte der Sportartikelhersteller beflügeln. An diesem Donnerstag präsentiert Adidas die EM-Trikots des deutschen und aller anderen Teams, die mit den für die Marke charakteristischen drei Streifen auflaufen werden. Stand heute werden bei der EM acht Mannschaften vom US-Branchenführer Nike ausgerüstet, sechs von Adidas, vier werden Puma tragen. Mindestens zehn von 24 Mannschaften haben also deutsche Ausrüster; drei Startplätze bei der EM werden noch vergeben.

Für Adidas, Europas Nummer eins und weltweit Nummer zwei, kommt das weltweit ausstrahlende Turnier genau zur rechten Zeit. Genauso, wie kurz darauf die amerikanische Kontinental-Fußballmeisterschaft Copa und die Olympischen Spiele in Paris. Nach schwierigen Jahren mit einem Wechsel an der Spitze soll 2024 das Comeback gelingen. Nachdem der Umsatz 2023 im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent auf 21,4 Milliarden Euro sank, soll er im laufenden Jahr um sieben bis neun Prozent steigen; bereinigt um negative Währungseinflüsse soll das Plus bei fünf Prozent liegen.

Für 2023 hatte Adidas zunächst einen Verlust von 700 Millionen prognostiziert, vor allem wegen der Turbulenzen um die Kollektion des Rappers Kanye West. Nach rassistischen und sexistischen Äußerungen Wests hatte Adidas die Zusammenarbeit Ende 2022 beendet und 2023 die noch vorhandenen Produkte abverkauft. Statt eines Verlusts schloss Adidas 2023 mit einem Betriebsgewinn von 268 Millionen ab. Für 2024 prognostizieren Gulden und sein Management eine halbe Milliarde. Nimmt man lediglich fortgeführte Geschäfte als Grundlage, musste Adidas 2023 einen Nettoverlust von 58 Millionen Euro verkraften - den ersten seit 1992.

2023 stagnierte Adidas also bestenfalls, 2024 soll es aufwärtsgehen, langsam, aber immerhin. Spätestens 2026 werde die Marke, die am 18. August 75 Jahre alt wird, wieder in alter Kraft und Stärke zurück sein, sagt Björn Gulden. Zufrieden verweist er auf den Popstar Taylor Swift, die immer wieder Adidas trage, ohne dafür bezahlt zu werden. Stolz präsentiert er neue Produkte, die frühestens im Herbst in die Geschäfte kommen werden. "Wir haben eine Menge großartiger Sachen in der Pipeline", schwärmt er. 2024 werden die ersten Kollektionen auf den Markt kommen, die vollständig unter seiner Ägide entwickelt wurden.

Vorstandschef Björn Gulden macht Tempo bei Adidas. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Der Norweger, der zum Jahreswechsel 2022/2023 von Puma zum dreimal größeren Herzogenauracher Lokalrivalen wechselte, hat Adidas wiederbelebt. Erleichtert nehmen die 59 000 Mitarbeiter zur Kenntnis, dass sie wieder ein Sportverrückter anführt. Gulden flutet die sozialen Netzwerke mit Fotos, die ihn mit prominenten Adidas-Athleten zeigen. Nein, nein, die Fortschritte hätten nichts mit ihm zu tun, kokettiert Gulden, als er am Mittwoch am Konzernsitz die Bilanzzahlen für 2023 präsentiert, das erste Jahr unter seiner Führung. Bei Adidas gebe es viele gute Leute, die schon vorher, also noch zu Zeiten seines geschassten Vorgängers Kasper Rorsted, viele Innovationen und Ideen mit sich herumgetragen hätten. Aber leider genauso viele Bedenken und Übervorsicht. Er selbst habe nur den Knoten gelöst, sagt Gulden. Seine Botschaft an die eigenen Leute: "Macht einfach, traut Euch, riskiert etwas, probiert aus. Und zwar möglichst schnell."

Mit dieser Methode und einigen harten Wechseln im Management hat Gulden Verspannungen gelöst, die sich unter seinem zahlengetriebenen Vorgänger Rorsted gebildet haben. Beispiel "Samba". Vor 50 Jahren ein reiner Hallenfußballschuh, reüssiert er seit geraumer Zeit in Kooperation mit der Luxusmarke Gucci als Sneaker. Schon 2022 stiegen die Verkaufszahlen schnell an. Der Adidas-Plan sah vor, erst 2024 eine Samba-Kampagne zu starten. Gulden indes trieb an: Macht sofort, der Trend ist da. 2023 wurde der Samba in den USA zum Schuh des Jahres gekürt und die Verkaufszahlen entwickeln sich glänzend.

Der in der Schweiz geborene Norweger Gulden kuriert Adidas mit ähnlichen Methoden wie vorher bei Puma. Mehr Freiräume für die eigenen Leute, mehr Tempo in der Entwicklung und Markteinführung neuer Produkte, im Marketing und auch im Vertrieb. Adidas setzt wieder auf den Fachhandel, der sich jahrelang vernachlässigt und schlecht behandelt sah. Überdies liefert Adidas wieder Trainings- und Wettkampfschuhe für nahezu jede Sportart und nicht nur für die global größten. Und die Marke wird regionaler. Weil Japaner beispielsweise klobige Laufschuh-Sohlen nicht mögen, werden dort flachere Runningschuhe in denselben Designs angeboten. Oder Indien. Kaum im Amt nahm Gulden das Cricket-Nationalteam unter Vertrag. Im Zuge der WM in dieser Sportart verkaufte Adidas mehr als 600 000 indische Replica-Nationaltrikots. "Das ist mehr, als wir von manchen erfolgreichen Fußballmannschaften verkaufen", sagt Gulden.

Schneller, breiter im Sortiment und regionaler will der Sportartikelriese also werden. Letzteres wird vor allem wichtig in Nordamerika. Ständig neue Strategien und Manager brachten dort keinen nennenswerten Erfolg; Adidas bekommt seit Jahrzehnten kaum einen Fuß auf diesen größten und wichtigsten Sportartikelmarkt. 2023 brach der Umsatz um 16 Prozent ein. Weil Überbestände mit Rabatten abverkauft werden mussten, weil Adidas in den klassischen US-Sportarten wie American Football oder Baseball nicht nennenswert vertreten ist, vor allem nicht in den diesbezüglich wichtigen High-Schools und Colleges. Junge Amerikaner nehmen der deutschen Marke obendrein übel, dass sie die Zusammenarbeit mit Kanye West beendet hat. Seither posiert West wahlweise mit Gulden freundlich auf Fotos (wie neulich, als man sich zufällig am Flughafen in Los Angeles traf), oder er beschimpft ihn und Adidas und ruft zum Boykott auf.

Die Zusammenarbeit mit Kanye West brachte Adidas viel Umsatz und noch mehr Ärger ein. Sie ist längst beendet. (Foto: Ashley Landis/AP)

West ist eine Erklärung, weshalb Adidas überhaupt in die Krise schlitterte. Allein mit seiner Yeezy-Kollektion erwirtschaftete die Firma bis zu 1,2 Milliarden Euro Umsatz, die nun allmählich wegfallen. Dann war da noch ein corona- und boykottbedingter Umsatzeinbruch in China um zwei Milliarden Euro gemessen an 2019. Ausfälle, die man nicht kompensieren konnte. Aktuell wird die zum Zeitpunkt des Rauswurfs bereits fertig produzierte Yeezy-Kollektion weiter abverkauft. 750 Millionen Euro nahm Adidas damit 2023 ein, 250 Millionen werden es in diesem Jahr werden. Mehr als 140 Millionen Euro davon spendete Adidas nach eigenen Angaben an Organisationen, die gegen Rassismus und Antisemitismus kämpfen. Für die Abwicklung dieser und künftiger Spenden wird eigens eine Adidas-Stiftung gegründet, die sich gerade konstituiert.

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