Automobilklub:Der nächste Unfall für den ADAC

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Vor fünf Jahren stoppte der ADAC die Praxis, havarierten Autofahrern auch neue Batterien zu verkaufen. Doch die zweifelhaften Nebengeschäfte werden weiter vorangetrieben.

Von Uwe Ritzer

Der Vorgesetzte ist ungehalten und dementsprechend gereizt rüffelt er seinen Mitarbeiter. Seit Monaten blieben dessen Ergebnisse "in Sachen Batterieservice und Mitgliederwerbung" hinter den Erwartungen zurück, wirft ein ADAC-Regionalleiter einem Straßenwachtfahrer in einem Brief vor. Es geht darin offenkundig nicht um die Kernaufgabe des Pannenhelfers, liegen gebliebene Autos wieder flottzumachen. Sondern darum, dass der Straßenwachtfahrer nebenher zu wenige ADAC-Mitglieder geworben und den havarierten Autofahrern nicht genug neue Batterien angeboten und verkauft haben soll. "Ich bin nicht bereit, die Entwicklung Ihrer Ergebnisse in dieser Form zu akzeptieren", droht der Regionalleiter in seinem Schreiben und fordert den Pannenhelfer "hiermit auf, aktiv an einer messbaren Verbesserung zu arbeiten".

Batterien? Mitgliederwerbung? Druck auf Pannenhelfer? Da war doch schon mal was beim ADAC. Fünf Jahre ist es her. Damals flogen bei dem inzwischen auf mehr als 20 Millionen Mitglieder gewachsenen, größten Automobilklub Europas nicht nur jahrelange Manipulationen bei den Wahlen zum "Lieblingsauto der Deutschen" auf; sondern auch, dass die sprichwörtlichen "Gelben Engel" keineswegs so selbstlos unterwegs waren, wie es bis dahin schien. Mithilfe von Provisionen trieb der ADAC sie an, über die technische Hilfeleistung hinaus Mitglieder zu werben und möglichst viele Batterien zu verkaufen. Diese Praxis stoppte der ADAC 2014 unter öffentlichem Druck.

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Und nun dieser Brief, datiert von Ende 2018, der so oder ähnlich an mehrere ADAC-Pannenhelfer ging und der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Er führe in die Irre, heißt es beim ADAC. Es gebe bei der Pannenhilfe "weder zahlenmäßige Vorgaben noch ein Provisionssystem bezüglich Batterieverkauf und Mitgliederwerbung", versichert ein Sprecher. Die Straßenwachtfahrer würden havarierte Autofahrer lediglich "beraten" und ADAC-Mitgliedern den Austausch defekter Batterien vor Ort bei Bedarf anbieten, so der Sprecher weiter. Natürlich rein dem Servicegedanken folgend.

Doch der Rüffel-Brief nährt im Kontext mit diversen geschäftlichen Aktivitäten den Verdacht, der ADAC falle entgegen seinen Ankündigungen zurück in alte Zeiten, in denen er seinen Anspruch als Verbraucherschützer und Produkttester mit eigenen geschäftlichen Interessen zu verbinden wusste. So testete der ADAC 2018 den Stromverbrauch und die Reichweite von Elektroautos; inzwischen können ADAC-Mitglieder zwei der Modelle von Renault und BMW zu besonders günstigen Konditionen leasen. "Unser Tipp: Lassen Sie sich von Ihrem Renault-Partner beraten", lautet die ADAC-Empfehlung im Internet.

Dort finden sich auch ein Wohnmobil-Test und das praktische Angebot, Wohnmobile gleich via ADAC zu mieten. Campingplätze vermittelt dieser über eine Firma, in die er unlängst eingestiegen ist. 76 Partnerfirmen listet der ADAC e. V. aktuell auf, die ihn "durch Sponsoring unterstützen". Darunter sind neben Motoröl- und Reifenherstellern auch Automarken wie Volkswagen, Audi, Opel, Honda oder Citroën. War nicht zu viel Nähe zwischen Verein und Autoindustrie ein Hauptkritikpunkt? Und hatte der ADAC nicht strikte Distanz versprochen?

Die vielversprechende Reform droht dem ADAC um die Ohren zu fliegen

Die Tests der ADAC e. V. und die Angebote der ADAC SE seien zweierlei, sagt ein Sprecher. Wobei der e. V. allerdings die Mehrheit an der SE hält, jener Aktiengesellschaft, in der die kommerziellen Aktivitäten gebündelt sind. Deren Vorstand Mahbod Asgari sagt, "im Unterschied zu früher" gebe es "klare Grenzen: Wir verkaufen nicht, wir bieten nur die Plattform und vermitteln das Leasing mit Vorteilen für unsere Mitglieder". Das aber nicht umsonst. "Die ADAC SE erhält dafür eine Vergütung ihrer Werbe- und Marketingkosten von den Herstellern." Letztendlich tue man nur, "was die Mitglieder von uns erwarten: Wir schaffen für sie Vorteile bei Mobilitätsleistungen". ADAC-Präsident August Markl versichert, dass es "mit mir keinen Rückfall geben wird. Andernfalls wären unsere jahrelangen Reformbemühungen umsonst".

Doch genau die nach der Manipulationsaffäre ausgerufene Reform droht Markl um die Ohren zu fliegen. Ihr Kernstück, die Spaltung des ADAC in Verein, SE und eine Stiftung, läuft Gefahr, bei der praktischen Umsetzung zu scheitern. Viele der 5700 Mitarbeiter von Verein und SE zweifeln den Erfolg der Reformen an. Es herrsche enorme Verunsicherung, weil an zu vielen Baustellen gewerkelt werde und scheinbar keiner mehr wisse, wo es langgehe, klagt ein ranghoher Arbeitnehmervertreter.

Markl nimmt dagegen nur ein "gelegentlichen Knirschen an der ein oder anderen Stelle" wahr, "aber der ADAC insgesamt ist in einem weitaus besseren Zustand als früher", sagt er. Dabei erlebt er aktuell die größten Verwerfungen seit 2014. Dass fünf Regionalklubs im Streit um neuerliche Steuerzahlungen von etwa 100 Millionen Euro drohen, den Mutterverein zu verklagen, ist einmalig in der 116-jährigen Vereinsgeschichte.

Auch unter den Beschäftigten ist der Unmut groß. Zum ersten Mal werden Stellen beim ADAC gestrichen, insgesamt 222. Die Verantwortlichen begründen dies mit Defiziten aus dem laufenden Geschäft; die Mitgliedsbeiträge reichten nicht aus, um die Ausgaben vor allem für die Pannenhilfe zu decken. Nach 35 Millionen Euro Defizit 2018 rechnet man 2019 mit etwa 50 Millionen Euro Miesen. Mitarbeiter machen eine Gegenrechnung auf und verweisen auf jene knapp 650 Millionen Euro an Rücklagen, welche die SE an den e. V. übertrug. Armut sieht anders aus.

2018 schoss die Zahl psychisch erkrankter ADAC-Mitarbeiter in die Höhe. Zwei Umfragen unter den Beschäftigten von Verein und SE brachten Ende 2018 verheerende Ergebnisse, über die das Handelsblatt zuerst berichtete. Dabei bewerteten fast zwei Drittel der Mitarbeiter in der Münchner Zentrale die Stimmung im eigenen Haus mit den Schulnoten fünf oder sechs. 87 Prozent gaben an, die Dreiteilung habe die Stimmung verschlechtert, und mehr als die Hälfte der Belegschaft bezweifelt, dass Präsidium, Geschäftsführer und Vorstände das Richtige täten, um die Zukunft des ADAC zu sichern. Stattdessen beklagen viele Mitarbeiter Streitereien, Egoismus, Machtstreben und Intrigenspiele ihrer Vorgesetzten. Das Vertrauen sei dahin, hieß es. "Der ADAC wird mit Vollgas an die Wand gefahren", erklärte ein Mitarbeiter.

Markl indes nennt die Ergebnisse "ein einseitiges Bild", erhoben "auf dem Höhepunkt der internen Umstrukturierungen und des Personalabbaus, die sicher auch Verunsicherung und Unzufriedenheit ausgelöst haben". Tatsächlich sei die Zufriedenheit im Haus "weitaus größer, was man schon an der geringen Fluktuation von rund drei Prozent und einer sehr langen Betriebszugehörigkeit ablesen kann".

Gelöst ist nach ADAC-Lesart ein anderes Dauerproblem. "Es gibt keinen Vertragsstreit mehr mit unseren Mobilitätspartnern", sagt Geschäftsführer Oliver Weissenberger. Gemeint sind private Abschleppfirmen, die im Auftrag und mit Logo des ADAC arbeiten, sich von diesem aber in einem neuen Vertrag geknebelt fühlen. Der ADAC nutze seine Marktmacht als größter Pannenhilfe-Anbieter aus, so der Vorwurf. Weswegen eine Interessengemeinschaft der Betroffenen 2018 Beschwerde beim Bundeskartellamt einlegte (die SZ berichtete). "Das Thema ist vom Tisch", sagt nun Weissenberger. Was Christian Genzow, der Anwalt der Abschleppfirmen, umgehend dementiert: "Wenn es eine Einigung gäbe, wüsste ich das."

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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