Busse und Bahnen:52 Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft

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Maike Schaefer, Umweltsenatorin in Bremen, sieht die Bundesregierung unter Druck, rasch eine Anschlusslösung zu finden. (Foto: Sina Schuldt/picture alliance/dpa)

Die größte Rabattaktion in der Geschichte des Nahverkehrs läuft am Mittwoch aus. Neue Zahlen belegen den großen Erfolg. Doch Politiker und Verkehrsbetriebe warnen vor einem bösen Erwachen für Passagiere.

Von Markus Balser, Berlin

Wie sehr die Rabattaktion das Land verändert hat? Vor dem Auslaufen des Neun-Euro-Tickets am Mittwoch machen das neue Zahlen klar. Seit Verkaufsstart Ende Mai seien bis heute 52 Millionen Rabatttickets verkauft worden, teilte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) am Montag mit. Hinzu kommen mehr als zehn Millionen Abonnenten, die den Rabatt automatisch über ihre Monatstickets bekommen haben.

Aus der nächtlichen Idee einer Verhandlungsrunde der Ampelkoalition im Kanzleramt wurde damit ein kaum für möglich gehaltener Verkaufsschlager. Das einfache, günstige und bundesweit nutzbare Ticket brachte viele neue Passagiere in Busse und Bahnen. Etwa 20 Prozent der Käufer gaben an, den ÖPNV vorher selten oder nie genutzt zu haben. Weitere 27 Prozent der Kunden haben Busse oder Bahnen zuvor höchstens einmal im Monat genutzt. So geht es aus einer bundesweiten wöchentlichen Befragung von 6000 Deutschen hervor, die der VDV am Montag in Berlin vorstellte.

Auf dem oft schlecht erschlossenen Land blieben die Verkaufszahlen schwach

Häufiger als bislang gedacht ließen die Deutschen wegen des Tickets demnach auch ihr Auto stehen. Rund zehn Prozent der Fahrten hätten im August Pkw-Fahrten ersetzt, teilte der Verband weiter mit. Die Deutschen haben das Ticket überwiegend für Alltagsfahrten wie den Einkauf oder Arztbesuch genutzt (52 Prozent). Mit 37 Prozent sind gut ein Drittel der Passagiere damit zur Arbeit gefahren. Ausflugsfahrten und Städtereisen folgen mit 33 und 32 Prozent. Auf dem oft vom ÖPNV schlecht erschlossenen Land blieben die Verkaufszahlen dagegen sehr schwach. Sie lagen dort nur halb so hoch wie in städtischen Gebieten mit gutem Anschluss.

Auch Klimaeffekte verbuchen die Verkehrsbetriebe als Erfolg der Aktion. Der Verkehrssektor gilt bislang als eines der größten Sorgenkinder beim Klimaschutz. Das Ressort von FDP-Minister Volker Wissing droht seine Klimaziele massiv zu verfehlen. Laut Berechnungen der Verkehrsverbünde hilft die Rabattaktion, die Emissionen im Verkehr dieses Jahr spürbar zu senken. Die eingesparten Fahrten führen laut VDV zu einer Emissionsminderung um 1,8 Millionen Tonnen CO₂. "Drei Monate Neun-Euro-Ticket haben etwa so viel CO₂ eingespart, wie ein Jahr Tempolimit auf Autobahnen bringen würde", sagte VDV-Chef Oliver Wolff.

Die Bilanz des Tickets erhöht den Druck auf die Bundesregierung, eine rasche Anschlusslösung zu finden. Sie zeige klar: "Die Menschen wollen den öffentlichen Nahverkehr, wenn das Ticket einfach und verständlich ist", sagte Bremens Verkehrssenatorin und derzeitige Chefin der Landesverkehrsministerkonferenz, Maike Schaefer (Grüne). Die Deutschen seien bereit, ihr Auto stehen zu lassen, "wenn so ein Ticket nicht nur über den überschaubaren Zeitraum von drei Monaten geht", sagte sie weiter und forderte von Wissing mehr Engagement für ein Nachfolge-Ticket. Man könne die Menschen nicht zuerst in die Züge locken und dann am langen Arm verhungern lassen.

Doch eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. Die Ampelparteien, aber auch Bund und Länder sind in der Frage tief zerstritten, wer eine solche Lösung finanzieren soll und wie sie aussehen könnte. Einig sind sich alle Akteure, dass ein neues bundesweites Ticket teurer wird. Im Gespräch sind Preise zwischen 29 und 69 Euro je Monat. Während Wissing dabei allerdings die Länder in der Pflicht sieht, fordern die, der Bund müsse die komplette Finanzierung eines solchen Milliardenprojekts schultern. Der Ton wird rau: "Massiv" sei die Verstimmung über die Tatenlosigkeit des Bundesministers, hieß es im Kreis der Länderminister. "Enttäuschend" nannte das Wissing. Die Deutschen erwarteten, dass Politik Lösungen präsentiere, anstatt Verantwortung zu verschieben. Wissing will zunächst weitere Daten abwarten und frühestens im Oktober über ein bundesweites Nachfolgeticket entscheiden.

Dabei ist der Streit um das bundesweite Ticket nur die Spitze des Eisbergs. Bund und Länder ringen hinter den Kulissen um noch viel mehr: die generelle Finanzierung von Bussen und Bahnen. Die von der Pandemie gebeutelte Branche braucht wegen rasant steigender Energiepreise dringend mehr Geld. Die Länder fordern vom Bund deshalb schon länger, dass die Mittel für den Nahverkehr um 1,5 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Wegen akuter Turbulenzen auf den Strom- und Gasmärkten fordern sie zudem einen Rettungsschirm über weitere 1,65 Milliarden Euro pro Jahr. Wissing lehnt das bislang ab.

Der "Sonderzug zu Lindner" im Bahnhof Gesundbrunnen in Berlin. Demonstranten forderten am Montag eine Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Für die Passagiere könnte das in den kommenden Wochen und Monaten schwerwiegende Konsequenzen haben. Auf drei billige Monate könnten im Herbst drastische Preissteigerungen für Tickets folgen. Die Verkehrsbetriebe warnen wegen der steigenden Kosten vor massiven Preiserhöhungen oder zusammengestrichenen Fahrplänen. "Ohne eine bessere Finanzierung des ÖPNV durch den Bund werden Länder und Kommunen gezwungen sein, öffentliche Verkehrsangebote im regionalen Bahnverkehr und im Busverkehr einzuschränken", warnt etwa Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Selbst die Abbestellung bereits gekaufter neuer Züge sei möglich.

Auch NGOs erhöhten am Montag den Druck auf den Finanzminister, schnell mehr Geld bereitzustellen. In einem Sonderzug brachten Greenpeace und Campact 435 000 Unterschriften für eine Fortsetzung des Tickets nach Berlin. Per Banner forderten sie vom Finanzminister: "9-Euro-Ticket: Anschluss nicht verpassen, Herr Lindner!"

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