Manchmal wird Geschichte an ungewöhnlichen Orten geschrieben. Im Spätsommer 2015 checkte im Shoreham-Hotel in Washington eine 50-köpfige Delegation aus China ein. Angeführt wurde sie von Meng Jianzhu, damals Chef der einflussreichen Kommission für Politik und Recht. Das Hotel liegt nahe dem Washingtoner Zoo, ein Riesenbau voller Touristen, die Gruppe fiel nicht sonderlich auf. Erst später wurde bekannt, was sich im Shoreham abspielte.
Vier Tage lang wurde laut dem amerikanischen Journalisten David Sanger teils bis in die frühen Morgenstunden verhandelt, dann stand das erste Cyberabrüstungsabkommen der Welt. China und die Vereinigten Staaten erklärten den gegenseitigen Verzicht auf eine besondere Form der Wirtschaftsspionage: Gehackte, gestohlene, abgehörte Firmengeheimnisse dürfen nicht an die eigene Industrie übergeben werden, um ihr einen Vorteil zu verschaffen. Das Abkommen wurde letztlich auf höchster Ebene beschlossen, Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping und der damalige US-Präsident Barack Obama feierten es als Durchbruch. Es schien ein erster, ein wichtiger Schritt der Chinesen, Vertrauen zu begründen. Tatsächlich: Die Angriffe aus China gingen spürbar zurück, und zwar sofort.
Drei Jahre später ist davon nicht mehr viel übrig. Seitdem sich Washington und Peking gegenseitig mit Strafzöllen attackieren, hält sich China nach amerikanischen Angaben nicht mehr an die Vereinbarung. Ähnlich frustrierend sind die Erfahrungen der Bundesregierung.
In Berlin wollte man auch ein bilaterales Cyberabkommen mit China, das die Wirtschaftsspionage eindämmt, die die deutsche Industrie so schwer plagt. Im Juli 2016 verständigten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas Premierminister Li Keqiang auf die Rahmenbedingungen. Im Protokoll ist etwas umständlich vom "Cyberraum" und einem "Konsulationsmechanismus" die Rede, im Kern aber ging es darum, das US-Abkommen nachzubauen. Unterhändler Meng machte sich auf den Weg nach Berlin, doch die Verhandlungen gerieten bald ins Stocken.
Statt Vertrauen aufzubauen, verschärfte Peking erst einmal die Kontrolle. Im Juni 2017 trat in China das Cybersicherheitsgesetz in Kraft. Telekommunikationsunternehmen, Energie- und Wasserversorger, Transportfirmen oder Finanzkonzerne dürfen seitdem nur noch IT-Produkte kaufen, die eine staatliche Sicherheitsüberprüfung bestanden haben. Unternehmen sind seitdem in China verpflichtet, ihre Daten den Sicherheitsbehörden auf Anfrage zur Verfügung zu stellen. Problematisch ist auch die Vorgabe, künftig nur noch staatlich lizenzierte VPN-Software zu erlauben. Fast alle ausländischen Firmen sind auf diese Technologie angewiesen, um ihre Niederlassungen in China ans Intranet anzuschließen, um Dokumente wie Personaldaten, Baupläne oder Verträge verschlüsselt zu verschicken.
"Wir reden über unterschiedliche Dinge."
Erst im Mai 2018 kam wieder Bewegung in die deutsch-chinesischen Cybergespräche. Eine Delegation aus dem Bundesinnenministerium, geleitet vom Parlamentarischen Staatssekretär Günter Krings (CDU), reiste nach Peking - der erhoffte Durchbruch blieb jedoch aus. Auf chinesischer Seite war der hochrangigste Vertreter ein Vize-Minister aus dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit, die deutlich einflussreichere Kommission für Politik und Recht, die den Deal im Shoreham verhandelt hatte, schickte einen Beobachter aus dem Mittelbau. Ähnlich enttäuschend waren die Gespräche, statt eines Dialogs trugen die Chinesen nur ausformulierte Sprechzettel vor.
"Es war frustrierend," erinnert sich ein mit den Verhandlungen vertrauter Beamter. "Wir reden über unterschiedliche Dinge." Die Deutschen über Wirtschaftsspionage und das VPN-Verbot, die Chinesen über Terrorismus und den Weltkongress der Uiguren, der seinen Sitz in München hat und den die Führung in Peking als Terrorvereinigung einstuft. Im Anschluss an die Veranstaltung einigte man sich immerhin, regelmäßig zusammenzukommen. Der Schönheitsfehler: Eine zweite Runde hat seitdem nicht getagt.
In Berlin mag man die Gespräche noch nicht verloren geben, entsprechend zurückhaltend klingen offizielle Antworten: "Die Bundesregierung und die chinesische Regierung tauschen sich regelmäßig eng und vertrauensvoll dazu aus, wie böswilligen Cyberaktivitäten verhindert werden können", sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. "Verhandlungen zu einem weitergehenden Abkommen in diesem Bereich finden derzeit nicht statt."
Dabei wäre Vertrauen zu begründen für China von besonderer Bedeutung. Der Netzwerkausrüster Huawei will im Geschäft beim neuen Mobilfunkstandard 5G mitmischen. Die USA aber machen Druck auf die Verbündeten, chinesische Technik nicht zu verwenden. So wie die Erfindung der Druckerpresse werde 5G die Welt verändern, heißt es in vertraulichen Dossiers. "Flipping the Script" nennen die Amerikaner ihre Strategie, mit der sie China an der Marktführerschaft hindern möchten.
Wie sollte man Huawei-Bauteile verbieten, wenn keinerlei Beweise vorliegen?
Nicht nur amerikanische Diplomaten sind mit diesem Anliegen in Deutschland vorstellig geworden, sondern auch die Geheimdienste des mächtigen sogenannten Five-Eyes-Verbundes. Kanadier, Australier, Neuseeländer und Briten warnen vor weitreichenden Folgen: Im Krisenfall - etwa einer Taiwan-Auseinandersetzung - könnte China Teile des Netzes lahmlegen oder damit drohen. Es sei nie völlig auszuschließen, dass es Hintertüren gebe. Zumindest die amerikanischen Geheimdienste können das ganz gut beurteilen. Sie sind Meister darin, selbst solche digitalen Pforten einzubauen. Manchen in Berlin erinnert das Ganze an eine Neuauflage der NSA-Affäre, als man vorgeführt bekam, wie verwundbar die deutsche digitale Infrastruktur tatsächlich ist. In vertraulich tagenden Beamtenrunden, die derzeit mit dem Thema befasst sind, wird allerdings auf einen Unterschied hingewiesen: Die USA brachen die Vertraulichkeit für Spionage, aber sie seien kein Gegner. Bei der nach Macht und Einfluss strebenden Volksrepublik könne man da nicht so sicher ein.
In der Bundesregierung weiß man, dass nun eine schwierige Entscheidung bevorsteht: Einerseits will man die Amerikaner nicht brüskieren, die im Zurückdrängen der Chinesen im Technologiesektor eine Frage der nationalen Sicherheit sehen. Andererseits ist China der wichtigste Handelspartner - wie sollte man Huawei-Bauteile verbieten, wenn keinerlei Beweise vorliegen, dass diese manipuliert sind? Der Chef des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Dieter Kempf, warnt bereits vor einer "Vorverurteilung", die Bundesregierung hält bislang an einer knappen Sprachregelung fest, die 5G-Netze seien "ein Grundpfeiler der vernetzten Wirtschaft" und von "außerordentlicher Bedeutung auch für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland." Ansonsten sei die "Willensbildung" noch nicht abgeschlossen.
In diesem Jahr, so heißt in der Bundesregierung, wolle man in Sachen Cyberabkommen noch einmal einen neuen Anlauf starten und die Chinesen einladen. Man hofft in Berlin, dass es doch noch Bewegung in Peking geben könnte. Wenn Huawei in Deutschland weiter gute Geschäfte machen möchte, könnte dies dringend notwendig sein.