30 Jahre Photoshop:Der digitale Pinsel

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Falten, Pickel, Unreinheiten - alles weg. Software wie Photoshop macht es möglich, Menschen fast irreal schön zu zeigen. (Foto: imago/Panthermedia)

Die Software Photoshop, die vor 30 Jahren auf den Markt kam, hat die Bildbearbeitung verändert. Sie lässt Motive fast irreal schön erscheinen - und schafft neue Möglichkeiten auch für Fälscher.

Von Valentin Dornis und Mirjam Hauck

Hat das Model auf dem Zeitschriftencover wirklich derart hohe Wangenknochen und glatte Haut? Und ist der Blick in den Weltraum so spektakulär, wie es uns manches Foto weismachen will? Ein bisschen Misstrauen ist angebracht, schließlich prägen mittlerweile viele bearbeitete Bilder unseren Blick auf die Welt. Seit es Bildbearbeitungssoftware gibt, hat sich die Art, wie wir sie zu sehen bekommen, besonders radikal verändert.

Entscheidend dabei ist das Programm Photoshop, dessen Version 1.0 vor ziemlich genau 30 Jahren auf den Markt kam. Seitdem hat Photoshop Millionen Fotografen und Designern die Arbeit erleichtert - aber auch den Blick auf eine optimierte Welt geprägt. Profitiert hat davon vor allem Adobe: Der Konzern sicherte sich früh die Rechte an der Bildbearbeitungssoftware. Heute hat er je nach Schätzung einen Marktanteil von bis zu 90 Prozent bei professionellen Nutzern und verdient damit Milliarden.

Typische Silicon-Valley-Erzählung

Die Gründungsgeschichte von Photoshop ist eigentlich eine typische Silicon-Valley-Erzählung. Nur spielt sie nicht im berühmten Tal der Tech-Giganten, sondern in Michigan: Dort war der US-Amerikaner Thomas Knoll auf der Suche nach einer Bildbearbeitungssoftware, die Graustufen auf einem schwarz-weißen Bildschirm anzeigen konnte. Doch das Angebot war überschaubar, und so setzte sich Knoll selbst an den Computer und programmierte drauf los, parallel zu seiner Doktorarbeit an der University of Michigan. Sein Bruder John, der bei einer Filmfirma arbeitete, stieg bald auch in das Projekt ein.

Das war 1987, an leistungsstarke Rechner, wie es sie heute gibt, war noch gar nicht zu denken. Die ersten Beta-Versionen konnten entsprechend wenig. Eine frühe Version, heute 0.87 genannt, vermarktete ein Scannerhersteller unter dem Namen Barneyscan XP. Er verkaufte etwa 200 Exemplare. Doch im Herbst 1988 kam der Durchbruch: Adobe entschied sich gegen Investitionen in die Software anderer Firmen und für das Programm der Knoll-Brüder. Die entwickelten das Programm gemeinsam mit dem neuen Partner weiter. Am 19. Februar 1990 kam schließlich Photoshop 1.0 auf den Markt, damals nur für Apple-Computer, ab Version 2.5 dann auch für Windows-Rechner.

Die ersten Rezensenten waren begeistert. Arne Hurthy schrieb im Apple-Fachmagazin Macworld: "Ich glaube nicht, dass es irgendein Mac-Programm gibt, das so viel kann wie Photoshop." Die Software dominierte den Markt trotz eines Startpreises von damals 895 Dollar von Beginn an so sehr, dass der Markenname inzwischen zum Gattungsbegriff geworden ist. Wer von bearbeiteten Bildern spricht, nennt sie oft "gephotoshoppt". Es prägte bald auch ein weltweites Schönheitsideal: Dank Photoshop kann alles, was als die Industrie als Fehler definiert, mühelos glattgebügelt werden. Das ging so weit, dass Hollywood-Schauspielerin Julia Roberts 2011 in einer Lancôme-Werbung derart makellos und faltenfrei aussah, dass die britische Werbeaufsicht die Kampagne verbot.

Julia Roberts äußerst makellos dank Bildbearbeitungssoftware. (Foto: Lancome)

Manipulationen sind heute für Ungeübte nur schwer zu erkennen

Inzwischen sind handelsübliche Rechner so leistungsstark, dass sie mit dem Programm klarkommen, obwohl mit der Zeit immer mehr Funktionen hinzukamen. Ein wichtiger Schritt war die Einführung der Ebenen: Seit Version 3 können Nutzer ein Bild so aufteilen, dass sie einzelne Bereiche komplett unabhängig vom Rest des Bildes bearbeiten und verschieben können. Das ist besonders bei aufwendigen Montagen hilfreich. Ein ähnlich großer Schritt geschah im Jahr 2013 - allerdings nicht nur zur Freude der Nutzer. Adobe stellte sein Angebot komplett um: Konnte man früher noch eine Photoshop-Version kaufen und jahrelang nutzen, geht das jetzt nur noch per Abo. Die sogenannte Creative Cloud kostet inklusive aller Grafik-, Video- und Audioprogramme mehr als 700 Euro im Jahr. Ein reines Photoshop-Einzelabo kostet ohne Rabatte immer noch fast 285 Euro jährlich.

Trotz dieses kostspieligen Abomodells muss man Photoshop aber zugestehen, dass es gewissermaßen die aufwendige Bildretusche demokratisiert hat, die mal kleinere, mal größere Manipulation wurde alltäglich. Erfunden haben die Retusche aber weder die Knoll-Brüder noch Adobe. Sie ist so alt wie die Fotografie selbst.

Der Münchner Porträtfotograf Franz Hanfstaengl zum Beispiel gewann auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1855 mit seinen retuschierten Fotos sogar eine Goldmedaille, "weil in seinen Bildern die Kunst mit sichtbarer Hand waltet". Der gelernte Lithograf Hanfstaengl gilt auch als Erfinder der Negativ-Retusche. Allerdings reichten vor Photoshop und digitaler Fotografie nicht nur ein paar wenige Klicks, um faltige Gesichtshaut zu glätten oder gleich unliebsame Personen aus einem Foto zu tilgen. Die Negativ-Retusche war aufwendig. Die Fotografen und Retuscheure benötigten weiche und spitze Bleistiftminen oder, bei größeren Flächen, Pinsel und Graphitpulver. Damit wurde das Negativ dann äußerst vorsichtig bearbeitet, unschöne Schatten und dunkle Stellen wurden aufgehellt und so den Grauwerten der Umgebung angepasst.

Wladimir Iljitsch Lenin steht auf einer Rednertribüne und hält eine Ansprache. Leo Trotzki, der eigentlich auf dem Aufgang zur Tribüne steht, wurde im Zuge von Stalins Machtgewinn aus den öffentlichen Bildern wegretuschiert. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Anfangs galt die Retusche noch als Kunst. Doch im 20. Jahrhundert wurde sie auch vielfach zu Propagandazwecken eingesetzt. So ließ der sowjetische Diktator Josef Stalin einige seiner in Ungnade gefallenen und später ermordeten Weggefährten zunächst von offiziellen Aufnahmen entfernen. Auch die Nationalsozialisten wandten diese Praxis an. Allerdings waren die Fälschungen totalitärer Regime nicht immer propagandatauglich: Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings entfernte die tschechoslowakische Regierung die Leitfigur des Reformprozesses, Alexander Dubček, aus einem Foto - vergaß dabei allerdings dessen rechte Schuhspitze.

Bei solchen Fehlern sind Bildmanipulationen noch gut erkennbar. Doch weil digitale Fälschungen inzwischen ungleich einfacher zu produzieren sind, sind sie für den ungeübten Blick oft schwer zu entlarvten. Man muss sehr genau hinsehen: Passen Lichtquellen und Schatten zueinander? Gibt es irgendwo falsche Proportionen oder andere Hinweise? Als ein brasilianischer Pilot vor einigen Jahren Selfies veröffentlichte, die er angeblich aus dem Fenster einer fliegenden Passagiermaschine machte, gingen die Bilder um die Welt. Bis einigen Internetnutzern auffiel, dass sich in seiner Sonnenbrille noch die Startbahn spiegelte. Der Pilot hatte den schnöden Hintergrund einfach durch Himmelsfotos ersetzt.

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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