Weinbergpfirsich-Ernte:Rote Wonne

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Der echte Weinbergpfirsich wird Anfang September gepflückt - und ist im Handel schwer zu bekommen. (Foto: dpa)

An der Mosel und in Franken hat die Ernte des echten Weinbergpfirsichs begonnen, der mit der handelsüblichen Massenware nichts zu tun hat. Dieses Jahr hat ihm der Spätfrost zugesetzt.

Von Georg Etscheit

Besonders appetitlich sehen die Früchte nicht gerade aus: Klein und knubbelig sind sie, oft bräunlich-grün, auch mal rötlich, mit einer zähen, pelzigen Haut. Spontanes Reinbeißen sollte man sich also verkneifen. Doch wenn man ihnen mit einem Sparschäler auf die Pelle rückt und sie bearbeitet wie Kartoffeln oder Spargel, kommt ein schönes, weißes bis purpurrotes Fruchtfleisch zum Vorschein, durchzogen von roten Äderchen. Und erst das Aroma: nicht quittesüß schmecken sie, sondern sehr differenziert, mit feinem Säurespiel, dazu eine intensive Pfirsichnote. Manchmal sticht auch ein angenehm bitterer Ton hervor, was daran erinnert, dass in diesen Früchten noch die asiatische Wildform lebendig ist, sehr viel mehr übrigens als in modernen Pfirsichzüchtungen. Kurzum: Der echte Weinbergpfirsich ist eine Wucht, schade nur, dass man ihn so selten kaufen kann.

Denn im Einzelhandel und sogar auf Wochenmärkten gibt es ihn so gut wie nie. Damit ist der Weinbergpfirsich das wohl beste Beispiel dafür, wie sehr wir uns durch die Beschränkung unseres Obstangebotes auf wenige, marktfähige Sorten um den Geschmack gebracht haben. Ende August, Anfang September beginnt seine Ernte. Doch um ihn zu ergattern, muss man schon in jene Gegenden fahren, wo er seit Jahrhunderten angebaut wird, zum Beispiel nach Franken oder an die Mosel. Die gute Nachricht ist, dass man sich dort seit etwas mehr als zehn Jahren wieder verstärkt um Anbau und Verarbeitung des Weinbergpfirsichs bemüht. Und dass dieses fast vergessene Obst tatsächlich wieder beliebter wird.

Mit Butter und karamellisiertem Zucker
:Pfirsich-Zwiebel-Chutney

Verfeinert mit Sternanis, abgelöscht mit Weißwein.

Diese Frucht isst man selten roh. Besser ist sie als Nektar, Likör, Essig, Mus oder Marmelade

Im weichen Dialekt der Moselaner sind Weinbergpfirsiche die "rud Peesch" - die roten Pfirsiche. Und aus dem Mund von Peter Goebel kann das geradezu zärtlich klingen. Der Winzer aus Ernst nahe Cochem ist Vorsitzender des Vereins Moselweinbergpfirsich, und er gehört mit seinen 700 Bäumchen zu den größten Produzenten des Pfirsichs an der Mosel. Natürlich ist das eher ein schmaler Nebenerwerb, aber die Wiederentdeckung des Weinbergpfirsichs macht Goebel glücklich. "Früher wusste niemand etwas anzufangen mit dieser Sorte", sagt der Winzer. "Heute kommen die Leute von weither, um unsere Spezialität zu kosten und zu kaufen."

Wie viele seiner Kollegen produziert Goebel auch Obstbrände und darüber hinaus eben diverse Spezialitäten vom Weinbergpfirsich: eine besonders aromaintensive Marmelade, eingekochte halbe Früchte, dazu Essig, Likör, Fruchtnektar und Bowle. Auf dem Pfirsichhof der Familie Bremm-Gerhards ein Stück weiter gibt es auch "kernechte" Setzlinge für Heimgärtner, die selbst ihr Glück mit der Sorte versuchen wollen. Das braucht man, denn der Weinbergpfirsich ist wetterfühlig und empfindlich und auch bei der Verarbeitung das, was man eine Diva nennt. Die kostbare Ernte aber ist dann eine nicht nur von Feinschmeckern und Liebhabern alter Obstsorten gesuchte Rarität. Nur echt sollte der Weinbergpfirsich schon sein.

Etikettenschwindel: Im Laden werden auch Plattpfirsiche als Weinbergpfirsiche verkauft

Von Angeboten im Obsthandel mit kreativen Bezeichnungen wie "Bergpfirsich", "Wildpfirsich" oder eben "Weinbergpfirsich" sollte man sich nicht blenden lassen. Fast immer handelt es sich hierbei um die tellerartigen Plattpfirsiche oder Paraguayos. Auf der Website Lebensmittelklarheit.de warnen Verbraucherschutzverbände vor Etikettenschwindel. Plattpfirsiche sind Mutationen des herkömmlichen Pfirsichs. In China wird die Sorte schon lange angebaut, doch seit vor allem spanische Züchter immer mehr Plattpfirsiche auf den Markt werfen, wächst die Beliebtheit dieser süßen und säurearmen Pfirsich-Varietät, die perfekt dem Massengeschmack entspricht und sich bequemer essen lässt als die triefenden Kugeln der bekannten Sorten "Red Haven" oder "Suncrest".

Damit sind die orangeroten Tellerminen das genaue Gegenteil vom echten Weinbergpfirsich. Denn der wird selten roh gegessen und offenbart seine großen geschmacklichen Vorzüge überhaupt erst, wenn er verarbeitet wurde. Häufig zu Premiumprodukten wie dem Weinbergpfirsichlikör der unterfränkischen Edelbrennerei Ziegler. Die Früchte dafür werden dem Unternehmen aus ganz Franken geliefert. Sie werden gemaischt, mit Alkohol angesetzt und destilliert. Die aromatische Essenz wird dann mit einer Zuckerlösung gestreckt. "Wir verarbeiten Weinbergpfirsiche nur zu Likör, nicht zu (ungesüßtem) Pfirsichgeist, weil die meisten Kunden mit Pfirsichen etwas Süßes verbinden, eine Art Dessert", sagt Destillateur Paul Maier.

Auch in Franken steigt das Interesse an der alten, sperrigen Frucht. Im Jahr 2000 hatte die Direktion für ländliche Entwicklung in Würzburg den Weinbergpfirsich zum "Baum des Jahres für Frankens Weinberge" ausgerufen. Seit der Imagekampagne spielt der Pfirsich in den unterfränkischen Weinregionen wieder eine gewisse Rolle. Viele Winzer haben heute zumindest einen Weinbergpfirsichlikör im Angebot, der mitunter noch recht stammtischmäßig beworben wird: "Mädchenröte - Der Frauen-Versteher aus Franken", heißt eine der bekannteren Kreationen.

Doch wie kam der Pfirsich nach Deutschland? Seine Geschichte als Nutz- und Kulturpflanze ist uralt. Erste Versuche, ihn zu kultivieren, seien in China für die Zeit um 2000 vor Christus dokumentiert, schreibt Bernd Kajtna, Experte für alte Kulturpflanzen im österreichischen Kremstal, wo auch Weinbergpfirsiche gedeihen, die dort allerdings Weingartenpfirsiche heißen. Später gelangten die Bäumchen in den Mittleren Osten sowie nach Kleinasien, von wo aus sie die Römer nach Europa importierten. Zusammen mit den Weinreben schleppten sie die Pflanzen oder deren Kerne auch über die Alpen und machten sie schließlich in vergleichsweise milden Flusstälern heimisch, etwa an der "Terrassenmosel" zwischen Koblenz und Cochem.

Dort gehörte der "Rote Weinbergpfirsich" bis in die 60er-Jahre zum Landschaftsbild. Flurbereinigung und Intensivweinbau machten vielen Bäumen dann den Garaus, vor allem in den schwer zu bewirtschaftenden Steillagen. Doch seit gut 15 Jahren gibt es hier so etwas wie eine kleine Renaissance, angestoßen durch ein Förderprogramm des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums. Immer mehr Touristen kommen nun zur Pfirsichblüte. Und auch ein erstes Kochbuch ist vor einigen Jahren erschienen (Heike Raab, "Rund um den Roten Weinbergpfirsich").

Pfirsichbäume fühlen sich in Deutschland nur bedingt wohl. Spätfröste mögen sie gar nicht

Die Wiederentdeckung des Pfirsichs ist jedoch mühsam. Winzer Peter Goebel steckt viel Arbeit in die Plantage. Die Bäumchen sind schwer kalkulierbar. Sie hassen Spätfröste und Trockenheit, sind anfällig für Pilze und Bakterien, wie den Erreger der Kräuselkrankheit, die Blätter und Triebe verkümmern lässt. Zuweilen müssen die Bauern schon im Januar, wenn die schweren Maschinen noch eingemottet sind, in die Weinberge hinaus, um ihre Pfirsichbäume zu spritzen. In diesem Jahr hat es sich trotzdem kaum gelohnt. Spätfröste haben einen Großteil der Ernte vernichtet. "Unsere Pfirsichbäume blühen immer besonders früh. Und dieses Jahr hat es uns voll erwischt", sagt Goebel. Die beliebten halben Früchte und der Saft sind bei ihm daher gerade ausverkauft. Andere wie der Hof Bremm-Gerhards können dagegen noch eingelegte Pfirsichhälften anbieten.

Doch Peter Goebel sagt, es gehe ihm vor allem darum, die vielfältige Kulturlandschaft der Mosel zu erhalten. Und damit eine uralte Obstsorte, die es wert sei, wieder in aller Munde zu sein. Zweimal pro Jahr organisiert sein Verein in Cochem ein Fest im Zeichen des Moselweinbergpfirsichs, im Frühjahr zur Blüte und im September, zum Beginn der Ernte. Dass die in diesem Jahr sehr überschaubar ist, schmerzt den Weinbauern natürlich. "Ausgerechnet jetzt, wo die Nachfrage so groß ist", sagt er. Importierte Plattpfirsiche als Ersatz kommen ihm aber nicht auf den Hof. "Ein bisschen was haben wir noch auf Lager, das kratzen wir zusammen." Und wenn das nicht reicht? "Dann reden wir eben über den Moselweinbergpfirsich."

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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