Die erste Überraschung an der Tür: Joannis Malathounis sieht überhaupt nicht gehetzt aus. Abgekämpft? Keine Spur, im Gegenteil, der Koch wirkt entspannt, freundlich, zugewandt. Er steht oben an der kleinen Vortreppe zu seinem Lokal in Stetten, Ortsteil von Kernen im Remstal, das wiederum nicht weit von Untertürkheim liegt, kurz gesagt: ein Stück östlich von Stuttgart. Genau so hört sich die Begrüßung auch an, "Kommet Sie rein", sagt Malathounis und geht voran.
Im Gastraum fällt mildes Winterlicht durch die Sprossenscheiben und bricht sich im Kristallglas auf den gedeckten Tischen, der Chef in Jeans, Sweatshirt und dicksohligen Sneakers federt nach nebenan, um ein Wasser zu holen. Ohne Hast, die kommt später. Das "Malathounis" ist ein Sternerestaurant, Küche mit höchstem Anspruch, ambitionierter Weinkeller, obere Preiskategorie. Aber an einem Donnerstagvormittag herrscht erstaunlicherweise: Ruhe. Keine Zurufe, kein Scheppern aus der Küche, keine Brigade unter Strom. Weil es gar keine Brigade gibt. Restaurantbetreiber, Sommelier und der einzige Koch: Joannis Malathounis ist das alles in einer Person. Klingt nach der neuesten Hipsteridee, ist aber hier schon immer so.

Solo am Herd, doch auf hohem Niveau: Man muss das nicht gleich zum neuen Trend in der Gastronomie erklären, aber Tatsache ist, dass die Idee zunehmend Anklang findet in der Branche. In Berlin bekocht Udo Knörlein die "Kitchen Library" allein, Newcomer Cédric Staudenmayer kommt in Weinstadt aus dem Stand erfolgreich ohne Crew aus ("Cédric"), in München macht Mona John mit ihrem winzigen Lokal "Coup de Coeur" von sich reden. Die Beschränkung kann viele Gründe haben, das altbekannte, aber immer akutere Problem, Personal zu finden, oder es müssen schlicht Kosten gedrückt werden. Gerade ist ja ständig von Krise die Rede in der Gastronomie, da bleibt man eben lieber beweglich. Oft spielt aber auch Freiheitsliebe eine Rolle, wer ohne Team kocht, muss keine Kompromisse aushandeln. Der Restaurantführer Gusto führt für solche Geschäftsmodelle inzwischen sogar die Kategorie "Einzelkämpfer am Herd". Das mag für einige allzu martialisch formuliert sein, trifft aber im Kern zu. Und der griechische Schwabe oder schwäbische Grieche Malathounis im Remstal wäre dann der dienstälteste und erfahrenste unter ihnen, eine Art Vorreiter.
Auf der Fahrt nach Stetten geht es eine Weile über die Höhe, mit Blick auf Stuttgart unten in der Talsenke, danach führt die Straße durch Weinberge abwärts, man parkt in einer ruhigen Wohnstraße. Zeit für ein Gespräch kann sich Joannis Malathounis, das liegt in der Natur der Sache, nur nehmen, wenn er eben gerade nicht kocht. Seit gut zwei Jahren hat er ausschließlich abends geöffnet, tagsüber stehen die eingedeckten Tische unberührt da wie für eine Festgesellschaft, die auf sich warten lässt. Es muss beim Blick ins Menü bleiben: marinierter Kabeljau zu schwarzen Oliven, Perlhuhn mit Kreuzkümmeljus, Safranschalotten, als Abschluss ein Dessert aus Olivenöl-Schokolade. Und das schafft er, für bis zu 20 Personen pro Abend, alleine? Der 60-Jährige kennt die Frage seit mehr als 30 Jahren, 1993 eröffnete er gemeinsam mit seiner Frau Anna sein Lokal, stand von Anfang an solo in der Küche und bekam sie oft von Gästen gestellt. Die Überraschung schmeichelt ihm immer noch ein bisschen, das sieht man. "Ich habe den Beruf schließlich gelernt", sagt er. "Es ist eine Frage der Organisation."
"Ich koche, was und wie wir selber gern essen."
Das bedeutet konkret: penibelste Vorbereitung. Von marinierten Kürbisstreifen für eine Vorspeise über den gezupften Ackersalat (zur Perlhuhnbrust) bis zum - natürlich tiefgefrorenen - Joghurteis, das mit Schafsmilchcreme serviert werden wird - was präpariert werden kann, liegt spätestens am frühen Abend griffbereit in der Kühlung. Zweitens, keine unrealistisch elaborierten Menüideen, für die zwei Hände in der Küche nicht ausreichen und, drittens, Schlichtheit beim Anrichten. "Was können wir mit unserer Kapazität schaffen, und schaffen wir es gut genug?" Diese Frage, sagt Malathounis, stelle er sich bei jeder neuen Karte, und seine Frau Anna bezieht er immer mit ein. Sie ist für den Service zuständig, hilft beim Spülen, putzt Küche und Lokal. 2014 kam der Michelin-Stern für die "Modern Greek Cuisine", die aus Schwäbischem wie Filderkraut zu griechischen Ziegenmilchnudeln oder einer Retsina-Beurre-Blanc überraschende Geschmacksbegegnungen komponiert. Es war der erste Stern für ein griechisches Restaurant außerhalb Griechenlands. Leicht, elegant, unerwartet, so beschreiben Gastro-Kritiker die Gerichte. Malathounis sagt: "Ich koche, was und wie wir selber gern essen."
Natürlich gibt es den Erfolgsdruck, die Auszeichung zu halten, und der kann nicht auf die vielen Schultern einer Crew verteilt werden. Andererseits ist Malathounis, der in Stuttgart in einer griechischen Gastarbeiterfamilie aufwuchs, längst ein hochversierter Koch, der schon während der Ausbildung in Sterneküchen Erfahrung sammelte. Getrieben wirkt er nicht, auch wenn das in Filmen über Küchengenies wie aktuell in "The Bear" immer unbedingt dazugehört, vielmehr gelassen (zumindest am späten Vormittag). "Ich sehe es bissle anders", den Satz streut er gerne ein, und vielleicht galt das schon für seinen Vater, der die Kinder gerade nicht in den engen Grenzen der griechischen Community aufwachsen sehen wollte, sondern Anschluss an die schwäbische Nachbarschaft suchte. Daher habe er seine Offenheit, sagt Malathounis, dessen Sohn gerade ein Gastsemester in den USA einlegt.

"Bissle anders" sieht er zum Beispiel die Dauerklagen über unauffindbares Gastro-Personal ("Es gibt Leute, wenn man sie anständig bezahlt") oder die Behauptung, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten könne sich Essengehen in Deutschland niemand mehr leisten. "Die Frage ist, wofür man sein Geld ausgeben will. Für das nächste Auto, die nächste Flugreise oder für gutes Essen?" Sicher bekomme auch er die angespannte Lage zu spüren, Stammgäste blieben weg, aus Stuttgart fahren sie nicht mehr so oft zum kulinarischen Kurzausflug aufs Land, Laufkundschaft existiere so gut wie nicht. Er sei heilfroh, keine zusätzlichen Personalkosten stemmen zu müssen, ein klarer Vorteil seines Konzepts. Dass er und seine Frau manchmal mehrere 15-Stunden-Tage hintereinander wegstecken, ist die andere Seite.
Inzwischen steht Joannis Malathounis in seiner Küche, die sehr aufgeräumt, durchschnittlich groß und keineswegs nach Zauberei aussieht. Zieht die befüllten Kühlschubladen auf, deutet auf Öle, die in einer bestimmten Anordnung beieinander und auf Gewürz-Schraubgläser, die stets am richtigen Platz zu stehen haben. Sonst klappt der reibungslose Ablauf nicht, und schon müssten die Gäste draußen länger auf ihre Teller warten. Alles schön durchdacht, er habe es gerne übersichtlich. Und doch, sagt Joannis Malathounis, ging es ihm von Anfang an eigentlich um etwas anderes. "Dass ich mein Lokal auf- oder zumachen kann, wann ich will. Dass auf die Karte kommt, was ich gut finde." Kurze Pause. "Ich bin mein eigener Herr. Und das ist genau das, was mir gefällt."
Etwas für Freigeister also, es gibt aber auch klare Nachteile des Konzepts Einzelkämpfer: Wenn der alleinige Chef und Koch (oder die Chefin und Köchin) mal ausfällt, steht der gesamte Betrieb auf der Kippe. Die viel gelobte Mona John in München musste - weil sie ein Kind erwartet - kürzlich für die nächsten Monate eine Vertretung für den Herd ihres Minilokals finden. Was ihr gelang, das "Coup de Coeur" funktioniert auch in dieser Konstellation. Aber selbstverständlich ist ein nahtloser Übergang in so einem Fall nicht.
Was die kreative Unabhängigkeit betrifft: Etwas Eigensinn lassen sich in Baden-Württemberg die Menschen ja generell ganz gerne nachsagen, und womöglich ist es nicht nur Zufall, dass in der Nähe von Altmeister Malathounis ein zweiter Solist auffällt. In Weinstadt steht Cédric Staudenmayer am Herd in der ehemaligen "Krone", er hat das Traditionslokal seines Großvaters vor gut einem Jahr übernommen. Es heißt jetzt "Cédric", und zur Eröffnung habe er, berichtet Staudenmayer, vor allem eines gehört: mutig. Ein festes Menü, also keine Wahlmöglichkeiten für die Gäste, der Ort liegt abseits der Großstadt, auch hier hängt alles an einem Koch.

Der betrachtet die Beschränkung als Chance, eine "eigene Handschrift", wie er das nennt, zu entwickeln. Alle Aufmerksamkeit liegt auf dem Geschmack, auf der Kombination von Pastinake und Aubergine etwa oder von Hirsch und nussigen Pinienkernen - nichts ist verwässert durch Extras oder kleine Reize beim Anrichten. "Hier noch eine schicke Blüte und da noch ein Cracker", so habe er das während seiner Zeit im Zwei-Sterne-Lokal "Ophelia" in Konstanz erlebt, sagt Staudenmayer. "Das kann ich nicht bieten, wenn ich alleine in der Küche stehe."
Vielleicht will er das auch gar nicht, viel reizvoller sei es, Anspruch und praktische Machbarkeit zusammenzubringen. Das ist ein ständiger Lernprozess, eine Art Wettbewerb mit sich selbst. Zu aufwendige Desserts mussten reduziert werden, bis sie schneller gingen, aber genauso gut schmeckten. An einer Vorspeise aus Räucherforelle und Rosetten aus hauchfein geschnittenen Roten Beeten tüftelte er so lange, bis sie in den Zeitplan passte. Der Kleinstbetrieb als Karrierelabor? "Dieses Reduzieren auf das Wesentliche ist schon sehr spannend", sagt Staudenmayer. "Man kann zeigen, was man kann." Das klingt nach Ambitionen, und dafür wird ihm die Ein-Mann-Kombüse auf Dauer zu eng werden.
