Johann Lafer kocht seit fast 45 Jahren, aber die typische Frage des Kellners im Restaurant - "Schmeckt's?" -, die hat er nie gemocht. Sieht doch ohnehin jeder an den Gesichtern, ob ein Essen gelungen ist, sagt Lafer. Ein Gespräch über die deutsche Küche, Kochen für Prominente und neue Projekte.
SZ: Herr Lafer, Sie sind seit Jahrzehnten in der Spitzengastronomie tätig . Jetzt wollen Sie sich neu orientieren. In welche Richtung?
Johann Lafer: Ich gehe zurück zu meinen kulinarischen Wurzeln. Ich will mich der Vision einer traditionellen, aber dennoch modernen Küche widmen.
Was heißt das genau?
Für mich bedeutet das, sich an unkomplizierten, aber zugleich raffiniert umgesetzten Rezepten zu orientieren. Es geht um die Kunst der einfachen Küche. Die Faszination für diese Küche ist bei mir neu entfacht worden in den vergangenen Jahren, vor allem durch meine Reisen. Ich war zum Beispiel begeistert, wie in Singapur in Chicken-Rice-Restaurants oder im Libanon an Hummus-Ständen gesundes Streetfood zelebriert wird. Das inspiriert mich und es ist mir eine Herzensangelegenheit, mich im Alter von 61 Jahren von Zwängen zu befreien, denen ich bisher unterworfen war.
Deutsche Spitzenküche:"Die Politik verachtet uns"
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Ist so ein Michelin-Stern auch ein Zwang?
In gewisser Weise schon. Um in der Sterne-Küche mitzuspielen, muss jede Deko bis ins kleinste Detail sitzen, extrem hochwertige Zutaten sind unabdingbar. Diese werden auf Dauer kaum auf vernünftige und nachhaltige Weise verfügbar sein. Da gibt es ein Problem mit der Ökobilanz. Wenn ich allein an Meeresfische denke: Wo sollen die denn herkommen, in der Qualität, in der Spitzenrestaurants sie benötigen? Sterneküche ist eben immer ein riesiger Aufwand, und diesen Aufwand zu betreiben, letztlich für einen kleinen Bereich in unserem Unternehmen, das möchte ich nicht mehr.
Sie wollen den Stern nicht länger tragen?
Ja, wir haben das Sternerestaurant Val d'Or, das meine Frau und ich seit 1994 betreiben, geschlossen und jetzt noch Betriebsferien bis 19. Februar, bis dahin brauchen wir für die Umstrukturierungen. Aber die Stromburg wird weiter ein Ort des Genusses bleiben. Wir haben alle Räume mit riesigem Aufwand saniert. Jetzt steht das neue Konzept. Es wird etwa Showkoch-Veranstaltungen geben, und im Sommer wollen wir den herrlichen Burghof wieder vermehrt für exklusive Events nutzen.
Geht damit eine Ära zu Ende?
So theatralisch würde ich das nicht formulieren. Ich will volksnäher werden und mich stärker konzentrieren, auf das, was mir schon immer wichtig war: nachhaltige Produkte, gute Verarbeitung und ein unprätentiöser Service. Die allermeisten meiner Aktivitäten führe ich ja ohnehin weiter, ob das nun meine Kochschule, das Kochen im Fernsehen, meine Zeitschrift oder mein Engagement bei Singapore Airlines ist, wo ich das Bordessen kreiere.
Im Kanzleramt wird gerade ein neuer Koch gesucht. Wäre das nichts für Sie?
Das wäre schon reizvoll. Ich mag die deutsche Gastfreundschaft, die deutsche Herzlichkeit. Aber, wer weiß, ein österreichischer Koch im Kanzleramt, das würde vielleicht einen Aufstand geben.
Dabei haben Sie Erfahrung mit Politikern. Sie waren in den Neunzigerjahren als Koch beim damaligen Außenminister Klaus Kinkel engagiert.
Vier Jahre lang hatte ich die Ehre. Ich war mit ihm auf der ganzen Welt unterwegs ...
... und haben zwei US-Präsidenten bekocht. Bill Clinton und George W. Bush.
Ja, unter anderem. Mein größtes Erlebnis war die UN-Vollversammlung in New York. Da gab es einen Deutschland-Empfang, Kinkel war der Gastgeber, und wir mussten ein Buffet für 2000 Leute ausrichten. Der Deutschland-Besuch von George W. Bush ein paar Jahre später war auch interessant: Als Dessert haben wir damals Crème brûlée vom Bratapfel gemacht, für 120 Ehrengäste. Weil alle Teller gleichzeitig serviert werden mussten, hab ich gesagt, okay, für das Flambieren brauche ich acht Bunsenbrenner, die von acht Mitarbeitern gleichzeitig bedient werden. Als wir die angemacht haben, sprangen mehrere Kleiderschränke durch die Tür und schrien: "No fire!"
Der Secret Service, der für den Schutz des Präsidenten verantwortlich ist.
Genau. Die sind dann einzeln bei meinen Köchen stehen geblieben, weil sie Angst hatten, dass wir die Bude abfackeln. Crème brûlée hat denen halt nix gesagt.
Wenn Sie die Annonce hätten formulieren müssen, was hätten Sie reingeschrieben? Was braucht ein Koch im Kanzleramt?
Leidenschaft. Perfekte Kenntnisse über die heimischen Produkte. Erfahrung in einem Haus, in dem die moderne deutsche Küche angeboten wird. Und zu guter Letzt muss es jemand sein, der die Kommunikation mit den Gästen beherrscht und sich auch selbst verkaufen kann.
Der neue Koch soll 2800 Euro brutto verdienen. Ist das nicht ein bisschen wenig ?
Die Elite der deutschen Gastronomie wird sich eher nicht bewerben. Es geht um Wertschätzung. Wenn Sie sehen, dass bei einem Staatsbankett allein für Sicherheit Hunderttausende Euro ausgegeben werden, dann spart man so doch an der falschen Stelle. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will das nicht herabwürdigen, 2800 Euro sind normalerweise in Ordnung für einen Koch am Anfang der Karriere. Aber für eine Position in der Repräsentanz eines Staates, wo man derart im Fokus steht, da zweifele ich, ob das angemessen ist.
In Frankreich umgibt sich der Präsident wie selbstverständlich mit Sterneköchen. Im Élysée-Palast sind nicht wie im Kanzleramt einer oder zwei, sondern 20 Köche angestellt. Macht sich Deutschland zu klein, was das Kulinarische angeht?
Ich glaube ja. Die französische Küche ist ja 2010 sogar Weltkulturerbe geworden. Ich durfte einmal zu Gast sein bei den Köchen des Élysée-Palastes. Das ist Savoir-vivre auf allerhöchstem Niveau, was die machen, und die ganze Nation ist stolz drauf.
Das beliebteste Essen in deutschen Kantinen ist noch immer Currywurst.
Ach, wissen Sie. Wir können nicht aus unserer Haut. Deutsche Küche war immer ehrliche Küche, aber in den vergangenen 20 Jahren hat es eine sensationelle Entwicklung gegeben, und damit meine ich nicht nur die Sterneküche, sondern auch die kulinarische Vielfalt in der Breite. Die Wertschätzung für diese Art von Küche, bei der ich nicht eine Brigade von 15 Leuten im Hintergrund habe, die will ich künftig mit meiner Arbeit stärken. Currywurst hab ich übrigens auch zubereitet, als Mitternachtssnack beim Ball des Sports. Aber es war eine Currywurst mit Kalbfleisch, elegant angerichtet, in kleinen Portionen. Moderne deutsche Küche bedeutet eben auch: aus vordergründig banalen Gerichten etwas Besonderes zu machen.
Festliche Bankette erfordern perfekte Planung. Dutzende, vielleicht Hunderte Essen müssen punktgenau fertig sein. Da gibt es sicher auch Pannen.
Oh ja. Man arbeitet bei solchen Anlässen oft ohne Netz und doppelten Boden. Die größte Panne meiner Karriere passierte bei einem großen klassischen Musikfestival. Ein Galadinner für 60 Gäste. Rehrücken mit Rotkohlroulade und Pfifferlingsknödel. Meine Leute hatten die Knödel vorbereitet, und dann haben wir es so gemacht wie immer bei solchen Veranstaltungen: Auf einen Hockerkocher kommt ein Topf mit Wasser und dann sollten die Knödel erwärmt werden. Aber nach fünf Minuten schwamm oben auf dem Wasser ein ungefähr zehn Zentimeter dicker Belag aus Pfifferlingen, Weißbrot und Petersilienresten.
Die Knödel hatten sich aufgelöst.
Ja. Wir haben die Masse dann durch ein Sieb geschüttet und dann habe ich da 60 Eier reingemacht aus unserer Notfallkiste.
Notfallkiste?
Ja, eine Kiste mit Grundzutaten. Hat jeder Profi bei wichtigen Anlässen. Jedenfalls haben wir die Masse in der Pfanne angebraten, noch mal kräftig abgeschmeckt, die schmeckte ja nach nichts mehr wegen des Wassers, und dann mit Förmchen kleine Türmchen ausgestochen. Gott sei Dank hatten wir Semmelbrösel und Butter dabei. Daraus habe ich eine dicke Haube geformt. Am Ende haben mindestens zehn Leute gesagt, das seien die besten Knödel gewesen, die sie je gehabt hätten.
Wenn Sie nur ein Gericht zubereiten dürften, was würden Sie Frau Merkel kochen?
Ich hab ja schon mal für sie gekocht. Wenn ich sie noch mal bewirten dürfte, würde ich ihr Variationen vom Rind machen. Aber nicht nur das Filet oder ein Stück vom Rücken, das wäre mir zu langweilig. Ich würde ihr vielleicht eine Roulade, ein Beef Tatar oder ein Schulterscherzl zubereiten. Ich würde ihr die ganze Bandbreite zeigen und ich würde eine Hommage an die einfache, traditionelle Küche versuchen. Das würde ihr gefallen, denke ich, und das ist auch das, was die meisten Gäste heute wollen. Die sind nicht mehr auf Sternejagd, sondern haben eine Sehnsucht nach Heimat und den Klassikern der Küche.