Wenn im frühen April bei uns die Rhabarbersaison beginnt, hat Großbritannien seine erste große Ernte schon hinter sich. Das liegt daran, dass auf den rhabarberverrückten britischen Inseln eine besondere Anbaumethode populär ist. Dort wird ein Großteil der Stangen von Januar bis März im Dunkeln gezogen, als "Forced Rhubarb" oder Treibrhabarber. Die Pflanze gehört zu den wenigen Gemüsen, die - wie Chicorée - bei Dunkelheit in die Höhe schießen, wobei ein so gezogener Rhabarber zarter, innen bleich und außen von besonders leuchtender pinkroter Farbe ist. Vor allem aber ist er süßer, denn die Stangen lagern weniger der typischen, starken Säure ein. Der Eigengeschmack des Rhabarbers tritt stärker hervor.
Die Methode soll eher zufällig 1817 im auch für seine Flowershow bekannten Londoner Stadtteil Chelsea entdeckt worden sein. Angeblich, weil Rhabarberpflanzen dort während der Ruhephase mit Erde bedeckt wurden und erstaunlicherweise trotzdem in die Höhe schossen. Im berühmten "Rhubarb Triangle" in Yorkshire ließ man sich den Treibrhabarber später als lokale Spezialität schützen. Die Bauern dort ziehen die Pflanzen erst im Freiland, damit sie starke Wurzeln ausbilden, und setzen diese dann in beheizte, manchmal nur mit Kerzenlicht beleuchtete Hallen um. Ihre Ernte ist begehrt, und Restaurants in London konkurrieren um die feinsten Stangen und die besten Händleradressen. Wer die Zucht nach englischem Vorbild im eigenen Garten versuchen will, behilft sich indes oft mit einem hohen Tontopf, der erwartungsfroh über die ersten Wurzeltriebe gestülpt wird.
Rhabarber passt zu süßen und fetten Desserts
Was für die Deutschen der weiße Spargel ist, ist für die Briten also der leuchtend pinke Rhabarber. Und als Außenstehender fragt man sich manchmal: Wieso die Aufregung? Denn so delikat die süßen Stangen auch sein mögen, so sehr liebt man Rhabarber auch für seine Säure. Sie ist scharf und kantig und frisch, perfekt zum Frühlingsbeginn also, der ja die Lebensgeister wecken soll. In manchen Rezepten verschärft man die Säure sogar noch, indem man Rhabarber mit Heidelbeeren oder Orangen kombiniert. Im Normalfall aber verlangt diese Säure als Ausgleich nach selbstbewussten, köstlichen Partnern, nach Süße, Sahne und fetten Desserts, kurz: nach allem, was in der Küche Spaß macht.
Ein besonders schönes Beispiel findet sich bei Helen Goh und Yotam Ottolenghi ("Sweet"), die Milchreis mit Sahne und griechischem Joghurt pimpen und dazu ein Topping aus Rhabarber und nicht minder kantigem Estragon servieren: Für den Pudding (6 Personen) 100 g Milchreis mit 700 ml Milch und mit den mit einem Sparschäler breit, aber dünn abgezogenen Zesten einer Bio-Orange, 1 Zimtstange, 3 Lorbeerblättern und 1 Prise Salz in eine hohe, ofenfeste Form geben und im vorgeheizten Ofen (170 Grad) für etwa 70 Minuten backen. Den Reispudding auskühlen lassen, in eine Schüssel umfüllen, dabei Gewürze und Orangenschale herausfischen und abgedeckt kaltstellen (lässt sich gut am Vortag vorbereiten). Für das Topping 500 g Rhabarber (etwa 8 Stangen) in 5 cm lange Stücke schneiden. Diese mit 75 g Zucker, 6 Stängeln Estragon (je zur Hälfte im Ganzen und grob gehackt) und dem Mark einer halben Vanilleschote vermischen und in einer ofenfesten Form bei 250 Grad für 15 bis 20 Minuten backen, bis der Rhabarber (Messerstichprobe) weich ist. Unterdessen 100 g Sahne mit 30 g Puderzucker halb steif schlagen und zusammen mit 100 g griechischem Joghurt (10 Prozent Fett) unter den Reispudding heben. Die 3 ganzen Estragonstängel und die Vanilleschote aus dem Rhabarber entfernen und das Topping vor dem Servieren heiß auf den Pudding löffeln.
Das braucht man dazu
- 100 g Milchreis
- 700 ml Milch
- 1 unbehandelte Orange
- 1 Zimtstange
- 3 Lorberblätter
- 1 Prise Salz
- 30 g Puderzucker
- 100 g Sahne
- 100 g griechischer Joghurt (10 Prozent Fett)
- 500 g Rhabarber
- 75 g Zucker
- 1 halbe Vanilleschote
- 6 Stängel Estragon