Restaurant für Obdachlose:"Robin Hood" serviert Würde

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Pater Ángel García Rodríguez, hier mit Gästen, hat das Konzept der Robin-Hood-Lokale erfunden. (Foto: Gerard Julien/AFP)

Eine Restaurantkette in Spanien führt Arme und Obdachlose ins Leben zurück - mit Gratis-Menüs, Porzellan und weißer Tischwäsche. Die gehobene Esskultur soll ihr Selbstbewusstsein stärken.

Von Thomas Urban, Madrid

Madrid ist bekannt für seine innovative Restaurantszene. Doch die Gerüchte, die sich kürzlich um die Eröffnung der beiden "Robin Hood"-Lokale rankten, waren selbst für Spaniens Hauptstadt ungewöhnlich: Sterne-Köche stünden hier Schlange, um für Obdachlose zu kochen, hieß es da. Headhunter hätten aus den besten Häusern Kellner für dieses Projekt abgeworben. Bei Robin Hood würden mittags reiche Geschäftsleute verköstigt, die für ihr Menü freiwillig mehr bezahlten, damit sich die Restaurants abends gratis für die schuldlos in Not Geratenen öffnen können. So sei es möglich, dass Arme und Obdachlose für ein paar Momente exquisites Essen genießen können. Und den edlen Rotwein dazu würden sie hier aus Kristallgläsern trinken.

All diese fantastischen Dinge konnten die "Robin Hood"-Mitarbeiter in diesem Jahr in der internationalen Presse über ihre Restaurants nachlesen. Doch richtig daran war so gut wie nichts. Sterneköche gibt es hier ebenso wenig wie spendable Mittagsgäste oder edlen Wein, denn Alkohol wird prinzipiell nicht ausgeschenkt. Was jedoch stimmt ist, dass es sich bei den Robin-Hood-Restaurants um eines der wohl ungewöhnlichsten kulinarischen Sozialprojekte überhaupt handelt. Charity-Restaurants gibt es viele: von Armenspeisungen über Lokale, in denen Flüchtlinge kochen, bis hin zu nachhaltigen Restaurants, die Essensreste verwerten. Bei Robin Hood aber schreiben sie dem Essen nun sogar eine integrierende Macht zu: Es geht darum, Menschen, die sozial abgerutscht sind, durch gehobenes Tafeln ihre Würde zurückzugeben. Sie ins bürgerliche Leben zurückzuführen. Wie muss man sich das vorstellen?

"Für uns ist schon dieses Wasser Luxus"

Eröffnet haben die beiden ersten "Robin Hood"-Restaurants Ende vergangenen Jahres. Es geht hier nicht um Fine Dining im herkömmlichen Sinn. Das erste Lokal liegt im bunten Szeneviertel Latina, das zweite im aufstrebenden Stadtteil Trafalgar, von außen wirken sie bescheiden, von innen wie solide Mittelklasserestaurants, allerdings mit vielen Details, die für die Abendgäste hier alles andere als alltäglich sind: Es gibt Porzellan und weiße Tischwäsche, in einem schickeren Extra-Speisesaal gar Überdecken in Französischgrau. Die Kellner tragen Fliege zu blütenweißem Hemd und schwarzen Hosenträgern und sind extrem zuvorkommend. Man darf von einer Speisekarte wählen: gute Hausmannskost aus der traditionellen kastillischen Küche, Suppen, frisches Gemüse, Reis- oder Schmorgerichte. Das Wasser dazu wird in schönen Gläsern ausgeschenkt.

Für viele möge das nicht außergewöhnlich klingen, sagt Luis Bayón, aber "für uns ist schon dieses Wasser Luxus, ich fühle mich hier wieder als Mensch". Bayón steht vor dem Eingang der Robin-Hood-Filiale in Trafalgar und wartet auf einen Tisch. Der 52-Jährige erzählt, er habe einmal als Bauleiter ein gutes Auskommen gehabt und dazu Familie. Doch nach dem Platzen der großen Immobilienblase ging sein Arbeitgeber pleite, dann seine Ehe in die Brüche. Über die Scheidung will er nicht reden, aber er habe dabei auch sein Dach über dem Kopf verloren, sagt Bayón. Viele in der Schlange erzählen ähnliche Geschichten. Ganz unten seien sie alle gewesen, "in der Gosse", sagt eine Frau, die sich als María vorstellt und bis zur Finanzkrise vor knapp zehn Jahren als Sekretärin in einem Architektenbüro gearbeitet hat. "Robin Hood hilft uns zurück ins Leben", sagt María.

Wer im Restaurant essen will, muss erst zum Bewerbungsgespräch

"Nüchtern betrachtet handelt es sich um ein Resozialisierungsprogramm", erklärt Pater Ángel García Rodríguez, der die Idee für das Konzept hatte, "es ist ein Experiment." Der 80-jährige Pater hat vor mehr als einem halben Jahrhundert die "Botschafter des Friedens" gegründet. Heute arbeiten 4000 Mitarbeiter und mehrere Tausend Freiwillige für die private Hilfsorganisation, die weltweit Projekte unterstützt, vor allem in Spanien und Lateinamerika. Der katholische Priester empfängt Reporter routiniert in der Zentrale der Organisation. Er redet freundlich, aber bestimmt. In Spanien ist er längst so etwas wie ein Medienstar, bekannt für seine Vorliebe, rote Krawatten zu tragen. Und für sein Gespür, Aufmerksamkeit zu erzeugen: Der Name "Robin Hood" für das neue Restaurantprojekt sei aber bitte nicht wörtlich zu nehmen, sagt Pater Ángel: "Keiner denkt daran, Reiche zu berauben, wie dies in Nottingham und im Wald von Sherwood geschah."

Die vielen Gerüchte über die Lokale hat der Pater zumindest nie groß ausgeräumt, sie dürften der Bekanntheit des Projekts nicht geschadet haben. Geschuldet sind sie wohl zum Teil auch dem Namen und der Tatsache, dass morgens und mittags hier für zahlende Gäste gekocht wird. Eher günstige zwölf Euro kostet das Menü dann, gespendet für das Projekt wird aber nicht. Für den Tagesbetrieb verantwortlich sind zwei Cateringfirmen, die Buchführung ist getrennt. Abends überlässt man die Räume dann unentgeltlich den Botschaftern des Friedens, die das Restaurantprojekt finanzieren, auch "mithilfe von Sponsoren", wie Pater Ángel erklärt.

Der 80-jährige Pater hat das Konzept der Robin-Hood-Lokale erfunden. (Foto: Alamy/mauritius images)

"Unser wichtigstes Anliegen ist die Hilfe zur Selbsthilfe!", betont der Priester immer wieder. Konkret heißt das: an den kostenlosen Abendessen darf längst nicht jeder Bedürftige teilnehmen. Einlass in die Restaurants erhält nur, wer eine Karte mit seinem Namen und dem Stempel der Zentrale der Stiftung besitzt. Ein kleines Team von Psychologen führt dort Gespräche mit den Bewerbern. Sie müssen den Eindruck vermitteln, dass sie sich anstrengen, aus ihrer fatalen Lage herauszukommen. Die Auflagen sind streng: Anwärter auf den Restaurantpass dürfen weder Alkohol- noch Drogenprobleme haben, sie müssen behördlich gemeldet sein, über einen Wohnsitz verfügen - auch wenn es nur ein Heim für Obdachlose ist - und einen Arbeitsplatz suchen. Auch müssen sie in der Lage sein, sich selbst zu pflegen. Dass dies kostenlos möglich ist, stellen die "Botschafter des Friedens" ebenfalls sicher: Es gibt Kleiderkammern, die aus Spenden bestückt werden, und durch die sozial schwächeren Viertel Madrids kurvt der Pelobús, ein zum rollenden Frisörsalon umgebauter Campingbus, in dem alle, die kein Geld haben, einen Haarschnitt bekommen können.

Wer sich bei den Auswahlgesprächen noch nicht für die Restaurants qualifiziert, kann in einer der sieben Suppenküchen essen, welche die Hilfsorganisation in Madrid unterhält. Die Robin-Hood-Lokale sind also nicht als Armenspeisung gedacht, sondern als Anreiz und Training. Sie sollen helfen, denjenigen den Weg zu ebnen, die so weit sind, sich aus eigener Kraft wieder ein geregeltes Leben aufzubauen. Der Pater hat beobachtet, wie schwer viele sich tun, wieder ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Besonders auf den letzten Metern. Dass viele Menschen schon bei ersten Bewerbungsgesprächen an der eigenen Schüchternheit scheitern. "Wir geben ihnen nun ihre Würde zurück, ein erster Schritt zu innerem Gleichgewicht und zu Selbstbewusstsein", erklärt er.

Respektvolle Atmosphäre als Gegensatz zur Armenspeisung

Luis Bayón bestätigt das, als er in der Schlange vor dem Lokal von sich erzählt: "Ich hatte Angst, mich um eine neue Stelle zu bewerben. Ich hatte Angst, Mittel für eine Umschulung zu beantragen." Im Robin-Hood-Restaurant habe er schon nach drei Abenden gespürt, wie seine Beklommenheit verschwand. Er musste den Kellern erklären, was er wollte. Der Service hier ist geschult, die Gäste so ins Gespräch zu ziehen. Die Atmosphäre ist respektvoll und gediegen, völlig anders als bei den Armenspeisungen, die alle Abendgäste von Robin Hood kennengelernt haben. Bei den Tafeln und in den Suppenküchen herrsche ein eher hemdsärmliger Umgangston, erzählen sie hier. Auch die Obdachlosen und Armen, die dorthin kommen, gingen meist rau miteinander um. "Dass gepflegtes Speisen eine zentrale Rolle bei der Selbstfindung spiele, machen sich viele Sozialarbeiter gar nicht klar", sagt Pater Ángel.

Wie viel Erfolg sein Projekt haben wird? Um das zu beurteilen, sei es wohl noch zu früh. Doch der Glaube an die Resozialisierung über Tischkultur ist nach acht Monaten Erfahrung eher stärker geworden. In Toledo hat eine dritte Filiale eröffnet, und bei den Botschaftern des Friedens denkt man schon über weitere Robin-Hood-Lokale nach. Psychologen der Complutense-Universität in Madrid wollen das Projekt wissenschaftlich begleiten. Und häufige Gäste wie Luis und María glauben, dass sie bald genug Selbstbewusstsein haben werden, um wieder selbst für sich zu kochen.

© SZ vom 26.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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