Ladies & Gentlemen:Altkleidersommer

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(Foto: Hersteller)

Unförmig, secondhand und möglichst unprätentiös - dieser Stil wird in Szenevierteln als Gegenentwurf zur Mainstream-Mode getragen. Viel Geld ausgeben kann man dafür aber inzwischen auch.

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Die perfekt egale Hose

Wo wird eigentlich festgelegt, was guter Geschmack ist und was nicht? Spoiler: Nicht auf Instagram und schon gar nicht von Leuten, die irgendwas mit Fernsehen machen. Und eigentlich auch nicht auf Kunstmessen, denn da schwirren ja auch immer jede Menge aufgeregte Adabeis rum. Aber eines ist dort trotzdem auffällig: Die wirklich reichen Sammlerinnen tragen keine Designerhandtaschen mehr, stattdessen kommen die Galerien mit der Herstellung von Give-away-Baumwollbeuteln kaum nach. Geradezu könnte man meinen, es sei jetzt offiziell peinlich, in irgendwas gesehen zu werden, was aus der Massenproduktion der zwei großen Luxuskonzerne LVMH und Kering stammt, da kann die Branche noch so viel von Quiet Luxury schwafeln.

(Foto: Hersteller)

Es ist der sogenannte Luxus an sich, der unfassbar langweilt, und Designerlabels sind nur noch was für Leute, die in der Fußgängerzone von einem besseren Leben träumen. Die Hipster dieser Welt wissen das schon lange und setzen seit Jahren auf Extrem-Vintage, also: bunt bedruckter Achtzigerjahre-Fliegerseiden-Anorak zu ausgesucht unausgesuchten Dad-Turnschuhen. Es kam deswegen in letzter Zeit öfters zu Verwechslungen, wenn man irgendwo in der Provinz unterwegs war: War das jetzt ein Hipster oder einer, der sich wirklich um seine Wirkung keinen Kopf macht? Das britische Label LF Markey liefert diesen Look der muffigen Secondhandshops auch: Mit dem perfekten Hosenschnitt zum Beispiel, der sehr präzise auf komplett egal gemacht ist. Fazit: Distinktion bleibt weiterhin anstrengend, aber riecht jetzt zumindest neu.

Für ihn: Zotteliger Zeitgeist

Das Erscheinungsbild von Menschen in Szenevierteln war in den vergangenen Jahren immer schwieriger zu deuten. Man kann heute jedenfalls nicht mehr sagen, ob jemand einfach nur in sehr prekären Verhältnissen lebt oder ob das, was er am Leib trägt, für teures Geld von japanischen Hipsterlabels importiert wurde. Recycling-, Oversized-, Crossover- und Retro-Trends implodieren zusammen an den jungen Körpern und ergeben dabei nur selten etwas, das dem klassischen Schönheitsideal entspricht - aber das ist mit Jugendkultur ja meistens so. Neu ist, dass dieser Altkleider-Normcore-Chic mittlerweile richtig viel Geld kosten kann und trotzdem als Gegenentwurf zum langweiligen Angeber-Chic mit den üblichen Glitzermarken dient. Wer heute als junger Mann Kreativität und guten Geschmack jenseits des Mainstreams signalisieren möchte, trägt deshalb eines jener Labels, deren Geschäfte sich zum Beispiel in der Londoner Lamb's Conduit Street ballen, namentlich Folk und Oliver Spencer, auch Margaret Howell, Nigel Cabourn oder das Münchner Label A Kind of Guise bedienen diese Bedürfnisse.

(Foto: Hersteller)

Grob gesagt: Handwerkliche Mode mit guten Stoffen und inneren Werten, die nicht so langweilig ist wie der Merinopullover aus Italien. Bei Folk sieht das diesen Herbst dann so aus wie auf dem Bild - also ein Material- und Mustermix, bei dem man schon sehr genau hinschauen muss: Kommt der Typ gerade aus dem Tonstudio oder von einem Austauschjahr in Kabul? Weiterhin hält sich der Verdacht, dass man alle Bestandteile dieses Looks auch aus Papas Schrank holen könnte. Aber darum geht's dem Zeitgeist natürlich nicht.

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