Mode für 60+:Golden Girls

Manchmal scheint es, als würden Frauen ab ihrer Lebensmitte unsichtbar. Der New Yorker Blogger Ari Seth Cohen fotografiert Stilikonen im fortgeschrittenen Alter, die sich und das Leben feiern.

Von Julia Hägele

Wann, wenn nicht jetzt?

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(Foto: Ari Seth Cohen)

Das Vorurteil, dass mit zunehmendem Alter die Schönheit kontinuierlich abnimmt, trifft vor allem Frauen. ­Ältere Models zieren selten Laufstege und Werbeplakate, obwohl 60 + eigentlich eine Zielgruppe mit großer Kaufkraft ist. "Die Leute wollen etwas sehen und von jemandem kaufen, mit dem sie sich identifizieren können", sagt hingegen Colleen Heidemann. Deswegen fotografiert Ari Seth Cohen Frauen wie sie, die verstanden haben, dass ihr Leben jetzt stattfindet und nicht erst dann, wenn sie acht Kilo abgenommen, die Besenreißer verödet und den Keller ausgemistet haben. Frauen, die viel gesehen, sich hineingekniet, mal verloren und mal gewonnen haben. Was sie schön macht, ist weniger ihr Kleid, Hut oder Lippenstift. Es sind vielmehr die Motivation und der Mut, sich schön zu machen und zu sagen: Auch wenn es gelegentlich Gründe gab zu resignieren, ich bin noch hier, lebe und leide, wie eh und je, mit Stil. Ganz nach Colleen Heidemanns Motto: Wann, wenn nicht jetzt? "Heute verschwinden die über 60-Jährigen einfach, nur um zum 100. Geburtstag recht herzliche Glückwünsche entgegenzunehmen", sagt Colleen Heidemann. Ari Seth Cohen lernte die ehemalige Flugbegleiterin 2011 in ihrem Secondhandladen kennen und fotografierte sie für seinen ersten Bildband Advanced Style.

Alter macht frei

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(Foto: Ari Seth Cohen)

Ilona Royce Smithkin geht stramm auf die 100 zu und fühlt sich dabei so frei wie noch nie in ihrem Leben. Erst mit 80 Jahren hat die Künstlerin von allen Sorgen und dem Gefühl, nicht gut genug zu sein, abgelassen. Sie geht neue Wege in ihrer Malerei und verwirft Projekte nicht schon, bevor sie überhaupt gekeimt haben. "Jetzt bin ich völlig frei und maximal offen." Wenn man sich nicht ständig über sich selbst Gedanken macht, ist das, als würde man eine Tür öffnen und frische Luft hereinströmen lassen, sagt sie. "Ich schaffe heute mehr denn je." Sie liebt es zu singen, am liebsten Lieder von Marlene Dietrich. Vielleicht hält sie auch das Lachen jung. Mit 90 scherzte sie: "Ich bin keine 20 mehr, meine Zeit ist begrenzt - ich kann jetzt keine grünen Bananen mehr kaufen."

Das Gegenteil von Resignation

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(Foto: Ari Seth Cohen)

"Wenn du dir dein Leben nicht ein bisschen grandios machst, wer dann?", fragt Valerie von Sobel, die in den Fünfzigerjahren aus dem kommunistischen Ungarn über Kanada in die USA geflohen ist. "Im fortgeschrittenen Alter, chic oder nicht chic, hat man zu jedem Thema zumindest ein bisschen etwas beizu tragen - die Lebenserfahrung verfeinert uns über die Jahre und lässt uns das Menschsein besser verstehen", sagt sie. "Die Frage­ ist, wie nutzen wir das, was wir wissen, am besten?" Valerie von Sobel widmet ihr Leben ihrer Kunst und der Wohltätigkeit. Innerhalb eines Jahres verlor sie ihren Sohn im Teenageralter, Mann und Mutter. Später gründete sie eine Stiftung, die Alleinerziehenden mit sterbenden Kindern finanzielle Unterstützung bietet.

"Meine Generation dachte, sie würde nie alt"

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(Foto: Ari Seth Cohen)

Im Juli 1969 steht Alice Carey im New Yorker Central Park. Sie trägt ein gelbes, bodenlanges Kleid mit einem orangefarbenen Goldfisch darauf. Kein Make-up, keine Schuhe. Leinwände zeigen, wie Neil Armstrong den Mond betritt. Carey feiert die ganze Nacht. "Meine Generation dachte, sie würde nie alt", sagt die Autorin. "Was uns jung hält, ist unsere turbulente Vergangenheit - wie unser politisches Engagement gegen den Vietnamkrieg." Als Tochter einer irischen Immigrantin, die als Zimmermädchen für reiche Theaterleute in New York arbeitete, inhalierte Carey als Kind den Chic der Fünfziger, bevor sie ihren eigenen Stil fand. "Wenn Bob Dylan 'like a rolling stone' sein konnte, konnten wir das auch." Heute sagt sie: "Verlasse das Haus nie ohne Lippenstift. Widme dich einem intellektuellen Projekt. Schlafe länger und besser, ohne Pillen und Alkohol. Schneide deine Haare ab. Und gib den Sex nicht auf, egal, in welcher Form und Farbe"

Röcke fürs Leben

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(Foto: Ari Seth Cohen)

Arlinda McIntosh ist der lebende Beweis für die Behauptung, dass die Wurzel großer Verdienste oft in Verzweiflung liegt. Vor gut 30 Jahren war sie auf ­einen Schlag alleinerziehend und verschuldet. "Für mich war es die Chance auf etwas Neues." Von ihrer Mutter hatte sie das Nähen gelernt. "Ich dachte mir: Cry or Try." Also fing sie an, Röcke zu schneidern. Heute führt sie ihr eigenes Label. Eigentlich möchte sie keine Ratschläge erteilen. Aber einen hat sie doch: "Vergiss nie, dass du genug bist."

Mode vergeht, persönlicher Stil bleibt

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(Foto: Ari Seth Cohen)

Lana Turners Vater ging immer in Anzug und Stetson-Hut, daran konnte auch die Große Depression in den Dreißigern nichts ändern. Sie selbst hat früh gemerkt, dass sie weniger dem Rhythmus der Mode folgen, sondern eher ihren persönlichen Stil finden will. Den stimmt sie immer auf Jahreszeit, Wetter, Wolken und Gefühl ab. "So bereite ich mich auf den Tag vor."

Die Farben aller Länder

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(Foto: Ari Seth Cohen)

Als Kind spielte Suzi Click oft "Verkleiden", heute mischt sie als Designerin Stoffe, Farben, Schmuck und Muster zu einer Art "Boho Style". Sie reist in ­Länder wie Indien, Marokko, Peru, Usbekis­tan und Thailand, um Eindrücke zu sammeln und Stoffe zu kaufen und das Handwerk kennenzulernen. Wie die Frauen sticken, färben und weben, fasziniert Click. ­Gerade die älteren tragen ihre traditionellen Gewänder jeden Tag. "Indem ich ihre Stoffe nutze, hoffe ich, ihre Kunst am Leben zu halten."

Über "Advanced Style"

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(Foto: Ari Seth Cohen)

Ari Seth Cohens Großmutter Bluma war seine Ratgeberin und beste Freundin. Und sie hatte Stil. Nach ihrem Tod im Jahr 2008 zog es den Enkel nach New York, hingerissen von der Lässigkeit der Damen älteren Semesters. Seither fotografiert er viele Frauen und einige Männer, die er inspirierend findet, und veröffentlicht die Bilder auf seinem beliebten Blog advanced.style. Daraus sind zwei Bildbände, Advanced Style und Advanced Style - Older and Wiser erschienen. Das Bild zeigt ihn mit einem seiner Models, der 2009 verstorbenen Schauspielerin Mimi Weddell.

© SZ Plan W vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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